Corona-Verdachtsfälle mit bestätigten Todesfällen verwechselt
18.2.2022, 11:03 (CET)
Milliarden von Menschen sind bereits mehrfach gegen das Coronavirus geimpft, die Impfungen verhindern vielfach schwere Verläufe oder gar Todesfälle. Trotzdem halten sich weiterhin hartnäckig Mythen über die Sicherheit der Corona-Impfstoffe. In sozialen Netzwerken wird neuerdings behauptet, in den USA stürben mehr Kinder an der Impfung als am Virus selbst. Für Großbritannien gelte ähnliches.
Bewertung
Falsch. In der US-Datenbank werden lediglich Verdachtsfälle gelistet, keine bestätigten Todesfälle. Auch die Zahlen aus Großbritannien liefern keine Hinweise auf Todesfälle bei Kindern durch die Corona-Impfung.
Fakten
Die Behauptungen in dem Video und einem Blogbeitrag beziehen sich auf Daten, die solche Schlüsse nicht zulassen. Die gezeigten Daten des britischen Office for National Statistics (ONS) listen zwar die Zahlen der Geimpften und Ungeimpften sowie Todesfälle auf. Jedoch werden Todesfälle, die aufgrund der Impfung eingetreten sein könnten, nicht gesondert aufgeführt. Auch aus den Daten des Vaccine Adverse Event Reporting System (Vaers) der US-Gesundheitsbehörde CDC lassen sich keine tatsächlichen Todesfälle durch Impfungen ablesen.
Daten aus Großbritannien
Laut ONS starben zwischen dem 1. Januar 2021 und dem 31. Oktober 2021 in England in der Altersgruppe der 10- bis 19-Jährigen 346 Menschen - davon waren 256 nicht geimpft. Von diesen nicht gegen Corona geimpften Kindern und Jugendlichen starben 20 an einer Corona-Infektion. Bei den Geimpften gab es in dieser Altersgruppe nur drei Covid-19-Todesfälle.
Tatsächlich gab es bei den geimpften Kindern und Jugendlichen prozentual gesehen knapp dreimal mehr Todesfälle als bei den Ungeimpften. Die Tabelle liefert aber keine Hinweise darauf, dass dies mit den Impfungen zusammenhängt. Vielmehr wurden auch in Großbritannien jüngere Kinder zunächst nur dann geimpft, wenn sie Vorerkrankungen hatten - und damit je nach Vorerkrankung grundsätzlich ein erhöhtes Sterberisiko. Die geimpfte Gruppe ist also nicht repräsentativ.
Insgesamt gab es in England und Wales bis Ende 2021 zehn Todesfälle, bei denen ein ursächlicher Zusammenhang zur Corona-Impfung angenommen wird. Laut Angaben aus dem November - damals gab es neun solcher Fälle - wurden dabei keine Todesfälle bei Menschen unter 35 Jahren registriert.
Mythen über die Vaers-Datenbank
Auch die Vaers-Datenbank ist ausdrücklich keine Dokumentation von durch Impfungen verursachten Nebenwirkungen. Sie sammelt lediglich Verdachtsfälle, die auch Privatpersonen wie Patienten oder Familienangehörige melden können.
Eine Vaers-Meldung beweise im Allgemeinen nicht, dass die Impfstoffe das unerwünschte Ereignis verursacht hätten, heißt es auf der Seite. Die Meldung bestätige «nur, dass das gemeldete Ereignis irgendwann nach der Verabreichung des Impfstoffs aufgetreten ist». Es wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Vaers-Berichte nicht allein zur Feststellung herangezogen werden können, «ob ein Impfstoff ein unerwünschtes Ereignis oder eine Krankheit verursacht oder dazu beigetragen hat».
Aus den Daten lässt sich darum nicht schließen, in wie vielen Fällen die Corona-Impfung kausal einen Todesfall zur Folge hatte.
Kaum bestätigte Impf-Tote in den USA
Die US-Gesundheitsbehörde CDC schreibt, Berichte von Todesfällen nach einer Covid-Impfung seien selten: Bis Mitte Februar 2022 wurden danach etwa 547 Millionen Impfdosen in den USA verabreicht, gemeldet wurden bisher 12 304 derartige Verdachtsfälle. Die Behörden untersuchen die Meldungen auf ihre Richtigkeit. Bisher habe sich ein kausaler Zusammenhang zwischen Todesfall und Impfung nur neun Mal ergeben - alle bei dem Impfstoff von Johnson & Johnson. Der ist in den USA allerdings erst ab 18 Jahren zugelassen.
Seit Beginn der Pandemie wurden jedoch 970 Todesfälle bei unter 18-Jährigen registriert, für die eine Corona-Infektion als Ursache vermutet wird oder bestätigt ist.
James C. Smith nicht im Pfizer-Vorstand
James C. Smith, der in dem Video auch erwähnt wird, ist nicht wie behauptet im Vorstand von Pfizer. Er ist Mitglied im «Board», einer eher dem deutschen Aufsichtsrat vergleichbaren Institution. Er ist außerdem seit Februar 2020 nicht mehr Vorstandsvorsitzender des Medienkonzerns Thomson Reuters, zu dem die Nachrichtenagentur Reuters gehört.
Smith ist nur noch Vorsitzender des «Board» der «Thomson Reuters Foundation» - einer Stiftung, die sich nach eigenen Angaben unter anderem für Pressefreiheit einsetzt. Die Stiftung wird zum Teil von Thomson Reuters finanziert, hat mit dem Faktencheck-Bereich der Nachrichtenagentur Reuters aber nichts zu tun. Die Deutsche Presse-Agentur hat das bereits in einem Faktencheck dargelegt.
Datenbanken, die Verdachtsfälle in Zusammenhang mit der Corona-Impfung sammeln, werden immer wieder falsch interpretiert - zum Beispiel in den USA, in Taiwan oder in Deutschland. Auch die WHO-Datenbank wurde schon falsch wiedergegeben.
(Stand: 17.02.2022)
Links
Video mit Falschbehauptungen (archiviert)
Blogbeitrag mit Falschbehauptungen (archiviert)
Hinweise zur Vaers-Datenbank (archiviert)
Übersicht der ONS-Daten (archiviert)
Kinderimpfungen in Großbritannien (archiviert)
Todesfälle in Zusammenhang mit der Impfung in UK (archiviert)
Stellungnahme zu den Todesfällen in UK (archiviert)
Weitere Hinweise zur Vaers-Datenbank (archiviert)
CDC zu Todesfällen in Zusammenhang mit der Impfung (archiviert)
Johnson & Johnson-Zulassung in den USA (archiviert)
Corona-Todesfälle in den USA (archiviert)
Mitglieder des Pfizer-«Boards» (archiviert)
Definition des «Board» auf Investopedia (archiviert)
Führungswechsel bei Thomson Reuters (archiviert)
Führungsteam der Thomson Reuters Foundation (archiviert)
dpa-Faktencheck zu James C. Smith
dpa-Faktencheck zur US-Datenbank 1
dpa-Faktencheck zur US-Datenbank 2
dpa-Faktencheck zur Datenbank in Taiwan
Kontakt zum dpa-Faktencheckteam: faktencheck@dpa.com