Rothschilds außen vor

Die allermeisten Zentralbanken sind in Staatsbesitz

01.03.2023, 08:43 (CET)

Antisemitische Behauptungen sind schnell erfunden und verbreitet - völlig unabhängig von den Fakten. Dafür halten sich solche Stereotype oft umso hartnäckiger.

Was haben die Zentralbanken von Russland, den USA, Luxemburg und 161 weiteren Ländern gemeinsam? Sie stehen angeblich sämtlich unter der Kontrolle der Bankiersfamilie Rothschild. Das behauptet ein Video, das aktuell in Sozialen Netzwerken geteilt wird. Mit dem Internationalen Währungsfonds und der Weltbank sehe es ähnlich aus, wird da verbreitet. Die Wirklichkeit ist allerdings eine andere.

Bewertung

Die Rothschilds kontrollieren nicht die meisten Zentralbanken der Erde. Und auch andere Behauptungen über die reiche Familie sind völlig aus der Luft gegriffen.

Fakten

In einem aktuellen Facebook-Post aus Luxemburg wird ein Video von der Webseite von kla.tv geteilt. Die Webseite, früher als klagemauer.tv bekannt, bezeichnet sich selbst als «Sender für unzensierte Berichterstattung». In dem 13 Minuten langen Video aus dem Jahr 2019 wird knapp 3 Minuten lang, unterlegt von bedrohlich wirkender Musik, eine Liste von Zentralbanken aus 163 Staaten der Erde gezeigt. Diese Liste zeige Banken, «die im Besitz oder unter Kontrolle der Rothschilds stehen», behauptet die Moderatorin.

Die Liste ist ein reines Fantasieprodukt. Sie kursiert seit Jahren im Internet, unter anderem auf der ebenfalls auf derartige Darstellungen spezialisierten Webseite «derwaechter.net», die auch einen Teil des auf «kla.tv» vorgetragenen Textes enthält.

Tatsächlich ist die Bankiersfamilie Rothschild weder Eigentümerin der genannten Zentralbanken noch kontrolliert sie deren Geschicke. Die allermeisten Zentralbanken, die im Regelfall für die Währungspolitik und die Ausgabe von Banknoten verantwortlich sind, sind in Staatsbesitz. Praktisch alle Zentralbanken, die seit Ende des Zweiten Weltkrieges neu gegründet wurden, sind staatlich. Eine Ausnahme war die Zentralbank Pakistans, die aber später ebenfalls verstaatlicht wurde.

Aktuell gibt es nur noch wenige Zentralbanken, die sich nicht im vollständigen Staatsbesitz befinden. Nach einer Auflistung in dem zur Bank of England gehörenden Blog «Bank Underground» handelt es sich dabei um neun Zentralbanken von höchst unterschiedlichem Gewicht. Die Rothschilds spielen dabei überhaupt keine Rolle.

Die Zentralbanken Belgiens, Griechenlands, Japans, San Marinos, der Schweiz, Südafrikas und der Türkei haben dieser Aufstellung zufolge gemischte Eigentümermodelle, zu denen auch private Besitzer und Institutionen gehören. In Japan, San Marino oder der Türkei ist der Staat Mehrheitsaktionär, in Belgien und der Schweiz ist der Staat etwa zur Hälfte beteiligt. Die Zentralbanken der USA und Italiens sind demnach in «privatem» Besitz.

Die Besitzverhältnisse sagen jedoch wenig darüber aus, wer in diesen Zentralbanken das Sagen hat. So besteht das Federal Reserve System (Fed) der USA tatsächlich aus zwölf über das gesamte Land verteilten Reserve Banks. Deren Eigentümer sind die in dem jeweiligen Gebiet tätigen Geschäftsbanken. Die Reserve Banks finanzieren sich vor allem aus den Erträgen von Anleihen, verbleibende Gewinne fließen an das Finanzministerium der USA.

Die 1913 per Gesetz gegründete US-Notenbank betrachtet sich selbst nicht als eine private Bank. Sie weist auf ihrer Webseite darauf hin, dass die zwölf Reserve Banks keine profitorientierten Banken sind. Vor allem sei das Board of Governors, das vom Präsidenten der USA ernannt und vom Senat bestätigt wird, eine Behörde der US-Bundesregierung. Entscheidungen des Boards und des für die Währungspolitik wichtigen Federal Open Market Committee werden unabhängig getroffen. Regierungsstellen müssen nicht zustimmen.

Die im Video aufgestellte Behauptung (ab Minute 3:47), die russische Zentralbank sei nach der Revolution von 1917 für 99 Jahre von den Rothschilds kontrolliert worden, ist falsch. Ein Blick in die Geschichte der russischen Zentralbank gibt keinen Anhaltspunkt dafür. Auch die später aufgestellte Behauptung, die Bank of England befinde sich unter der Kontrolle der Rothschilds, hat mit der Realität nichts zu tun. Tatsächlich wurde die englische Notenbank zwar vor mehr als 300 Jahren als private Bank gegründet, doch wurde sie 1946 verstaatlicht. Sie ist also nicht im Besitz der Rothschilds.

Die Rothschilds stehen entgegen der Behauptung im Video (ab Minute 7:12) nicht an der Spitze der Weltbank. Die Weltbank befindet sich im Besitz von 189 Mitgliedstaaten und wird geführt von Vertretern der Regierungen und einem Direktorengremium, wozu kein Rothschild gehört. Der Internationale Währungsfonds (IWF) gehört auch nicht den Rothschilds. Er gehört vielmehr 190 Mitgliedstaaten. Zum gewählten Führungsgremium (Executive Board) gehört ebenfalls kein Rothschild.

Für die Behauptung, die Rothschilds stünden «hinter allen Kriegen seit Napoleon», weil es profitabel sei, beide Seiten eines Krieges zu finanzieren, gibt es ebenfalls keinerlei Beleg. Als Beleg soll ein angebliches Zitat von Gutle Rothschild, der Frau des Frankfurter Bankgründers Mayer Amschel Rothschild, aus dem Jahr 1849 dienen: «Wenn meine Söhne keine Kriege wollten, würde es keine geben.» Einen Beweis für die Authentizität des Zitats gibt es nicht, wohl aber eine völlig andere Version, für die es ebenfalls keinen Nachweis gibt: «Es kommt nicht zum Krieg - meine Söhne geben kein Geld dazu her.»

Zu den eher überraschenden Falschbehauptungen in dem Video gehört die Mitteilung, dass die Vereinigten Staaten von Amerika «eine Körperschaft sind, die vom Ausland beherrscht wird». Eigentümer der USA sei nämlich die «Virginia Company», die der britischen Krone gehöre, dem Papst überschrieben worden und dann wieder zur Krone gewechselt sei. Die US-Präsidenten seien nur «Hauptgeschäftsführer», die Geld für die britische Krone und den Vatikan erwirtschafteten. Die britische Krone wiederum kontrolliere die USA aus der «City of London». Dieser Bankenbezirk sei ein «unabhängiger und souveräner Staat» und werde auch von den Rothschilds kontrolliert.

Tatsächlich wurde die «Virginia Company», die die erste britische Kolonie in Amerika gründen wollte, schon 1624 aufgelöst. Die «City» hat zwar einen historisch begründeten Sonderstatus unter den britischen Gebietskörperschaften, ist aber kein unabhängiger Staat und wird auch nicht von der Familie Rothschild kontrolliert.

(Stand: 28.02.2023)

Links

Facebook-Post, archiviert

Video, archiviert

Selbstbeschreibung kla.tv, archiviert

Liste, archiviert

Artikel Eigentümer Zentralbanken, archiviert

Bank Underground, archiviert

Federal Reserve System, archiviert

Webseite russische Zentralbank, archiviert

Bank of England, archiviert

Weltbank Mitglieder, archiviert

Weltbank Führungsgremium, archiviert

IWF Mitglieder, archiviert

IWF-Führungsgremium, archiviert

Virginia Company, archiviert

Sonderstatus City of London , archiviert

dpa-Faktencheck zur City of London (Niederländisch)

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