Unsinnige Rechnung ergibt angebliche Todesrate
10.2.2022, 15:49 (CET)
Unzählige Male wurde bereits die Behauptung widerlegt, die Covid-19-Impfung sei gefährlich für Ungeborene. Dennoch heißt es aktuell in der Überschrift eines Blogbeitrags: «Schock-Enthüllung bei Pfizer-Impfstoffstudien: Fast 100-prozentige Todesrate (!) unter ungeborenen Kindern bei Schwangeren!» (archiviert).
Bewertung
Es gibt keine Hinweise darauf, dass eine Corona-Impfung Schwangeren oder Ungeborenen schadet. Der Blogbeitrag deutet Daten aus einer Pfizer-Analyse grundlegend falsch - die angebliche Todesrate ist selbst berechneter Nonsens. Die Impfung wird Schwangeren und Frauen mit Kinderwunsch explizit empfohlen, da Schwangere ein erhöhtes Risiko für einen schweren Verlauf von Covid-19 haben.
Fakten
Als Erstes muss klargestellt werden: Bei der «Impfstoff-Studie» handelt es sich nicht um die klinische Teststudie, die Pfizer/Biontech vor der Zulassung ihres Covid-19-Impfstoffs durchgeführt hat. Diese Daten zur Sicherheit und Wirksamkeit sind seit Ende 2020 öffentlich einsehbar - von einer «Enthüllung» kann keine Rede sein.
Stattdessen geht es um die «Kumulierte Analyse von Berichten über unerwünschte Ereignisse nach der Zulassung». Sie stammt aus Dokumenten, die Pfizer auch nach der Zulassung seines Impfstoffs der US-Zulassungsbehörde FDA übermitteln muss, damit die Sicherheit der Impfung weiter überwacht werden kann. Öffentlich wurde diese Analyse durch eine Informationsfreiheitsklage in den USA.
In diesem Bericht analysiert Pfizer Verdachtsfälle von Nebenwirkungen, die nach der Impfung auftraten. Diese Verdachtsfälle wurden über verschiedene Wege direkt an Pfizer gemeldet - etwa über Daten von Gesundheitsbehörden, aus wissenschaftlicher Literatur oder über eigene Meldeprogramme. Die Verdachtsfälle ereigneten sich in der Zeit zwischen der Zulassung des Biontech-Pfizer-Impfstoffs im Dezember 2020 und dem 28. Februar 2021.
Um den Bericht über die Verdachtsfälle von Nebenwirkungen richtig zu interpretieren, müssen seine Einschränkungen beachtet werden: Die Meldungen geben einen Ausschnitt wieder - die Größe der Dunkelziffer ist unbekannt. Er nennt auch nicht die Zahl aller im Berichtszeitraum verabreichten Impfungen an Schwangere. Diese Informationen wären aber nötig, um ein Verhältnis zwischen verabreichten Impfungen und Verdachtsfällen von Nebenwirkungen abzuschätzen.
Dazu kommt: Nicht immer sind in den Meldungen alle medizinisch relevanten Informationen zu einem Fall enthalten. Außerdem lässt sich aus den Verdachtsmeldungen nicht schlussfolgern, dass die Impfung für den unerwünschten medizinischen Effekt verantwortlich war. Auf all diese Einschränkungen wird zu Beginn der Analyse hingewiesen.
Diese listet 270 gemeldete Fälle von geimpften Schwangeren auf. Für 238 dieser Schwangerschaften fehlt eine Meldung dazu, wie diese ausgegangen sind. Das kann etwa daran liegen, dass diese Informationen schlicht nicht gemeldet wurden.
Weiter wurde eine normale Geburt gemeldet, außerdem gibt es fünf Meldungen zu einem offenen Ausgang - hier ist also bekannt, dass die Schwangerschaft (damals) noch andauerte. Außerdem wurden 28 Fälle gemeldet, in denen die Schwangerschaft mit dem Tod des Fötus respektive Neugeborenen endete.
Der Blogbeitrag interpretiert diese Zahlen aus der Pfizer-Analyse völlig falsch: Auf Basis von 32 Schwangerschaften mit bekanntem Ausgang (270 minus 238) und 28 Schwangerschaften mit tödlichem Ausgang wird eine Todesrate von 87,5 Prozent berechnet. Das ergibt keinerlei Sinn: Der größte Teil der Schwangerschaften - die mit unbekanntem Ausgang - wird außer Acht gelassen. Ignoriert wird auch die Grundgesamtheit: die Zahl aller geimpften Schwangeren im Untersuchungszeitraum. Allein in den USA wurden bis zum 16. Februar 2021 laut der Gesundheitsbehörde CDC mindestens 30 494 schwangere Frauen gegen Covid-19 geimpft.
Der Beitrag missachtet, dass die Pfizer-Analyse nur einen kleinen Ausschnitt von Fällen zeigt, wie auch ein Faktencheck der Nachrichtenagentur Reuters beschreibt.
Und schließlich wird die medizinische Aussagekraft der gemeldeten Schwangerschaften mit tödlichem Ausgang nicht hinterfragt. Dabei ist unbekannt, ob die gemeldeten Fälle der Abbrüche und Fehlgeburten etwas mit der Impfung zu tun haben. Der genau medizinische Hintergrund wird in der Pfizer-Analyse nicht bewertet.
Dass Schwangerschaften ungewollt enden, kommt regelmäßig vor: Schätzungsweise dreißig, vielleicht sogar bis zu vierzig Prozent aller Schwangerschaften endeten in den ersten zwölf Wochen in einem Abort, sagte Christian Albring, der Vorsitzende des Berufsverbands der Frauenärzte, der Deutschen Presse-Agentur (dpa) im Jahr 2016. Erst nach der zwölften Woche spricht man von einer Fehlgeburt.
Es gibt keine Belege dafür, dass die Covid-Impfung schädlich für Schwangere, Stillende oder Ungeborene ist. Im Gegenteil: Schwangere sind besonders gefährdet, schwer an Covid-19 zu erkranken. Das zeigen Daten der «Cronos-Registerstudie», die den Zustand von Müttern und Babys untersucht, wenn sich die Mutter während der Schwangerschaft mit Covid-19 infiziert. Weitere internationale Studien (etwa hier und hier und hier) bestätigen diese Beobachtung.
In den aktualisierten Empfehlungen der Ständigen Impfkommission (Stiko) wird Frauen ab dem zweiten Schwangerschaftsdrittel eine Corona-Impfung mit einem mRNA-Impfstoff empfohlen. Es gebe nur sehr wenige Gründe gegen eine Impfung von werdenden Müttern, etwa eine bekannte Allergie gegen einen der Inhaltsstoffe.
Falschinformationen können Schwangere, Frauen mit Kinderwunsch und ihre Angehörigen in die Irre führen. Die Deutsche Presse-Agentur hat Gerüchten und Fakes zu den Themen Fruchtbarkeit und Schwangerschaft mehrere Faktenchecks gewidmet. So gibt es etwa keine Hinweise auf «toxische mRNA-Partikel» in der Milch stillender Mütter und auch keine erhöhte Rate von Fehlgeburten nach der Covid-Impfung.
(Stand: 10.02.2022)
Links
Daten der klinischen Zulassungsstudie des Covid-19-Impfstoffes von Biontech/Pfizer (archiviert)
Pfizer-Analyse aus Informationsfreiheitsanfrage (archiviert)
Reuters-Faktencheck zur falsch interpretierten Analyse (archiviert)
US-Seuchenbehörde CDC zur Impfung von Schwangeren (Archivlink zum Stand Februar 2020)
dpa-Meldung zur Häufigkeit von Aborten bei Schwangerschaften, veröffentlicht auf «welt.de» (archiviert)
dpa-Faktencheck «Berechnung von Fehlgeburten beruht auf falschen Zahlen»
Informationen zur «Cronos-Registerstudie» (archiviert)
Studie zur Gefährdung von Schwangeren bei einer Covid-19-Infektion 1 (archiviert)
Studie zur Gefährdung von Schwangeren bei einer Covid-19-Infektion 2 (archiviert)
Studie zur Gefährdung von Schwangeren bei einer Covid-19-Infektion 3 (archiviert)
Empfehlung der Ständigen Impfkommission (STIKO) zur Impfung gegen Covid-19 von Schwangeren und Stillenden (archiviert)
dpa-Faktencheck «Impfung macht nicht unfruchtbar - sie wird Schwangeren besonders empfohlen»
dpa-Faktencheck «Anteil der Fehlgeburten in Studie zu mRNA-Impfung liegt im Durchschnitt»
dpa-Faktencheck «Rechnung falsch: Häufigkeit der Fehlgeburten in Studie liegt im Durchschnitt»
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