Aussagen von RKI-Präsident Wieler sind aus dem Kontext gerissen

9.12.2020, 17:19 (CET)

Lothar Wieler ist in der Corona-Pandemie eine präsente Figur in den Medien. Immer wieder werden dem Präsidenten des Robert Koch-Instituts (RKI) im Netz jedoch angebliche Aussagen zugeschrieben, die dieser gar nicht getätigt hat. Ein Ausschnitt aus einem TV-Interview etwa wird mit der Behauptung verbreitet: «Lothar Wieler (RKI) ist sich nicht sicher, ob es das Virus überhaupt gibt» (hier archiviert).

BEWERTUNG: Das hat Wieler nicht gesagt. In dem Ausschnitt spricht Wieler über Lehren aus der Corona-Krise. Er fügt dabei ein: «unabhängig davon, ob es dieses Virus gibt oder nicht». Das wird in den Postings im Netz aber aus dem Kontext gerissen. Im Interview beziehen sich die Worte auf die vorherige Frage danach, ob das Coronavirus wieder vollständig verschwinden werde.

FAKTEN: Das kurze Video zeigt einen Ausschnitt aus einem Interview mit RKI-Präsident Lothar Wieler in der Sendung «phoenix persönlich» vom 15. Oktober 2020. Wieler und der Moderator sprechen über die Corona-Pandemie und unter anderem über Zukunftsaussichten. Wieler sagt, dass man durch Impfstoffe wieder zu einem Leben komme, «wie es vor Corona war».

Er ergänzt: «Ich hoffe allerdings auch, dass wir eine Reihe von Dingen gelernt haben, die vielleicht sowohl für die Umwelt als auch für andere ökologische Aspekte (...) weiter so gehalten werden, also unabhängig davon, ob es dieses Virus gibt oder nicht. Denn wir haben, glaube ich, auch viel gelernt, wie wir unsere Gesellschaft auch besser in die Zukunft führen können, in der Zeit.»

Bei diesen auf Facebook verbreiteten Aussagen fehlt jedoch wichtiger Kontext aus dem Phoenix-Interview. Wielers Formulierung «unabhängig davon, ob es dieses Virus gibt oder nicht» nimmt Bezug auf das Thema unmittelbar zuvor. Da sagte Wieler: «Ich persönlich gehe davon aus, dass das Virus nie mehr verschwinden wird. (...) Es wird sich anpassen, es wird hoffentlich weniger krank machen.»

Es geht also nicht um die Frage, ob das Coronavirus überhaupt existiert, wie sie von Anhängern von Verschwörungserzählungen irreführenderweise immer wieder aufgeworfen wird. Vielmehr dreht sich Wielers Aussage um eine Zukunft mit oder ohne Fortbestand des Virus.

Auch die von Wieler erwähnten Themen Umwelt und Ökologie sind ein Rückbezug. Einige Minuten zuvor ging es in dem Interview um Zoonosen, also Krankheiten, die von Tieren auf den Menschen überspringen. Auch beim Coronavirus geht das RKI von einem solchen Ursprung aus. Wieler spricht über Probleme wie eine immer größere Nähe zwischen Wildtieren und Menschen, illegalen Handel mit exotischen Tieren und das Nahrungsverhalten, die bei Zoonosen allesamt eine Rolle spielten. Er fordert: «Wir müssen illegalen Tierhandel verbieten. Natürlich sollten sich auch die Ernährungsgewohnheiten der Menschen ändern, ganz klar.»

Im Internet werden Wieler immer wieder fälschlicherweise Aussagen in den Mund gelegt. Zuletzt kursierten etwa Postings dazu, dass es laut Wieler eigentlich keinen Corona-Erreger gebe und dass Senioren «durch Impfungen geopfert» werden sollten - beides ebenfalls Aussagen, die er nicht getätigt hat, wie die Deutsche Presse-Agentur in mehreren Faktenchecks gezeigt hat.

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Links:

Interview bei «phoenix persönlich»: https://www.youtube.com/watch?v=-pxoXSFEqXA (archiviert: https://archive.vn/AM6A8)

Beitrag auf Facebook: https://www.facebook.com/watch/?v=498429671057716 (archiviert: https://archive.vn/mX9I6)

RKI zum Ursprung des Coronavirus Sars-CoV-2:
https://www.rki.de/SharedDocs/FAQ/NCOV2019/FAQ_Liste.html (archiviert: http://dpaq.de/KrmCz)

dpa-Faktencheck «RKI mahnte genaue Überwachung von möglichen Impf-Nebenwirkungen an»:
https://dpa-factchecking.com/germany/201208-99-615139/

dpa-Faktencheck «RKI-Chef hat Existenz des Coronavirus nicht bestritten»:
https://dpa-factchecking.com/germany/201203-99-554666/

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