Berechnung von Fehlgeburten beruht auf falschen Zahlen
2.12.2021, 12:37 (CET)
Manche Menschen haben Angst vor negativen Folgen der Covid-19-Impfung. In sozialen Medien wird aktuell behauptet, dass angeblich 80 bis 90 Prozent der ungeborenen Kinder sterben, wenn man Frauen während der ersten 20 Wochen der Schwangerschaft mit mRNA-Impfstoffen impft. «Das steht nun fest», behauptet ein deutschsprachiger Text (archiviert) und beruft sich auf Forscher aus Neuseeland, die entsprechende Daten ausgewertet hätten. Stimmt dieser erschreckende Bericht?
Bewertung
Falsch. Die neuseeländischen Forscher haben eine wissenschaftliche Untersuchung aus den USA neu ausgewertet, bei der Berechnung der Prozentzahlen aber falsche Werte verwendet und so grotesk falsche Ergebnisse erzielt. Das haben sie inzwischen auch selbst zugegeben.
Fakten
Der Artikel mit der Überschrift «Abtreibung durch Corona-Impfung» stützt sich auf eine englischsprachige Veröffentlichung einer Forscherin und eines Forschers aus Neuseeland. Diese geben an, Daten aus einer US-amerikanischen Untersuchung für die dortige Gesundheitsbehörde CDC zu einem möglichen Zusammenhang von sogenannten mRNA-Impfstoffen gegen das Coronavirus und Fehlgeburten neu ausgewertet zu haben.
Die US-Wissenschaftler waren in einem im Juni 2021 veröffentlichten Papier zu dem Ergebnis gekommen, dass es keine Hinweise auf eine Gefährdung von Schwangerschaften durch die Impfstoffe von Biontech/Pfizer und Moderna gebe. Sie stützten sich dabei auf Zahlen aus US-Meldesystemen für Impfnebenwirkungen, darunter ein System, das ausschließlich Schwangere berücksichtigt.
Die Ergebnisse wurden bereits im Sommer von Social-Media-Nutzern aufgegriffen, die Zahlen daraus so uminterpretierten, dass fälschlicherweise der Eindruck entstand, die CDC-Untersuchung zeige einen Anteil von Fehlgeburten von mehr als 80 Prozent. Diese Aussagen wurden bereits damals widerlegt.
Die neuseeländischen Forscher haben daran anschließend aber offenbar einen ähnlichen Fehler gemacht und Prozentzahlen errechnet, die weit über dem üblichen Anteil von Fehlgeburten unabhängig von Impfungen liegen würden: Sieben bis acht Mal mehr, als bei Schwangerschaften generell üblich. Alle diese Werte werden in dem deutschsprachigen Artikel übernommen, mit der Schlussfolgerung in der Überschrift: «Abtreibung durch Corona-Impfung».
Allerdings liegt der neuseeländischen Auswertung ein Fehler zugrunde. Die Bezugsgröße aller Schwangeren, die bei der Berechnung des Anteils der Fehlgeburten verwendet wurde, ist viel zu gering angesetzt und beruht vermutlich auf einer Fehlinterpretation des US-Datenmaterials. Berücksichtigt wurden offenbar nur Schwangerschaften, die zum Erhebungszeitpunkt schon beendet waren. Aufgrund der Erhebung und des Zeitraums der US-Studie kann das aber zumeist nur auf ein frühes Ende der Schwangerschaft zurückgehen, also etwa eine Fehlgeburt. So steigt deren Anteil auf die behaupteten hohen Prozentwerte.
Die US-Forscher hatten in einer Ergänzung im Oktober klargestellt, dass sich die von ihnen erhobenen Zahlen nicht zum Errechnen eines Anteils von Fehlgeburten eignen. Hinweise auf Gefahren für Schwangerschaften durch die Impfung sehen sie aber weiterhin nicht. Auch die neuseeländischen Forscher haben ihre Auswertung inzwischen zurückgezogen und einen Fehler in ihrer Rechnung eingeräumt.
Die Ständige Impfkommission in Deutschland empfiehlt Schwangeren die Corona-Impfung mit den Impfstoffen von Moderna oder Biontech/Pfizer, jedoch erst ab dem zweiten Drittel der Schwangerschaft. Zudem gibt es keine Hinweise auf «toxische mRNA-Partikel» in der Milch stillender Mütter oder Auswirkungen der Impfung auf die Fruchtbarkeit von Menschen, wie die Deutsche Presse-Agentur bereits in Faktenchecks dargelegt hat.
Der fehlerhafte deutschsprachige Artikel war ursprünglich auf dem Portal «achgut.com» erschienen, nach der Zurückziehung der neuseeländischen Auswertung hier aber mit einem Korrekturhinweis versehen worden.
(Stand: 24.11.2021)
Links
Neuseeländische Auswertung der US-Zahlen (November 2021, archiviert)
Ursprüngliche US-Studie für die CDC (17.06.2021) (archiviert)
dpa-Faktencheck zu ähnlicher Behauptung (2.8.2021)
Faktencheck von «PolitiFact» (12.11.2021) (archiviert)
Nachtrag der US-Forscher (14.10.2021) (archiviert)
Neuseeländischer Medienbericht über Zurückziehung der Auswertung (17.11.2021) (archiviert)
Zurückgezogene Auswertung (archiviert)
Empfehlung der Ständigen Impfkommission für Schwangere (27.9.2021) (archiviert)
dpa-Faktencheck zu Impfungen und Muttermilch (18.6.2021)
dpa-Faktencheck zu angeblicher Unfruchtbarkeit (20.1.2021)
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