Pfizer-Dokument längst bekannt

Schwangeren wird Corona-Impfung besonders empfohlen

23.06.2022, 14:57 (CEST)

Für Schwangere gilt die Corona-Impfung als sicher und empfehlenswert. Das Gegenteil beweisen auch bestimmte Pfizer-Dokumente nicht - weder sind sie neu, noch treffen absurde Folgerungen daraus zu.

Rund eineinhalb Jahre nach Beginn der Corona-Impfkampagne sind weltweit bereits Hunderte Millionen Menschen geimpft worden und damit vor einer schweren Covid-Erkrankung besser geschützt. Unter Impfgegnern verbreiten sich jedoch noch immer vermeintliche Horror-Nachrichten: «Neue vertrauliche Dokumente von Pfizer enthüllen, dass die Covid-Impfung zu einer Entvölkerung führen wird», lautet die Überschrift eines Blogbeitrags. In diesem geht es darum, dass angeblich «fast jede» mit Pfizer/Biontech geimpfte schwangere Frau ihr Kind verloren haben soll. Was steckt dahinter?

Bewertung

Es gibt keine Hinweise darauf, dass eine Corona-Impfung Schwangeren oder Ungeborenen schadet. Der Blogbeitrag deutet Daten aus einer seit Monaten bekannten Pfizer-Analyse grundlegend falsch - ein vermeintliches Massensterben ist selbst berechneter Nonsens. Die Impfung wird Schwangeren und Frauen mit Kinderwunsch explizit empfohlen, da Schwangere ein erhöhtes Risiko für einen schweren Verlauf von Covid-19 haben.

Fakten

Eine neue Enthüllung gibt es nicht. Das Pfizer-Dokument, auf das sich der Beitrag bezieht, ist schon seit langem öffentlich und wurde bereits zur Verbreitung von Falschinformationen herangezogen.

Es wurde nun lediglich neu veröffentlicht - erkennbar auch am Dateinamen «Reissue» (zu Deutsch: Wiederveröffentlichung). Vergleiche beider Versionen zeigen: Auf einer Seite des 38 Seiten langen Dokuments sind nun Zahlen lesbar, die zuvor geschwärzt waren (Seite 6). Auf diesen Seiten geht es jedoch nicht um Behauptungen über Schwangere.

Das Dokument gehört zu Analysen, die Pfizer nach der Zulassung seines Impfstoffs der US-Zulassungsbehörde FDA übermitteln musste, damit die Sicherheit der Impfung weiter überwacht werden konnte. Öffentlich wurde diese Analyse durch eine Informationsfreiheitsklage in den USA.

Informationen zur Wirksamkeit und Sicherheit des Corona-Impfstoffs von Pfizer/Biontech sind bereits seit Ende 2020 öffentlich einsehbar, in der klinischen Teststudie, die Pfizer/Biontech vor Zulassung ihres Covid-19-Impfstoffs durchgeführt hatte.

In dem im Februar und nun erneut veröffentlichten Bericht analysiert Pfizer Verdachtsfälle von Nebenwirkungen, die nach der Impfung auftraten. Diese Verdachtsfälle wurden über verschiedene Wege direkt an Pfizer gemeldet - etwa über Daten von Gesundheitsbehörden, aus wissenschaftlicher Literatur oder über eigene Meldeprogramme. Die Verdachtsfälle stammen aus der Zeit zwischen der Zulassung des Biontech-Pfizer-Impfstoffs im Dezember 2020 und dem 28. Februar 2021.

Um den Bericht über die Verdachtsfälle von Nebenwirkungen richtig zu interpretieren, müssen seine Einschränkungen beachtet werden: Die Meldungen geben einen Ausschnitt wieder - die Größe der Dunkelziffer ist unbekannt. Er nennt auch nicht die Zahl aller im Berichtszeitraum verabreichten Impfungen an Schwangere. Diese Informationen wären aber nötig, um ein Verhältnis zwischen verabreichten Impfungen und Verdachtsfällen von Nebenwirkungen abzuschätzen.

Dazu kommt: Nicht immer sind in den Meldungen alle medizinisch relevanten Informationen zu einem Fall enthalten. Außerdem lässt sich aus den Verdachtsmeldungen nicht schlussfolgern, dass die Impfung für den unerwünschten medizinischen Effekt verantwortlich war. Auf all diese Einschränkungen wird zu Beginn der Analyse hingewiesen.

Diese listet im Kapitel «Fehlende Informationen» 270 gemeldete Fälle von geimpften Schwangeren auf. Für 238 dieser Schwangerschaften fehlt eine Meldung dazu, wie diese ausgegangen sind. Das kann etwa daran liegen, dass diese Informationen schlicht nicht gemeldet wurden - über die Schwangerschaften sagt es jedenfalls nichts aus.

Weiter wurde eine normale Geburt gemeldet, und es gibt fünf Meldungen zu einem offenen Ausgang - hier ist also bekannt, dass die Schwangerschaft (damals) noch andauerte. Außerdem wurden 28 Fälle gemeldet, in denen die Schwangerschaft mit dem Tod des Fötus respektive Neugeborenen endete.

Der Blogbeitrag interpretiert diese Zahlen aus der Pfizer-Analyse völlig falsch: Auf Basis von 32 Schwangerschaften mit bekanntem Ausgang (270 minus 238) und 28 Schwangerschaften mit tödlichem Ausgang wird berechnet, «dass 90 Prozent der schwangeren Frauen, die die Spritze erhielten, ihre Babys verloren». Das ergibt keinerlei Sinn: Der größte Teil der Schwangerschaften - nämlich die mit unbekanntem Ausgang - wird außer Acht gelassen.

Ignoriert wird auch die Grundgesamtheit: die Zahl aller geimpften Schwangeren im Untersuchungszeitraum. Allein in den USA wurden bis zum 16. Februar 2021 laut der Gesundheitsbehörde CDC mindestens 30 494 schwangere Frauen gegen Covid-19 geimpft.

Schließlich wird die medizinische Aussagekraft der gemeldeten Schwangerschaften mit tödlichem Ausgang nicht hinterfragt. Denn ob die gemeldeten Fälle der Abbrüche und Fehlgeburten etwas mit der Impfung zu tun haben, wird in der Pfizer-Analyse nicht bewertet.

Dass Schwangerschaften ungewollt enden, kommt regelmäßig vor: Schätzungsweise dreißig, vielleicht sogar bis zu vierzig Prozent aller Schwangerschaften endeten in den ersten zwölf Wochen vorzeitig, sagte Christian Albring, der Vorsitzende des Berufsverbands der Frauenärzte, der Deutschen Presse-Agentur (dpa) im Jahr 2016. Erst nach der zwölften Woche spricht man von einer Fehlgeburt.

Es gibt keine Belege dafür, dass die Covid-Impfung schädlich für Schwangere, Stillende oder Ungeborene ist. Im Gegenteil: Schwangere sind besonders gefährdet, schwer an Covid-19 zu erkranken. Das zeigen Daten der «Cronos-Registerstudie», die den Zustand von Müttern und Babys untersucht, wenn sich die Mutter während der Schwangerschaft mit Covid-19 infiziert. Weitere internationale Studien (etwa hier und hier und hier) bestätigen diese Beobachtung.

In den aktualisierten Empfehlungen der Ständigen Impfkommission (Stiko) wird Frauen ab dem zweiten Schwangerschaftsdrittel eine Corona-Impfung mit einem mRNA-Impfstoff empfohlen. Es gebe nur sehr wenige Gründe gegen eine Impfung von werdenden Müttern - etwa eine bekannte Allergie gegen einen der Inhaltsstoffe.

Falschinformationen können Schwangere, Frauen mit Kinderwunsch und ihre Angehörigen in die Irre führen. Die Deutsche Presse-Agentur hat Gerüchten und Fakes zu den Themen Fruchtbarkeit und Schwangerschaft mehrere Faktenchecks gewidmet. So gibt es etwa keine Hinweise auf «toxische mRNA-Partikel» in der Milch stillender Mütter und auch keine erhöhte Rate von Fehlgeburten nach der Covid-Impfung.

Auch die britische Regierung hat Schwangeren nicht bis vor kurzem «stillschweigend davon abgeraten», sich gegen Corona impfen zu lassen, wie es in dem Blogbeitrag heißt. Nachvollziehbar ist das auf verschiedenen Versionen einer Informationsseite der britischen Regierung.

Im Dezember 2020, kurz vor Beginn der Impfkampagne, heißt es dort, dass der Pfizer/Biontech-Impfstoff noch nicht in der Schwangerschaft angewandt worden sei. Deshalb werde empfohlen, dass sich Schwangere nicht impfen lassen sollten, bis mehr Informationen zur Verfügung stünden. Das ist ein übliches Vorgehen bei neuen Arzneimitteln, um Schwangere zu schützen.

Bereits im April 2021 änderte sich diese Empfehlung, da Daten zu 90 000 geimpften Schwangeren in den USA keine Sicherheitsbedenken gezeigt hätten. Nun heißt es, dass «schwangeren Frauen die Covid-19-Impfung zur gleichen Zeit angeboten werden sollte wie Personen des gleichen Alters oder der gleichen Risikogruppe». In der aktuellsten Version (Stand 11. April 2022) wird eine Impfung für Schwangere «dringend» empfohlen.

(Stand: 22.06.2022)

Links

dpa-Faktencheck «Unsinnige Rechnung ergibt angebliche Todesrate»

Daten der klinischen Zulassungsstudie des Covid-19-Impfstoffes von Biontech/Pfizer (archiviert)

Pfizer-Analyse aus Informationsfreiheitsanfrage (archiviert)

Reuters-Faktencheck zur falsch interpretierten Analyse (archiviert)

US-Seuchenbehörde CDC zur Impfung von Schwangeren (Archivlink zum Stand Februar 2020)

dpa-Meldung zur Häufigkeit von Aborten bei Schwangerschaften, veröffentlicht auf «welt.de» (archiviert)

dpa-Faktencheck «Berechnung von Fehlgeburten beruht auf falschen Zahlen»

Informationen zur «Cronos-Registerstudie» (archiviert)

Studie zur Gefährdung von Schwangeren bei einer Covid-19-Infektion 1 (archiviert)

Studie zur Gefährdung von Schwangeren bei einer Covid-19-Infektion 2 (archiviert)

Studie zur Gefährdung von Schwangeren bei einer Covid-19-Infektion 3 (archiviert)

Empfehlung der Ständigen Impfkommission (STIKO) zur Impfung gegen Covid-19 von Schwangeren und Stillenden (archiviert)

dpa-Faktencheck «Impfung macht nicht unfruchtbar - sie wird Schwangeren besonders empfohlen»

dpa-Faktencheck «Anteil der Fehlgeburten in Studie zu mRNA-Impfung liegt im Durchschnitt»

dpa-Faktencheck «Rechnung falsch: Häufigkeit der Fehlgeburten in Studie liegt im Durchschnitt»

dpa-Faktencheck «Kein Beleg für vermeintlich «toxisches» Protein: Daten aus Tierversuchen nicht mit Impfung an Menschen vergleichbar»

Informationsseite der britischen Regierung mit Stand 6. Dezember 2020

Informationsseite der britischen Regierung mit Stand 23. April 2021

Informationsseite der britischen Regierung aktuell mit Stand 11. April 2022 (archiviert)

Blogbeitrag mit der Falschinformation (archiviert)

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