Kein Beleg für mehr Nebenwirkungen

KBV-Daten enthalten vor allem harmlose Impfreaktionen

06.07.2022, 16:54 (CEST)

Häufig haben Menschen nach Impfungen lästige, aber harmlose Beschwerden wie Kopfweh oder Müdigkeit. Die fehlende Abgrenzung zu seltenen, echten Nebenwirkungen nutzen Impfgegner, um Stimmung zu machen.

Milliarden Menschen haben weltweit eine Impfung gegen das Coronavirus erhalten. Überall, wo geimpft wird, gehen die Zulassungsstellen davon aus, dass der Nutzen der Schutzwirkungen das Risiko eventueller Nebenwirkungen übersteigt. Dennoch verbreiten Impfgegner nach wie vor Falschinformationen über angeblich vielfach erhöhte Schäden durch die Covid-Impfung.

Aktuelle Beiträge in sozialen Medien berufen sich dabei auf Daten einer wichtigen Gesundheitsorganisation: «Die kassenärztliche Bundesvereinigung hat endlich die Zahl der von Niedergelassenen Ärzten codierten Impfnebenwirkungen veröffentlicht: Die 2,5 Mio entsprechen 1,5% aller Impfungen. In früheren Jahren lag der Wert bei 0,3%, also 5-fach darunter für konventionelle Impfungen», heißt es in einem Facebook-Beitrag (hier archiviert). Dazu wird eine Tabelle gezeigt, in der für die Jahre 2016-2020 die Anzahl der Impfungen und die Anzahl der Patienten mit Impfnebenwirkungen auflistet, sowie für 2021 die Anzahl der Impfungen gegen Covid-19 und ebenfalls die Anzahl der Patienten mit Impfnebenwirkungen. Belegen diese Zahlen tatsächlich eine erhöhte Zahl von Nebenwirkungen?

Bewertung

Die Schlussfolgerungen sind falsch. Die Zahlen der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) unterscheiden nicht zwischen üblichen Impfreaktionen und meldepflichtigen Nebenwirkungen. Die KBV weist außerdem auf Einschränkungen hin, die dazu führen, dass die Impfungen aus den Vorjahren mit der Covid-Impfung nicht vergleichbar sind.

Fakten

Die Zahlen in der Tabelle stammen tatsächlich von der KBV, wie die Organisation auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur (dpa) bestätigt. Die AfD-Fraktion im Bundestag hatte die KBV gebeten, Zahlen zu codierten Impfnebenwirkungen für eine öffentliche Anhörung im Gesundheitsausschuss zusammenzustellen. Dem war die KBV nachgekommen. Die Daten sind nicht veröffentlicht, die dpa konnte aber das vollständige Dokument einsehen.

Doch der nun kursierende Vergleich von früheren Impfungen mit den Zahlen zur Covid-Impfung ist nicht sauber: Es werden unterschiedliche Dinge miteinander gleichgesetzt und falsche Schlüsse daraus gezogen.

Zunächst wird nicht exakt dargestellt, was die KBV in der Tabelle mit «Impfnebenwirkungen» meint. Tatsächlich fallen darunter auch typische, harmlose Impfreaktionen: Etwa Rötungen oder Schmerzen an der Einstichstelle. «Sie bilden den mit Abstand größten Anteil der registrierten Unverträglichkeiten und Komplikationen», teilt der Vorstand der KBV mit.

Mitnichten wurden also schwere Nebenwirkungen bei 2,5 Millionen Geimpften gemeldet. Sehr klein steht das auch unter der Tabelle - in einigen Beiträgen in sozialen Medien ist das aber nicht vollständig zu sehen.

Diese Ungenauigkeit war bereits in der Vergangenheit Gegenstand von Falschinformationen über vermeintlich stark erhöhte Nebenwirkungen. Dabei wurde versäumt, zwischen vorübergehenden Symptomen nach einer Impfung wie Kopfschmerzen, Müdigkeit oder Schmerzen an der Einstichstelle und tatsächlich schweren, anhaltenden Gesundheitsproblemen zu unterscheiden.

Auch der Vergleich der Covid-Impfung mit früheren Impfungen hinkt: Experten haben immer wieder betont, dass die hohe öffentliche Aufmerksamkeit während der Pandemie auch zu mehr Meldungen möglicher Impfreaktionen und -nebenwirkungen führt. Das kann die Vergleichbarkeit einschränken. Darauf weist die KBV auch in dem Dokument hin, dass sie für die AfD zusammenstellte und das die dpa einsehen konnte. «Der Unterschied zwischen den von Ärztinnen und Ärzten dokumentierten im Vergleich zu den dem PEI gemeldeten Impfreaktionen ist daher nachvollziehbar und war zu erwarten», heißt es darin.

Aus der gemeldeten Zahl von rund 2,5 Millionen Patientinnen und Patienten mit Impfreaktionen und Impfnebenwirkungen kann nach Angaben der KBV auch nicht geschlossen werden, dass sie aufgrund dieser Beschwerden in eine Arztpraxis gekommen seien. «Patientinnen und Patienten werden auch wegen anderer Beschwerden wie z.B. einer chronischen Grunderkrankung zum Arzt gegangen sein und dabei die Impfnebenwirkung erwähnt haben, was der Arzt wiederum dann codiert hat», teilt der KBV-Vorstand mit.

In der Tabelle der KBV werden zudem unterschiedliche Quellen zusammengeführt: Die Anzahl der Impfungen zwischen 2016 und 2020 stammt aus dem vertragsärztlichen Bereich. Die Anzahl der Covid-Impfungen 2021 stammt aus dem vertragsärztlichen und dem nicht-vertragsärztlichen Bereich - beinhaltet also weitere Meldungen aus anderer Quelle. Anhand dieser Auflistung unterschiedlicher Teilmengen vermeintliche Anteile von Nebenwirkungen wie 1,5 und 0,3 Prozent zu errechnen, ergibt also wenig Sinn. Daraus lässt sich keine verlässliche Aussage zu einem Vergleich von Impfreaktionen und Nebenwirkungen treffen.

(Stand: 06.07.2022)

Links

Facebook-Beitrag mit der Behauptung (archiviert)

dpa-Faktencheck «BKK Provita erfasst auch milde Impfreaktionen, nicht nur meldungspflichtige Nebenwirkungen»

dpa-Faktencheck «Verdachtsfälle werden häufiger gemeldet, nicht tatsächliche Nebenwirkungen»

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