Keine Hinweise auf Hunderte minderjährige Todesopfer im Kreis Ahrweiler
5.8.2021, 13:04 (CEST)
Schon lange hat keine Naturkatastrophe in Deutschland mehr so viele Menschenleben gekostet wie die Flut im Südwesten Deutschlands. Immer wieder werden in Social-Media-Posts für den Kreis Ahrweiler aber Zahlen genannt, die weit über denen von Polizei und Krisenstab liegen. In diesem Sharepic (archiviert) etwa wird behauptet, es seien die Leichen von 600 Kindern gefunden worden. Gibt es Hinweise darauf, dass das richtig ist?
Bewertung
Es gibt keinerlei Beweise dafür, dass im Kreis Ahrweiler 600 Kinderleichen gefunden wurden. Das Gerücht beruht vermutlich auf einer falsch interpretierten Videoschalte.
Fakten
Im Landkreis Ahrweiler in Rheinland-Pfalz sind von allen betroffenen Gebieten die meisten Menschen umgekommen. Inzwischen wurden dort 141 Todesopfer gefunden, in ganz Rheinland-Pfalz sind es 142. 17 Menschen werden noch vermisst (Stand: 3.8.2021). Es gibt keinen Hinweis darauf, dass die tatsächliche Zahl der Opfer um ein Vielfaches höher wäre - geschweige denn darauf, dass allein 600 Minderjährige ums Leben gekommen wären.
Die Polizei Koblenz bezeichnete die Behauptung bereits am 29. Juli in einer live als Video übertragenen Pressekonferenz mit dem Krisenstab des Landkreises Ahrweiler als «derzeit kursierende Fake News, Falschmeldung».
Im Rahmen eines anderen Faktenchecks hatte das Bistum Trier Ende Juli mitgeteilt, dem örtlichen Seelsorger sei das Gerücht bekannt, dass in einer Kirche eine größere Anzahl Leichen gefunden worden sei. Die Behauptung sei aber «nicht richtig». Das gelte nach wie vor, so eine Sprecherin des Bistums.
Auch das für die Hilfe in Ahrweiler zuständige Kommando Territoriale Aufgaben der Bundeswehr antwortete damals, von einem angeblichen Fund Hunderter Leichen in der Region sei nichts bekannt.
Die älteste aufzufindende Fassung des Sharepics steht auf dem Blog «Germanenherz» und ist am selben Tag vom Betreiber auch auf Facebook gepostet worden. In dem Blog sind vor allem Texte zu finden, die die Legitimität der Bundesrepublik Deutschland als Staat anzweifeln. In dem Eintrag mit dem Sharepic bezieht er sich unter anderem auf ein weiteres, wie eine Nachrichtenmeldung gestaltetes Bild, dessen Aussagen bereits in einem Faktencheck der Nachrichtenagenur AFP widerlegt wurden.
Außerdem bezieht sich der Blog auf ein von einem Bildschirm abgefilmten Ausschnitt aus einer Videoschalte des Nachrichtensenders n-tv, in dessen Titel ebenfalls fälschlich die Zahl aus dem Sharepic genannt wird. Darin berichtet der Reporter Andreas Schopf zwar davon, dass Anwohner von in ihren Häusern angeschwemmten Kinderleichen erzählt hätten. Von der Zahl 600 ist allerdings nicht die Rede. Der AFP teilte n-tv mit, den Reportern des Senders sei «vereinzelt» von toten Kindern berichtet worden, aber «niemals» von einer solchen Anzahl
Beim ebenfalls in dem Sharepic angesprochenen Bunker handelt es sich wahrscheinlich um den ehemaligen Regierungsbunker in Bad Neuenahr-Ahrweiler. Dort hätte sich die Regierung der Bundesrepublik Deutschland im Falle eines Atomkriegs zurückziehen sollen. Heute befindet sich darin ein Museum, der Bunker kann von Touristen und Schulklassen besichtigt werden.
(Stand: 4.8.2021)
Links
Sharepic auf Facebook (archiviert)
SWR zu Anzahl der Opfer in Ahrweiler (archiviert)
Video-Pressekonferenz der Krisenstabs Ahrweiler (archiviert)
dpa-Faktencheck zu angeblich 800 Todesopfern
Erster Facebook-Post mit dem Sharepic (archiviert)
Sharepic auf Blog «Germanenherz» (archiviert)
AFP-Faktencheck zu ähnlicher Behauptung(archiviert)
Ausschnitt aus n-tv-Schalte mit Falschangabe im Titel bei Youtube (archiviert)
Informationen zu Besichtigungen der Dokumentationsstätte Regierungsbunker Bad Neuenahr-Ahrweiler (archiviert)
Kontakt zum dpa-Faktencheckteam: faktencheck@dpa.com