Drosten sprach über Wahrnehmung der Corona-Lage im Spätsommer 2020

Ein auf den ersten Blick verblüffendes Video mit einer Aussage des Virologen Christian Drosten macht erneut die Runde auf Facebook (hier archiviert). Darin sagt Drosten auf Englisch offenbar über das Coronavirus, dass «die Krankheit nicht existiert, sie ist nicht da. Wir sehen zurzeit den typischen Befund: Obwohl die Inzidenz hoch geht, gehen die Todeszahlen nicht hoch. Es gibt keine Toten.» Verneint Drosten hier also, dass es eine Pandemie gibt?

Bewertung

Drostens Aussagen stammen aus einem Video-Podcast, der bereits Anfang September 2020 entstand. Er bezog sich darauf, dass das Coronavirus damals in der Öffentlichkeit nicht so präsent war, da im Spätsommer 2020 in Deutschland kaum Menschen an Covid-19 starben. Es ist also irreführend, Drosten als Corona-Leugner darzustellen oder anzudeuten, er würde einen Betrug zugeben. In den vergangenen zwölf Monaten hat es in mehreren Wellen Zehntausende weitere Corona-Todesfälle gegeben.

Fakten

Am 2. September 2020 trat Christian Drosten im englischsprachigen Video-Podcast «This Week in Virology» auf (auf Deutsch etwa: Diese Woche in der Virologie). Dort unterhielt er sich mit drei US-Virologinnen und -Virologen über Entwicklungen zum Coronavirus. In dem auf Facebook kursierenden Videoausschnitt ist das Datum zu Beginn auch in den Untertiteln zu sehen. In den nun erneut auf Facebook kursierenden Beiträgen wird der zeitliche Kontext jedoch nicht erwähnt.

In dem Ausschnitt diskutieren die Virologen darüber, dass die Eindämmung des Coronavirus außer Kontrolle geraten kann, wenn viele Menschen das Ausmaß des Problems unterschätzen. Eine US-Virologin fragt Drosten schließlich, warum auch in Deutschland die Öffentlichkeit das Vertrauen verliere. Darauf antwortet der Virologe der Berliner Charité: «Weil die Krankheit nicht existiert, sie ist nicht da. Wir sehen zurzeit den typischen Befund: Obwohl die Inzidenz hoch geht, gehen die Todeszahlen nicht hoch. Es gibt keine Toten.»

Diese Aussagen beziehen sich also nicht auf die grundsätzliche Existenz des Coronavirus, sondern konkret auf die Corona-Lage in Deutschland vor mehr als einem Jahr: Damals lag die Sieben-Tage-Inzidenz bei 9,1. Am 2. September 2020 wurden dem Robert Koch-Institut 1256 neue Corona-Fälle und 11 neue Todesfälle gemeldet.

Zwar waren die Fallzahlen zuvor etwas angestiegen, vor allem durch Reiserückkehrer. Da eher jüngere Menschen betroffen waren, stiegen die Todeszahlen nicht nennenswert an - auch wenn Drostens Aussage «keine Toten» überspitzt formuliert war. In Wissenschaft und Politik gab es zu diesem Zeitpunkt eine Debatte über drohende weitere Corona-Wellen in Deutschland, zu denen es dann auch tatsächlich kam.

Im weiteren Verlauf der Diskussion im Video-Podcast äußert er die Befürchtung, dass Menschen, die die Details der Ansteckungsdynamik und der Krankheitsverläufe hinter den einzelnen Zahlen nicht verstehen, die Gefährlichkeit oder Existenz des Coronavirus anzweifeln: «Wenn du diese Schlüsse nicht ziehst, dann verlierst du den Glauben», sagt Drosten.

In der Zwischenzeit hat sich die Corona-Lage mehrfach stark verändert. In zwei weiteren Wellen hat es nach Angaben des RKI fast vier Millionen weitere Infektionen gegeben. Über 80 000 weitere Menschen starben an oder mit Covid-19. Zudem sind ansteckendere Varianten des Virus entstanden. Die Politik reagierte immer wieder mit Lockdown-Maßnahmen. Ende Dezember 2020 begann in Europa die Impfkampagne: In Deutschland haben sich seitdem über 50 Millionen Menschen impfen lassen.

Nach einem zwischenzeitlichen Tiefstand Ende Juni liegen die Infektionszahlen in Deutschland inzwischen aber deutlich über dem Niveau von vor einem Jahr. Am 15. September 2021 (wie der 2. September 2020 ein Mittwoch) meldete die Behörde 12 455 Neuinfektionen und eine Sieben-Tage-Inzidenz von 77,9. Noch unklar ist derzeit, ob die Impfquote ausreichend steigen wird, um eine schwere vierte Welle mit vielen Todesfällen zu verhindern. Impfungen gegen das Coronavirus bieten einen sehr hohen Schutz vor schweren Krankheitsverläufen.

(Stand: 18.9.2021)