Geschichte falsch dargestellt

Spanische Grippe wurde durch Influenzaviren verursacht

12.05.2023, 14:14 (CEST)

Muss die Geschichte über die Spanische Grippe neu geschrieben werden? Nein, denn Behauptungen, die Pandemie wäre durch einen Impfstoff-Test verursacht worden, gehören ins Reich der Fantasie.

Verschwörungsgläubige behaupten nicht nur fälschlicherweise, die Corona-Pandemie wäre das Werk globaler Eliten; bereits die Spanische Grippe soll das Ergebnis eines fehlgeschlagenen Impfstoffversuches gewesen sein. In einem auf Facebook verbreiteten Video wird behauptet, auf einer US-amerikanischen Militärbasis in Fort Riley, Kansas, sei 1918 an einer Meningitis-Impfung geforscht worden. Die Soldaten, die zum Test geimpft wurden, hätten das mit der Impfung verbundene Bakterium über Auslandseinsätze in die Welt getragen und dadurch die tödliche Pandemie verursacht. Stimmt das?

Bewertung

Das ist falsch. Unter Wissenschaftlern ist unstrittig, dass ein Influenzavirus die Pandemie verursacht hat. Nach Ansicht von Experten kann ein Versuch mit einem Meningitis-Impfstoff nicht zum Ausbruch beigetragen haben.

Fakten

Erst Jahrzehnte nach der Spanischen Grippe wurde eindeutig bewiesen, dass die Pandemie durch das H1N1-Virus verursacht wurde. Johan Hultin untersuchte 1951 die Lunge eines Opfers, das in Alaska begraben war. Die Entdeckung war nur möglich, weil das kalte Klima der Region den Körper der Frau in gutem Zustand hielt.

Erst im Jahr 1997 gelang dem amerikanischen Virologen Jeffrey Taubenberger dann die genetische Sequenzierung des Virus. Auf Basis der sterblichen Überreste eines Soldaten wies Taubenberger nach, dass das Virus aus nur einem RNA-Strang bestand. Johan Hultin kehrte daraufhin nach Alaska zurück, entnahm eine weitere Probe aus der Lunge des Opfers und leitete das Material an Taubenberger weiter. Nach einem Test wurde bestätigt, dass es sich um das H1N1-Virus handelt.

Studie untersuchte zusätzliche bakterielle Lungenentzündung

Das verbreitete Video zeigt unter anderem einen Screenshot einer Pressemitteilung auf der Website des US-amerikanischen National Institute of Health, die die Überschrift trägt: «Bakterielle Lungenentzündung verursachte die meisten Todesfälle in der Influenza-Pandemie von 1918». Dies soll beweisen, dass die Spanische Grippe nicht durch das Influenzavirus, sondern durch Bakterien ausgelöst wurde.

Die Pressemitteilung bezieht sich auf eine Studie, die im «Journal of Infectious Diseases» unter dem Titel «Die vorherrschende Rolle der bakteriellen Lungenentzündung als Todesursache bei pandemischer Influenza: Implikationen für die Vorbereitung auf eine Influenzapandemie» veröffentlicht wurde. Im Rahmen der Studie wurden 58 Lungengewebeproben untersucht und die Daten von 8 398 Autopsieuntersuchungen ausgewertet.

Dabei wurde festgestellt, dass in den meisten Fällen eine zusätzliche bakterielle Lungenentzündung nachgewiesen wurde, die während oder nach der Erstinfektion mit der Spanischen Grippe auftrat. Das bedeutet jedoch nicht, dass die Menschen allein durch diese bakterielle Infektion starben oder die Influenza keine Rolle für den Krankheitsverlauf gespielt hat.

Auch Wilfried Witte, der an der Charité in Berlin zur Geschichte der Grippe forscht, erklärt auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur (dpa): «Viele starben schlicht an herkömmlichen Pneumonien, die durch Bakterien als Sekundärerreger ausgelöst worden sind. Es gibt aber keinen Anhaltspunkt dafür, dass das Grippevirus dabei unwichtig gewesen wäre.»

Meningitis-Impfstofftests können keine Grippepandemie auslösen

Die Behauptung, die Spanische Grippe wäre durch Bakterien verursacht, wird in dem verbreiteten Video damit erklärt, dass 1918 ein Impfstoff gegen Meningitis getestet wurde. Hierbei sollen die Probanden die Bakterien durch den Test erhalten und anschließend über Auslandseinsätze in die Welt getragen haben.

Tatsächlich wurde im Jahr 1918 ein Impfstoff getestet. Dieser wurde gegen Meningokokken-Bakterien und Meningitis entwickelt und hat mit der Grippe nichts zu tun.

«Meningitis ist eine andere Krankheit, die durch eine Art von Bakterien verursacht wird. Sie ist weder genetisch noch eng mit der Influenza verwandt», erklärte Donald Burke, Epidemiologe und ehemaliger Dekan der University of Pittsburgh Graduate School of Public Health der Nachrichtenagentur Reuters. «Die Grippe ist ein Virus, eine viel kleinere Mikrobe als ein Bakterium; es handelt sich um völlig unterschiedliche Arten von Mikroorganismen, die völlig unterschiedliche Krankheiten verursachen.»

Abgesehen davon wurde bei dem Impfstoffversuch ein abgetötetes Virus verwendet. Das zeigt der Bericht des Versuchs und bestätigt auch Winfried Kern, Infektiologe am Universitätsklinikum Freiburg, auf dpa-Anfrage: «Der Impfstoff nutzte ja hitzeinaktivierte Meningokokken (und auch Sterilitätsprüfungen anschließend). Das heißt, die Bakterien waren tot, konnten sich also weder im Körper des Geimpften, noch sonst wo verbreiten.»

Ursprung der Spanischen Grippe unklar

Über die geografischen Ursprünge der Spanischen Grippe von 1918 wird noch immer gestritten. Einige Historiker sind der Meinung, dass die Krankheit in Amerika ausgebrochen sein könnte, während andere glauben, dass sie in Frankreich, im Vereinigten Königreich oder in China ausgebrochen ist und sich dann in die Welt ausgebreitet hat.

Der erste bekannte Fall eines Patienten, der sich mit der durch das H1N1-Virus verursachten Spanischen Grippe infizierte, wurde am 4. März 1918 in Fort Riley im US-Bundesstaat Kansas registriert. Dies bedeutet jedoch nicht, dass es sich um den wirklich ersten Patienten handelte. In anderen Teilen von Kansas wurden im Januar grippeähnliche Fälle gemeldet, und es wird vermutet, dass das Virus schon vorher an anderen Orten aufgetreten sein könnte.

Spanische Grippe schon länger Basis von Falschbehauptungen

Es sprechen also mehrere Gründe dafür, dass der Ausbruch und die Ausbreitung der Spanischen Grippe von 1918 nicht das Ergebnis eines Impfstoff-Tests war. Im Gegenteil: Das Fehlen eines wirksamen Impfstoffs gegen das Influenzavirus trug dazu bei, dass die Ausbreitung der Krankheit nicht eingedämmt werden konnte. Die ersten Impfstoffe gegen das Influenzavirus wurden in den 1940er Jahren entwickelt.

Die Spanische Grippe war eine der schlimmsten Pandemien der Geschichte. Die Anzahl der Todesopfer lässt sich nicht genau festmachen. Sie liegt unterschiedlichen Angaben zufolge zwischen 20 und 50 Millionen, wie sich etwa beim Journal of Preventive Medicine and Hygiene, der Weltgesundheitsorganisation (WHO) oder im Bulletin of the History of Medicine nachlesen lässt.

Mehrere dpa-Faktenchecks haben sich bereits mit der Behauptung beschäftigt, die Spanische Grippe wäre angeblich nicht von Influenzaviren verursacht worden. Der eigentliche Ursprung wird in manchen Posts verschiedenen Impfungen, aber auch Bakterien nachgesagt. Diese Falschbehauptungen konnten jedoch alle widerlegt werden.

(Stand: 11.5.2023)

Links

Institut für Zeitgeschichte zur Spanischen Grippe (archiviert)

Studie zum Virusursprung der Spanischen Gruppe (archiviert)

Studie zu Todesursachen der Spanischen Grippe (archiviert)

Bericht von Meningitis-Impfstoffversuch in 1918 (archiviert)

CDC zum Influenza-Virus (archiviert)

CDC zur Entwicklung der Spanischen Grippe (archiviert)

Informationen zur Entdeckung des H1N1-Virus (archiviert)

Artikel zur Entdeckung des Virus der Spanischen Grippe (archiviert)

Informationen über Meningokokken (archiviert)

Informationen zu schwer verlaufender Meningitis (archiviert)

Pressemitteilung zur Studie (archiviert)

Universität Bern zur Spanischen Grippe (archiviert)

Reuters-Faktencheck zum Thema (archiviert)

Spiegel-Artikel zum Virus der Spanischen Grippe (archiviert)

dpa-Faktencheck zur Spanischen Grippe

dpa-Faktencheck zur Spanischen Grippe 2

dpa-Faktencheck zur Spanischen Grippe 3

Journal of Preventive Medicine zur Historie von Grippepandemien (archiviert)

Weltgesundheitsorganisation zu Grippepandemien (archiviert)

Bulletin of the History of Medicine zur Sterbezahlen (archiviert)

Archiviertes Video aus Facebook-Post

Facebook-Post (archiviert)

Über dpa-Faktenchecks

Dieser Faktencheck wurde im Rahmen des Facebook/Meta-Programms für unabhängige Faktenprüfung erstellt. Ausführliche Informationen zu diesem Programm finden Sie hier.

Erläuterungen von Facebook/Meta zum Umgang mit Konten, die Falschinformationen verbreiten, finden Sie hier.

Wenn Sie inhaltliche Einwände oder Anmerkungen haben, schicken Sie diese bitte mit einem Link zu dem betroffenen Facebook-Post an faktencheck@dpa.com. Nutzen Sie hierfür bitte die entsprechenden Vorlagen. Hinweise zu Einsprüchen finden Sie hier.

Schon gewusst?

Wenn Sie Zweifel an einer Nachricht, einer Behauptung, einem Bild oder einem Video haben, können Sie den dpa-Faktencheck auch per WhatsApp kontaktieren. Weitere Informationen dazu finden Sie hier.