Rechnung falsch: Häufigkeit der Fehlgeburten in Studie liegt im Durchschnitt

02.08.2021, 16:30 (CEST)

Immer wieder werden Daten zur Corona-Pandemie und den Covid-Impfstoffen in den sozialen Medien falsch interpretiert. So wird etwa behauptet, eine Studie offenbare ein «erschütterndes Resultat»: Nach mRNA-Impfungen habe es 81,9 Prozent Fehlgeburten vor der 20. Schwangerschaftswoche gegeben. Das steht auf einem Facebook-Sharepic (archiviert) mit Bezug auf eine wissenschaftliche Studie. Auf der sogenannten mRNA-Technologie basieren zum Beispiel die Präparate von Moderna und Biontech/Pfizer.

Bewertung

Das ist falsch. Die Rate der Fehlgeburten liegt in der Studie bei 12,6 Prozent. Der Anteil entspricht dem Durchschnitt.

Fakten

Bei der Berechnung der Fehlgeburten (angeblich 81,9 Prozent) gibt das Sharepic einen Denkfehler wieder. Es bezieht sich auf eine Studie mit dem Titel «Preliminary Findings of mRNA Covid-19 Vaccine Safety in Pregnant Persons» im medizinischen Fachjournal «The New England Journal of Medicine» (NEJM). Danach kam es bei 115 von 827 Frauen (13,9 Prozent) zu einem sogenannten Schwangerschaftsverlust («pregnancy loss»). 712 Teilnehmerinnen (86,1 Prozent) hatten eine sogenannte Lebendgeburt («live birth»).

Auf diese Daten bezieht sich die Argumentation: 104 der Frauen (12,6 Prozent) erlitten eine Fehlgeburt («spontaneous abortion»), eine Frau eine Totgeburt (0,1 Prozent). Zehn Frauen (1,2 Prozent) hatten eine Abtreibung oder eine Eileiterschwangerschaft (Anm. diese kann nicht ausgetragen werden). Zu 96 der 104 Fehlgeburten (92,3 Prozent) kam es innerhalb der ersten 13 Schwangerschaftswochen. 700 der Frauen (84,6 Prozent) erhielten ihre erste Impf-Dosis im dritten Trimester (25. bis 40. Woche)

Bei der Berechnung der Fehlgeburten (angeblich 81,9 Prozent) machen die Nutzer nun einen Denkfehler: Die Rate der Fehlgeburten setzt sich nicht zusammen aus 104 Frauen mit Fehlgeburt vor der 20. SSW von 127 Frauen, die im ersten oder zweiten Trimester geimpft worden sind, sondern sie wird berechnet aus 104 Frauen von insgesamt 827 Teilnehmerinnen mit abgeschlossener Schwangerschaft. Das sind, wie in der Studie angegeben, 12,6 Prozent.

Die Facebook-Poster kommen auf 81,9 Prozent, weil sie die Fehlgeburten aus den bisher abgeschlossenen Schwangerschaften berechnen. Tatsächlich gibt es aber viele Frauen, deren Schwangerschaft noch läuft und die im ersten oder zweiten Trimester geimpft worden sind. Deshalb wären es mehr als 127 frühgeimpfte Schwangere, unter denen man den Prozentsatz an Fehlgeburten berechnen müsste. Das sagte auch eine Sprecherin der US-Gesundheitsbehörde CDC der AFP für einen Faktencheck zu dem Thema.

Und mit 12,6 Prozent Fehlgeburten scheint die Zahl bei Geimpften in etwa so hoch zu sein wie bei Untersuchungen vor der Corona-Pandemie. Die vorläufigen Ergebnisse hätten jedenfalls keine Sicherheitsbedenken bei Schwangeren ergeben, die mRNA-Covid-19-Impfstoffe erhalten hatten, heißt es. Wie in einem dpa-Faktencheck zur selben Studie bereits dargelegt, liegt der Anteil der Frauen, die in der Studie eine Fehlgeburt hatten, im Durchschnitt.

Dem medizinischen Journal The Lancet (2021) zufolge liegt das Gesamtrisiko, eine Fehlgeburt zu erleiden, etwa bei 15,3 Prozent. Die US-Stiftung March of Dimes gibt das Risiko mit zehn bis 15 Prozent an. Die US-Organisation Planned Parenthood nennt zehn bis 20 Prozent. Laut dem wissenschaftlichen Informations-Portal Science Direct (2019) ist die Fehlgeburt die häufigste Komplikation in der Schwangerschaft. Berichten zufolge haben 12 bis 24 Prozent der Frauen mit positivem Schwangerschaftstest eine Fehlgeburt.

Die US-Gesundheitsbehörde Centers for Disease Control and Prevention (CDC) schreibt, dass nach der derzeitigen Datenlage keine Sicherheitsbedenken für schwangere Frauen bestünden, die geimpft wurden. Die Ständige Impfkommission (STIKO) in Deutschland empfiehlt die «generelle Impfung» aufgrund fehlender Forschungsergebnisse bislang nicht. Schwangeren, die ein erhöhtes Risiko für eine Ansteckung oder eine schwere Erkrankung hätten, könne aber ein mRNA-Impfstoff angeboten werden.

Die Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG) rät seit Mai ausdrücklich zu einer Impfung mit den vom NEJM untersuchten mRNA-Impfstoffen. Eine «systematische Nachbeobachtung» so geimpfter Schwangerer in den USA habe «keinen Hinweis» auf vermehrte Komplikationen wie Fehlgeburten ergeben. Eine Covid-19-Erkrankung hingegen führe «gehäuft» zu Komplikationen.

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Hinweis: Im 3. und 4. Absatz wurden Formulierungen nachträglich geändert, um statistische Zusammenhänge deutlicher zu machen. Außerdem wurde der Link zu einem AFP-Faktencheck ergänzt.

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(Stand:15.7.2021)

Links

Facebook-Sharepic (archiviert)

Studie des «New England Journal of Medicine» (NEJM) (archiviert)

The Lancet zu Fehlgeburten (2021) (archiviert)

US-Stiftung March of Dimes zu Fehlgeburten (archiviert)

US-Organisation Planned Parenthood zu Fehlgeburten (archiviert)

Wissenschaftsportal Science Direct zu Fehlgeburten (archiviert)

Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG) zu Impfungen bei Schwangeren (archiviert)

AFP-Faktencheck (archiviert)

Empfehlung der Ständige Impfkommission (STIKO) zu Impfungen bei Schwangeren (archiviert)

Kontakt zum dpa-Faktencheckteam: faktencheck@dpa.com