Kein Beleg für vermeintlich «toxisches» Protein: Daten aus Tierversuchen nicht mit Impfung an Menschen vergleichbar

18.06.2021, 11:13 (CEST)

Seit dem 7. Juni können sich in Deutschland alle ab 12 Jahren um einen Corona-Impftermin bemühen - die Priorisierung wurde aufgehoben. Doch nach wie vor kursieren Falschinformationen um die Sicherheit der Impfstoffe. In sozialen Medien kursiert derzeit eine Warnung des kanadischen Virologen Byram Bridle vor angeblich «toxischen» Folgen der Impfung. Er will anhand von Daten aus den Tierversuchsstudien der mRNA-Impfung von Biontech/Pfizer entdeckt haben, dass ein Bestandteil des Vakzins gefährlich sei. Konkret geht es um das Stachel-Protein des Coronavirus. Es soll sich angeblich in menschlichen Organen anreichern. Die Warnung zielt besonders auf Säuglinge: «SPIKE PROTEIN IN DER MUTTERMILCH IST TOXISCH», heißt es in einem Bericht (hier archiviert). Ist diese Behauptung wissenschaftlich gedeckt?

Bewertung

Es gibt keine Belege für die Behauptung. Die Tierversuchsdaten sind nicht neu und mit dem, was im menschlichen Körper bei der Impfung passiert, nicht vergleichbar. Bisher konnten wissenschaftliche Studien keine mRNA aus der Impfung in Muttermilch finden.

Fakten

Die mRNA-Impfungen der Hersteller Biontech/Pfizer und Moderna funktionieren nach folgendem Prinzip: Injiziert wird eine Art Bauplan, mit dem die menschlichen Zellen dann das sogenannte Stachel-Protein herstellen, was auf der Oberfläche des Coronavirus sitzt. Der Körper erkennt das fremde Protein und lernt, eine Immunantwort auszulösen. Diese soll Geimpfte dann künftig vor einer Corona-Infektion schützen.

Genau diesen Vorgang stellt Bridle nun als Problem dar: Tierversuchsstudien zum mRNA-Impfstoff von Biontech/Pfizer sollen zeigen, dass das Spike-Protein aus der mRNA-Impfspritze ins Blut gelange, sich in Organen anreichere und Erkrankungen auslöse.

Neu sind diese Studien nicht: Das Dokument mit den Daten aus den Tierversuchen ist seit Monaten online verfügbar und wurde im Zulassungsverfahren des Pfizer-Impfstoffs in Japan verwendet. Dieselben Inhalte hat auch die Europäische Arzneimittelagentur (Ema) während des Zulassungsverfahrens für den Biontech-Impfstoff für die EU verwendet.

Aus den Daten der Tierversuche zieht Bridle dann falsche Schlüsse. Zunächst erwähnt er nicht, dass die Ratten in dem Versuch eine viel höhere Dosis erhielten. Sie bekamen 50 Mikrogramm Impfstoff, während eine Dosis des Biontech/Pfizer-Impfstoffs für Menschen nur 30 Mikrogramm enthält. Die durchschnittliche Ratte wiegt zwischen 300 und 500 Gramm - also um ein Vielfaches weniger als der Mensch.

Die Tests mit den Ratten liefen auch anders ab, als es bei einer Impfung der Fall ist. «Im Tierversuch wurde das Spike-Protein direkt als lösliches Protein oder auf der Oberfläche von anderen Viren injiziert. Das ist bei der Impfung anders», sagte der Dortmunder Immunologe Carsten Watzl der Deutschen Presse-Agentur (dpa).

Bei der Impfung bleibe das Spike-Protein fast vollständig im Muskel. «Es ist kein lösliches Protein, es schwimmt also nicht in großen Mengen im Organismus herum», so Watzl. Auch der Immunologe Christian Bogdan, Mitglied der Ständigen Impfkommision (Stiko), nannte es auf dpa-Anfrage «sehr unwahrscheinlich», dass sich das Spike-Protein aus der Impfung in relevantem Ausmaß im Körper an Organe binde.

Zudem ist das Spike-Protein, was der Körper bei der Impfung generiert, nicht vergleichbar mit dem Protein, das bei einer Infektion dem Virus den Eintritt in die menschlichen Zellen ermöglicht. «Wir impfen mit einem Spike-Protein, das verändert wurde. Es ist nicht mehr so sehr in der Lage an den Rezeptor der menschlichen Zellen zu binden, seine Form zu verändern und mögliche toxische Effekte auszulösen», sagte Immunologe Watzl.

Aus diesen Erklärungen der Vorgänge im Körper lässt sich auch ableiten, warum das Spike-Protein nicht über die Muttermilch weitergegeben werden kann und nicht gefährlich für Säuglinge ist.

Erste wissenschaftliche Untersuchungen ergeben ebenfalls keine Hinweise darauf, dass die Impfung einen Einfluss auf die Muttermilch hat. Es gibt mehrere (laufende) Studien zu diesem Thema in mehreren Ländern, wobei einige noch auf die Begutachtung von Fachkollegen warten. Keiner kam bisher zu dem Schluss, dass ein mRNA-Impfstoff in nennenswerter Weise in der Muttermilch vorhanden war. Stattdessen wurden Hinweise auf mütterliche Antikörper gegen COVID-19 in der Muttermilch gefunden - was ein Vorteil für Neugeborene sein kann.

Auf Basis dieser Erkenntnisse und weil eine Covid-Erkrankung für Mütter viel größere Risiken birgt, empfehlen in Deutschland fünf medizinische Fachgesellschaften für Gynäkologie oder Geburtsmedizin sowie weitere geburtsmedizinische Verbände gemeinsam in einer Erklärung die Corona-Impfung auch für Schwangere und Stillende.

(Stand: 16. Juni 2021)

Links

Paul-Ehrlich-Institut erklärt Funktionsweise der mRNA-Impfung (archiviert)

Biontech/Pfizer-Tierversuchsstudie für Japan (archiviert)

Bewertungsbericht der Europäischen Arzneimittelbehörde zum Biontech/Pfizer-Impfstoff (archiviert)

Studie über Nachweis des Spike-Proteins im Blut (2021) (archiviert)

Studie (2021, noch nicht begutachtet) Golan, Prahl et al. zu mRNA-Impfstoffen und Muttermilch (archiviert)

Studie (2021, noch nicht begutachtet) Mattar, Koh et al. zu mRNA-Impfstoffen, Fertilität und Laktation (archiviert)

Studie Perl, Uzan-Yulzari et al. zu Stillen und Corona-Impfung (archiviert)

US-Studie Gray et al. zu Corona-Impfstoffen bei Schwangeren und Stillenden (archiviert)

Empfehlung zur Impfung von Schwangeren und Stillenden (archiviert)

Blogbeitrag mit dem Interview mit Virologen Byram Bridle (archiviert)

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