Fantasiediagnose «Turbokrebs»
Covid-Impfung für Krebsbetroffene wird weiterhin empfohlen
19.9.2024, 11:46 (CEST)
Krebs ist die zweithäufigste Todesursache in der Schweiz. Der Schweizerische Krebsbericht 2021 zeigte auf, dass die Zahl der Krebspatientinnen und Krebspatienten im Zeitraum zwischen 2013 und 2017 angestiegen ist. Die Sterblichkeit ist zwar rückläufig, absolut gesehen nimmt die Anzahl Todesfälle aufgrund der steigenden Zahl älterer Menschen aber zu. Durchschnittlich starben gemäss dem Krebsbericht pro Jahr rund 17.050 Personen an Krebs.
Für das Jahr 2022 verzeichnete das Bundesamt für Statistik (BFS) bei 9310 Männern sowie bei 7910 Frauen (gesamt: 17.220) die Todesursache Krebs. Ist in jüngster Zeit, wie in einem Screenshot via Instagram verbreiteten Artikel behauptet, «ein schnelles Fortschreiten der Krankheit, das als "Turbokrebs" bezeichnet wird», zu beobachten? (Schreibweise im Original) Steht dieses angebliche Phänomen in einem Zusammenhang mit Corona-Impfungen?
Bewertung
Die Behauptungen sind falsch. Zwar sterben immer mehr Menschen in der Schweiz aufgrund von Krebs, allerdings hat das nichts mit den Covid-19-Impfungen zu tun. «Turbokrebs» ist derweil keine medizinische Diagnose oder Bezeichnung. Expertenorganisationen empfehlen Krebsbetroffenen weiterhin eine Covid-19-Impfung.
Fakten
Die Krebsliga Schweiz empfiehlt Krebsbetroffenen weiterhin, sich gegen das Coronavirus impfen zu lassen. «Es gibt bisher keine Hinweise, dass die Covid-19-Impfstoffe Krebserkrankungen auslösen oder zu Rückfällen führen», schreibt die Krebsliga auf ihrer Website. Auch das deutsche Robert Koch-Institut (RKI), die biomedizinische Forschungseinrichtung der Bundesregierung, sieht keinerlei wissenschaftlich erwiesenen Zusammenhang zwischen Impfungen und Krebs.
In einer im September 2024 aktualisierten Impfempfehlung rät das Bundesamt für Gesundheit (BAG) zu jährlich einer Impfdosis des Covid-19-Impfstoffes für Personen ab 16 Jahren mit einem Risiko für einen schweren Corona-Verlauf. Krebs zählt zu den Vorerkrankungen, die ein erhöhtes Risiko für einen schweren Verlauf darstellen (Download S. 17). Auch Organisationen im Ausland empfehlen die Corona-Impfung für Krebsbetroffene. Mehrere Studien belegen die Wirksamkeit von Covid-19-Impfstoffen bei Krebspatienten.
Generell steigt die Anzahl der Krebsbetroffenen. Dabei werden immer mehr Fälle in der Altersgruppe der unter 50-Jährigen verzeichnet. Gemäss der Krebsliga Ostschweiz könnten neben einer verbesserten Diagnostik auch beispielsweise der vermehrte Verzehr von stark verarbeiteten Lebensmitteln und Fast Food sowie Übergewicht dafür verantwortlich sein. Zudem steigt die Zahl älterer Menschen und damit die Anzahl Krebsbetroffener.
«Turbokrebs» ist ein erfundener Begriff
Der Begriff «Turbokrebs» ist gemäss RKI ein erfundener Begriff. Wie die Deutsche Presse-Agentur (dpa) nachwies, ist dieser Begriff von einem Rechtsanwalt geprägt worden und keine bekannte medizinische Bezeichnung.
Ein angeblicher Anstieg von Tumorbefunden in Folge der Impfung ist der Deutschen Gesellschaft für Hämatologie und Medizinische Onkologie (DGHO) nicht bekannt. «Wenn das ein echtes Problem wäre, hätten wir das bemerkt», hatte die Jenaer Professorin Marie von Lilienfeld-Toal, Vorstandsmitglied der Arbeitsgemeinschaft für Infektionen in der DGHO, bereits 2022 der dpa gesagt.
Die wissenschaftliche Arbeit, die im via Screenshot auf Instagram verbreiteten Artikel herangezogen wird und Covid-19-Impfungen mit Krebs und Autoimmunerkrankungen in Verbindung bringt, liegt erst als sogenannter Preprint (Deutsch: Vorabdruck) vor.
Die Studie wurde also noch nicht in einem Peer-Review-Prozess zertifiziert. Forscher reichen dabei ihre Artikel bei Fachmagazinen ein, warten die Begutachtung durch Experten ab und überarbeiten kritisierte Stellen, bis der Artikel schließlich akzeptiert und publiziert wird.
Einer der Autoren der herangezogenen Studie ist der als Covid-Massnahmenkritiker bekannte Peter A. McCullough. Der Kardiologe hatte unter anderem irreführende Zahlen zu Herztoten unter Sportlern verbreitet. In der aktuellen Arbeit wird darauf hingewiesen, dass die zugrundeliegenden Daten vorläufig sein könnten.
Hersteller und Behörden prüfen Impfstoffe
Wie bereits in einem früheren Faktencheck ausgeführt, prüfen die Impfstoffhersteller, aber auch die Schweizerische Heilmittelbehörde Swissmedic die Vakzine auf Wirksamkeit, Sicherheit und Qualität, bevor sie hierzulande auf den Markt gebracht werden. Swissmedic überwachte auch nach der Zulassung die Covid-Impfstoffe und stuft das Nutzen-Risiko-Verhältnis Stand Februar 2023 als positiv ein.
Swissmedic hat 6490 Verdachtsfälle unerwünschter Wirkungen der Covid-19-Impfungen als schwerwiegend eingestuft. In 236 dieser Fälle wurde über einen Todesfall in unterschiedlichem zeitlichen Abstand zur Impfung berichtet. «Bei der vertieften Analyse dieser Fälle gab es auf Basis der jeweils vorliegenden Daten trotz einer zeitlichen Assoziation andere mögliche oder wahrscheinlichere Ursachen, die das Ereignis erklären können», schrieb Swissmedic.
(Stand: 19.9.2024)
Links
BAG: Krebs, 13.11.2020 (archiviert)
BAG: Empfehlung für die Covid-19-Impfung, 16.9.2024 (archiviert)
BFS: Schweizerischer Krebsbericht 2021 (archiviert)
BFS: Medienmitteilung Schweizerischer Krebsbericht 2021, 14.10.2021 (archiviert)
BFS: Spezifische Todesursachen (archiviert)
dpa-Faktencheck über Covid-19-Impfstoffe, 26.1.2023 (archiviert)
Krebsliga: Fragen und Antoworten, 19.9.2023 (archiviert)
Krebsliga Ostschweiz: Jahresbericht 2023, 8.5.2024 (archiviert)
RKI: Faktensandwich zum Thema Sicherheit, 4.9.2023 (archiviert)
DKFZ: Corona, Covid-19 und Krebs, 3.7.2023 (archiviert)
Hum Vaccines & Immunother: Studie über Covid-19-Impfung bei Krebsbetroffenen, 14.6.2023 (archiviert)
JAMA: Studie über Covid-19-Impfung bei Krebsbetroffenen, 21.4.2022 (archiviert)
Swissmedic: Verdachtsmeldungen unerwünschter Wirkungen der Covid-19 Impfungen, 24.2.2023 (archiviert)
dpa-Faktencheck «Onkologen empfehlen Krebspatienten Covid-Impfung», 21.1.2022
dpa-Faktencheck «Turbokrebs» ist kein medizinischer Begriff, 1.2.2023
dpa-Faktencheck «Herztote unter Sportlern 2021 im statistischen Normalbereich», 18.1.2023
Authorea Open Research: Oncogenesis and autoimmunity as a result of mRNA Covid-19 Vaccination, 23.4.2024 (archiviert)
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