Kein Entschädigungsfonds geplant - Antrag einer EU-Abgeordneten hat keine direkte Konsequenz

10.11.2021, 16:34 (CET)

Wissenschaftliche Studien und die millionenfache Anwendung haben gezeigt: Die Corona-Impfstoffe sind gut wirksam und verursachen nur in sehr seltenen Fällen unerwünschte Nebenwirkungen. In sozialen Medien verbreitet sich nun allerdings die Behauptung, dass es einen finanziellen Ausgleich für Nebenwirkungen geben soll: «Das Europäische Parlament will einen Fond zur Entschädigung der Opfer der »COVID-19-Impfstoffe« einrichten», heißt es in einem Blog-Beitrag (archiviert). Auch auf Twitter und Facebook ist davon die Rede. Ist da etwas dran?

Bewertung

Der Vorgang im Europäischen Parlament wird falsch dargestellt. Derzeit sind keine Pläne der Europäischen Union für einen solchen Fonds bekannt. Eine einzelne Abgeordnete im Europäischen Parlament hat das in einem Antrag gefordert - das hat jedoch keine direkten Konsequenzen. In dem Antrag werden zudem Zahlen über vermeintliche Nebenwirkungen falsch dargestellt, es handelt sich unbestätigte Verdachtsfälle.

Fakten

In manchen Beiträgen werden «Pläne von der Gründung eines EU-Fonds» erwähnt, in anderen heißt es: «Die EU richtet einen Hilfsfond für Impfgeschädigte ein.» (sic) Beides ist falsch. Im Europäischen Parlament hat eine einzelne Abgeordnete, die Französin Virginie Joron vom extrem rechten Rassemblement National, am 23. September 2021 einen Entschließungsantrag dazu eingereicht.

Sie fordert darin die EU-Kommission auf, einen Fonds zur «Entschädigung der Opfer der Impfstoffe gegen COVID-19» einzurichten. Ein Entschließungsantrag kann von jedem Mitglied des Europäischen Parlaments eingereicht werden. Es handelt sich weder um einen konkreten Plan noch um eine Entscheidung eines europäischen Gremiums.

Erfüllt das Dokument alle Bedingungen, wird es vom Präsidenten des Europäischen Parlaments an den zuständigen Ausschuss weitergeleitet. Dieser Ausschuss entscheidet, was mit dem Antrag passiert. Er kann gemäß den Regeln des Europäischen Parlaments auch beschließen, «dem Entschließungsantrag nicht nachzugehen».

Laut Protokoll der Sitzung des Europäischen Parlaments am 21. Oktober ist in diesem Fall der ENVI-Ausschuss für Umweltmanagement, öffentliche Gesundheit und Lebensmittelsicherheit zuständig. Es ist noch nicht bekannt, wie der Ausschuss mit Jorons Entschließungsantrag umgehen wird.

Allerdings beruht schon die Begründung des Antrags auf falschen Annahmen. Joron begründet ihre Idee eines Ausgleichsfonds mit Zahlen der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA) damit, «dass die Europäische Arzneimittel-Agentur bereits rund eine Million Fälle von Nebenwirkungen nach der Impfung mit COVID-19-Impfstoffen aufführt». Das ist nicht korrekt.

Die Zahlen der EMA aus dem europäischen Meldesystems EudraVigilance stellen Verdachtsfälle von vermuteten, aber nicht bestätigten Nebenwirkungen dar. Diese Verdachtsfälle können von jeder Einzelperson oder Mitarbeitern des Gesundheitswesens gemeldet werden. Darauf weist die EMA ausdrücklich hin: «Angaben zu Verdachtsfällen von Nebenwirkungen dürfen nicht so verstanden werden, als hätte das Arzneimittel oder der Wirkstoff die beobachtete Wirkung verursacht oder als sei das Arzneimittel oder der Wirkstoff nicht sicher in der Anwendung.» Im Entschließungsantrag fehlt jedoch diese wichtige Information.

Das Missverständnis, Meldungen von Verdachtsfällen mit negativen Folgen der Impfung gleichzusetzen, ist immer wieder Gegenstand von Falschbehauptungen, die die Deutsche Presse-Agentur in den vergangenen Monaten widerlegt hat.

Zudem ist die im Entschließungsantrag genannte Zahl nicht nur irreführend, sondern auch falsch. Im europäischen Meldesystem EudraVigilance wurden 665 707 Verdachtsfälle von Nebenwirkungen bis zum 30. September 2021 gemeldet - was näher an der halben Million liegt oder gerundet 700 000 wären, aber nicht «rund eine Million» (Stand im Antrag: 18. September 2021).

Die Impfstoffe gegen das Coronavirus sind gut wirksam und ihr Nutzen überwiegt bei weitem mögliche Risiken. Häufig treten unangenehme, aber ungefährliche Impfreaktionen auf, beispielsweise Schmerzen an der Einstichstelle oder Fieber. Schwere Nebenwirkungen wie starke allergische Reaktionen oder Sinusvenenthrombosen gibt es sehr selten.

(Stand: 10. November 2021)

Links

Entschließungsantrag der Abgeordneten Virginie Joron (archiviert)

Antrag als PDF (archiviert)

Kurzvorstellung Virginie Joron auf der Seite des EU-Parlaments (archiviert)

Regeln des Europäischen Parlaments zu Entschließungsanträgen (archiviert)

Protokoll der Sitzung des Europäischen Parlaments am 21. Oktober (archiviert)

Hinweise der Ema zum Verständnis der Meldungen von Verdachtsfällen über Nebenwirkungen (archiviert)

dpa-Faktencheck «EMA-Datenbank listet lediglich vermutete Nebenwirkungen auf»

dpa-Faktencheck «Behörden sammeln Verdachtsfälle, keine bestätigten Nebenwirkungen»

dpa-Faktencheck «Verdachtsfälle werden häufiger gemeldet, nicht tatsächliche Nebenwirkungen»

EMA-Update zur Impfstoffsicherheit vom 30. September 2021 (archiviert)

Robert Koch-Institut zur Wirksamkeit der Corona-Impfstoffe (archiviert)

Gesundheitsministerium zu Impfnebenwirkungen (archiviert)

Blog-Beitrag mit der Behauptung (archiviert)

Tweet mit der Behauptung (archiviert)

Facebook-Beitrag mit der Behauptung (archiviert)

Kontakt zum dpa-Faktencheckteam: faktencheck@dpa.com