Sars-CoV-2 verursacht Krankheiten und Übersterblichkeit - Impfstoff mit Bauplan für das Spike-Protein versehen
20.8.2021, 11:28 (CEST)
Für die Entwicklung eines Impfstoffs gegen die Lungenkrankheit Sars-CoV-2 wurde seit Pandemieausbruch eifig geforscht. In den sozialen Medien (archiviert) wird nun ein Artikel verbreitet, der behauptet:
1. Studienergebnissen zufolge sei gar kein Virus nötig, um an Covid-19 zu erkranken. Vielmehr könnten angeblich «theoretisch alle Menschen, die die mRNA-Spritze erhalten haben, an Sars-CoV-2 erkranken».
2. Der US-Datenbank Vaers zufolge seien in den USA über 9'000 Menschen durch Corona-Impfungen gestorben.
3. Die Corona-Pandemie soll angeblich keine Übersterblichkeit verursacht haben.
4. Virologen hätten Sars-CoV-2 noch nicht isoliert.
5. Es gebe keine krankmachenden Viren.
BEWERTUNG
Die Behauptungen sind falsch. So enthalten die Covid-Impfstoffe lediglich den Bauplan für das Spike-Protein, was keine Sars-CoV-2-Erkrankung auslöst. Angaben in der Datenbank Vaers sind Verdachtsmeldungen und weisen keinen Kausalzusammenhang der beobachteten Symptome mit dem Impfstoff nach. Phasenweise wurde während der Pandemie eine Übersterblichkeit festgestellt. Wie diese ohne die Hygiene- und Abstandsregeln ausgefallen wäre, ist nicht bekannt. Die Virusisolation gilt als das Standardverfahren zur Virusdiagnostik. Sars-CoV-2 wurde bereits Anfang 2020 isoliert. Viren können beim Menschen etliche Krankheiten verursachen
FAKTEN
Fakt 1: Covid-Impfstoffe enthalten den Bauplan für das Spike-Protein
Der Artikel von «Legitim.ch» bezieht sich auf eine Studie über Gefässschäden, die durch Sars-CoV-2 ausgelöst werden. Der im Fachmagazin «Circulation Research» erschienene Artikel schlussfolgert, dass Sars-CoV-2 eher eine Krankheit der Blutgefässe ist als eine Atemwegserkrankung.
Covid-19-Impfstoffe wie der von Biontech/Pfizer funktionieren über das sogenannte Spike-Protein. Mit dem mRNA-Impfstoff wird der Bauplan für ein Protein des Krankheitserregers injiziert, das dann in der menschlichen Zelle hergestellt wird. Das Immunsystem erkennt das fremde Protein, worauf Abwehrmechanismen in Gang gesetzt und Antikörper gebildet werden. Diese sollen Geimpfte später vor einer Covid-19-Infektion schützen. Die mRNA wird wieder abgebaut.
Mit dem mRNA-Impfstoff wird also nicht der Erreger, sondern nur der Bauplan eines seiner Proteine verabreicht. Das darauf vom menschlichen Körper produzierte Protein wiederum ist nicht mit dem Spike-Protein von Sars-CoV-2 zu vergleichen, welches bei einer Infektion dem Virus den Eintritt in die menschliche Zelle ermöglicht.
«Es ist nicht mehr so sehr in der Lage, an den Rezeptor der menschlichen Zellen zu binden, seine Form zu verändern und mögliche toxische Effekte auszulösen», sagte Carsten Watzl. Der Immunologe vom Leibniz-Institut für Arbeitsforschung an der Technischen Universität in Dortmund äusserte sich auf Anfrage Deutschen Presse-Agentur (dpa) zu einem früheren Faktencheck.
Die Studie betont, dass die Impfung nicht nur vor einer Sars-CoV-2 Infektion schützt, sondern wahrscheinlich auch Gefässschäden verhindert.
Fakt 2: Vaers-Daten sind lediglich Verdachtsmeldungen
Die US-Datenbank «Vaccine Adverse Event Reporting System» (Vaers) zeigt lediglich Verdachtsfälle von Nebenwirkungen, die im zeitlichen Zusammenhang mit der Impfung stehen. Es ist somit ein Frühwarnsystem, um Sicherheitsprobleme bei Impfstoffen rasch zu erkennen. Wie auf der Webseite zu lesen ist, kann jede und jeder bei Vaers eine entsprechende Meldung abgeben. Mitarbeitende im Gesundheitswesen sind sogar verpflichtet, bestimmte Ereignisse zu erfassen. Das Meldesystem wird vom «Centers for Disease Control and Prevention» (CDC) und der US-amerikanischen «Food and Drug Administration» (FDA) verwaltet.
Die Betreiber warnen aber, dass Meldungen zu Nebenwirkungen in Vaers keinen Beweis für einen Zusammenhang mit Impfstoffen liefern. Es sind lediglich Hinweise darauf, dass ein Ereignis einige Zeit nach der Impfung aufgetreten ist. Die Daten können unvollständig, ungenau oder gar nicht überprüfbar sein. Folglich sind sie vorsichtig zu interpretieren.
Werden schwerwiegende Ereignisse wie Todesfälle gemeldet, gehen CDC-Experten diesen detaillierter nach und überprüfen die medizinischen Akten, Sterbeurkunden mit den Todesursachen sowie Autopsieberichte. Vaers sei allerdings nicht dazu geeignet, kausale Zusammenhänge zwischen Impfungen und einer spezifischen Nebenwirkung festzustellen, schreibt Martha Sharan von den CDC. Die Mitarbeiterin für Öffentlichkeitsarbeit äusserte sich dazu für einen früheren Faktencheck der Nachrichtenagentur Keystone-SDA.
Daten aus Meldesystemen wurden schon mehrfach falsch interpretiert. Die CDC deklarieren Covid-Impfstoffe als sicher und wirksam. Sie sind in den USA ab dem zwölften Lebensjahr zugelassen.
Fakt 3: Covid-Massnahmen haben viele Leben gerettet
Beim Thema Übersterblichkeit verwendet der Artikel von «Letigitm.ch» veraltete Zahlen von September 2020, zu Beginn der zweiten Welle. Aktuelle Daten weisen phasenweise eine Übersterblichkeit auf. Die ergibt sich, wenn man die erwarteten Todesfälle durch alle Ursachen in einem bestimmten Zeitraum vor der Pandemie mit den tatsächlichen Todesfällen in der Pandemie vergleicht.
Gemäss Bundesamt für Statistik (BFS) war in der Schweiz in der ersten Welle der Pandemie vom 16.3.2020 bis 19.4.2020 eine Übersterblichkeit zu beobachten. Eine weitere folgte in der zweiten Welle vom 19.10.2020 bis 31.1.2021. Die «Human Mortality Database» des Max-Plank-Instituts und der University of California in Berkeley gibt Einsicht in die Sterblichkeit und Übersterblichkeit diverser Länder.
Wie die Sterblichkeit ohne die behördlichen Massnahmen zur Eindämmung der Sars-CoV-2-Infektionen wäre, ist unbekannt. «Gesichtsmasken schützen effektiv vor Covid-19», lautet das Studienfazit eines internationalen Forschungsteams. Die Wirksamkeit der Maske hängt stark von der Viruskonzentration in der Luft ab. Daher sei es sinnvoll, mehrere Massnahmen zu kombinieren, um das Infektionsrisiko zu minimieren. Auch kanadische Forscher kamen zum Ergebnis, dass Masken das Infektionsrisiko senken. Die Deutsche Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin wies im Mai 2020 darauf hin, dass eine Maske die Ausatmungsluft filtere und infektiöse Tröpfchen abfange. Somit schützt die Maske vor allem andere vor einer Ansteckung. Die Wirksamkeit von Masken belegen Recherchen für frühere Faktenchecks.
Aufgrund der getroffenen Massnahmen zur Eindämmung der Sars-CoV-2-Infektionen sind auch andere Infektionskrankheiten wie die Grippe zurückgegangen. Das Bundesamt für Gesundheit (BAG) vermutet, dass die Hygienemassnahmen und die Abstandsregeln auch die Übertragung von Influenzaviren verhindern. Dazu hat die dpa bereits einen Faktencheck verfasst.
Fakt 4: Das Virus Sars-CoV-2 ist mehrfach isoliert worden
Das Medizinlexikon DocCheck bezeichnet die Virusisolierung aus der Gewebekultur als Standardverfahren zur Virusdiagnostik. Das Viruswachstum und die morphologische Veränderung der infizierten Zellen können dabei lichtmikroskopisch erkennbar sein. Seit den 1940er-Jahren können Viren mittels Elektronenmikroskopie sichtbar gemacht werden. Bei geringer Virenmenge können diese in Zellkulturen vermehrt werden. Neben der Virusisolation gibt es auch andere Methoden für den Nachweis von Viren.
Koreanische Wissenschaftler haben beim ersten laborbestätigten Covid-Fall in Korea im Februar 2020 die Virusisolation von Sars-CoV-2 erfolgreich durchgeführt. Im März gelang dies Forschenden in Kanada und in Deutschland, im August in den USA.
Fakt 5: Viren verursachen Krankheiten
Viren können diverse Krankheiten im menschlichen Körper verursachen. Neben den bekannten Influenzaviren gehören auch Coronaviren wie Sars und Mers dazu. Das pandemische Potenzial der Coronaviren war schon länger bekannt. Diverse Institutionen forschten bereits vor Ausbruch der aktuellen Pandemie an Coronaviren und deren Bekämpfung – so auch die Pharmafirma Moderna mit dem National Institute of Allergy and Infectious Diseases (NIAID) der USA. Im Zusammenhang mit dieser Forschungskooperation publizierte die dpa bereits einen Faktencheck.
Viren, die Krankheiten auslösen, waren bereits mehrfach Thema von Faktenchecks. So betonte der Nobelpreisträger und US-amerikanische Biochemiker Kary Mullis bereits im Jahre 2005 die Gefährlichkeit globaler Viren-Pandemien. Auch über die Existenz der Masernviren hat die dpa bereits einen Faktencheck verfasst.
Links
Legitim.ch: Artikel mit der Falschbehauptung, 12.07.2021 (archiviert)
Schweizer Behörde:
- BAG: Factsheet Covid19Imfpstoffe (Download) (archiviert)
- BAG: Lagebericht Schweiz zur saisonalen Grippe (archiviert)
- Swissmedic: Erklärvideo mRNAImpfstoffe (archivert)
- BFS: Todesfälle und Übersterblichkeit (archiviert)
- Labor Spiez: Virusisolation (archiviert)
Medizinisches Lexikon DocCheck:
- Definition «Virus» (archiviert)
- Coronavius (archiviert)
Vaers:
- Hintergründe der Datenbank (archiviert)
- Disclaimer (archiviert)
CDC:
- Sicherheit der CovidVakzine (archiviert)
- Zulassung CovidImpfstoff ab 12 Jahre (archiviert)
Max-Plank-Gesellschaft: Gesichtsmasken schützen effektiv vor Covid-19, 20.05.2021 (archiviert)
Science: Studie über die Wirksamkeit der Maske, 25.06.2021 (archiviert)
The Lancet: Studie über die Wirksamkeit der Maske, 01.06.2020 (archiviert)
Deutsche Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin: Pressemitteilung, 18.05.2020 (archiviert)
Universität Zürich: Virusnachweis (archiviert)
Virusisolation in Korea, 24.02.2020 (archiviert) DOI: 10.3346/jkms.2020.35.e84
Virusisolation in Kanada, 13.03.2020 (archiviert)
Virusisolation in Deutschland (archiviert)
Virusisolation in den USA (archiviert) DOI: 10.1016/j.ijid.2020.09.025
SNF: Projekt zur Entwicklung von Impfstoffen gegen Coronaviren (archiviert)
Infovac: Hindernisse bei der Entwicklung von Covid-19-Impfstoffen (archiviert)
Vereinbarung zwischen NIAID und Moderna zur Erforschung eines mRNA-Impfstoffes gegen Mers, Dezember 2019 (archiviert)
dpa-Faktencheck:
- Vergleich von Tierversuch mit Impfung hinkt
- Tod von USJugendlichen durch Covid-19-Impfstoffe nicht bewiesen
- Meldungen in der EMADatenbank weisen lediglich auf Verdachtsfälle hin
- Maskenpflicht für Anstieg der Fallzahlen im Herbst 2020 nicht verantwortlich
- Influenza gibt es noch Corona ist gefährlicher
- Vereinbarung zwischen Moderna und USBehörde von 2019 betraf Mers-Erreger
- Kein Beleg, dass der Erfinder des PCR-Tests dessen Anwendung bei Viren ablehnte
- BGH hat keine Entscheidung zur Existenz von Masernviren gefällt
Kontakt zum Faktencheck-Team der dpa: factcheck-schweiz@dpa.com