Kein Beleg, dass der Erfinder des PCR-Tests dessen Anwendung bei Viren ablehnte

07.08.2020, 15:50 (CEST)

Um eine Ansteckung mit dem Coronavirus nachzuweisen, wird in Deutschland und in anderen Ländern ein sogenannter PCR-Test verwendet. Angeblich soll er dafür nicht gemacht worden sein: In einem auf Facebook verbreiteten Beitrag heißt es, der Erfinder des PCR-Tests, der Biochemiker und Nobelpreisträger Kary Mullis, habe angeblich erklärt, «dass man diese Tests NICHT beim sogenannten Viruserkrankungen angewendet werden dürfen» (sic).

BEWERTUNG: Eine grundsätzliche Ablehnung seitens Mullis zum Einsatz des PCR-Tests als Viren-Nachweis ist nicht belegt. Die PCR-Methode wird seit Jahren für die Diagnostik in der Medizin verwendet - auch bei Viren.

FAKTEN: PCR steht für «Polymerase Chain Reaction», zu deutsch: Polymerase-Kettenreaktion. Der US-amerikanische Biochemiker Kary Mullis entwickelte die Methode und erhielt dafür 1993 den Nobelpreis für Chemie.

Dass Mullis die Verwendung von PCR beim Nachweis von Viren angeblich ablehnt, geht vermutlich auf einen englischsprachigen Blogartikel aus dem Jahr 1996 zurück. Zu finden ist er auf einer Seite, die sich mit dem Verschwörungsmythos befasst, wonach das Virus der HIV-Infektion angeblich kein Aids auslösen soll. Diesem Mythos hing auch Kary Mullis an - wofür er scharf kritisiert wurde.

In dem Blogartikel heißt es (übersetzt auf Deutsch): «Obwohl es ein verbreitetes Missverständnis ist, dass der Viruslast-Test tatsächlich die Anzahl der Viren im Blut misst, können diese Tests überhaupt keine freien infektiösen Viren nachweisen.» Der Satz ist nicht als Zitat gekennzeichnet und stammt vom Autor. Er steht jedoch in einem Absatz, in dem Kary Mullis mit den Worten zitiert wird: «Quantitative PCR ist ein Oxymoron.» Das bezieht sich auf seine Zweifel daran, den PCR-Test beim HIV-Nachweis zu verwenden. Ob Mullis dieses Zitat je so gesagt hat, ist unklar.

Dass globale Viren-Pandemien gefährlich sind, war Mullis jedoch bewusst. In einem Interview im Jahr 2005 warnte er von einem «sehr ernsten Fall einer Influenza» ähnlich der Spanischen Grippe 1918 und sagte: «So etwas könnte wieder passieren.»

PCR wird verwendet, um spezifische Partikel aus sehr kleinen DNA-Mengen zu vervielfältigen, bis genug vorhanden ist, um sie zu analysieren. Die Methode kommt bei vielen medizinischen und forensischen Zwecken zum Einsatz, beispielsweise für einen Vaterschaftstest oder die Diagnose der Influenza-Grippe. Da ein PCR-Test DNA analysiert, kann er auch Viren, einschließlich Sars-Cov-2, nachweisen. Denn ein Virus ist ein kleines Partikel genetischen Materials wie RNA oder DNA, das in einer Proteinhülle verpackt ist.

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) veröffentlichte am 17. Januar 2020 Empfehlungen über den Nachweis des neuartigen Coronavirus mithilfe eines PCR-Tests. Diese Empfehlungen gehen zurück auf ein Testprotokoll, das ein Team um den Berliner Virologen Christian Drosten im Januar entwickelt hat. Auch bei der Sars-Epidemie 2002/2003 wurde ein PCR-Test zur Diagnose verwendet.

Die Behauptung, dass der Erfinder des PCR-Tests dessen Einsatz bei Viren ablehnt, kursierte bereits in den USA und wurde dort von Faktencheckern der Nachrichtenagentur Reuters widerlegt.

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LINKS:

Facebook-Posting mit der Behauptung (29. Juli 2020): https://www.facebook.com/photo.php?fbid=10216386664319038&set=a.1097694882430&type=3&theater (archiviert: https://archive.vn/9teQv)

Nobelpreiskomitee über Kary B. Mullis und die PCR-Methode: https://www.nobelprize.org/prizes/chemistry/1993/mullis/facts/(archiviert: http://dpaq.de/1y2nP)

Blogartikel über HIV-Mythen «Has Provincetown become Protease Town?»: https://www.virusmyth.org/aids/hiv/jlprotease.htm (archiviert: http://dpaq.de/3TLKQ)

Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation zum Labortest auf das neuartige Coronavirus (17. Januar 2020): https://apps.who.int/iris/bitstream/handle/10665/330676/9789240000971-eng.pdf (archiviert: http://dpaq.de/lzxxd)

Robert-Koch-Institut über die Anwendung von PCR beim Test auf das Grippevirus (Stand 25. November 2019): https://www.rki.de/DE/Content/Infekt/NRZ/Influenza/arbeitsbereiche/diagnostik.html (archiviert: https://archive.vn/wFAqb)

Informationsseite der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung über Viren: https://www.infektionsschutz.de/infektionskrankheiten/erregerarten/viren.html (archiviert: http://dpaq.de/gsPds)

Transkript des Interviews mit Kary B. Mullis (Juni 2005): https://www.nobelprize.org/prizes/chemistry/1993/mullis/25900-interview-transcript-1993/ (archiviert: http://dpaq.de/rkocC)

Intolerable Genius: Berkeley’s Most Controversial Nobel Laureate (Winter 2019): https://alumni.berkeley.edu/california-magazine/winter-2019/intolerable-genius-berkeleys-most-controversial-nobel-laureate (archiviert: http://dpaq.de/692X8)

Artikel in der «New York Times» - «Scientist at Work/Kary Mullis; After the 'Eureka,' a Nobelist Drops Out» (15. September 1998): https://www.nytimes.com/1998/09/15/science/scientist-at-work-kary-mullis-after-the-eureka-a-nobelist-drops-out.html?pagewanted=2(archviert: https://archive.vn/SUjJ3)

Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation zur Diagnose von Sars mit einem PCR-Test (29. April 2003): https://www.who.int/csr/sars/coronarecommendations/en/ (archiviert: https://archive.vn/UVLho)

Reuters-Faktencheck über die gleiche Behauptung in englischsprachigen Beiträgen (3. Juli 2020). https://www.reuters.com/article/uk-factcheck-pcr/fact-check-inventor-of-method-used-to-test-for-covid-19-didnt-say-it-cant-be-used-in-virus-detection-idUSKBN24420X (archiviert: http://dpaq.de/PH852)

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