Keine Hinweise auf deutlich mehr Todesopfer nach der Flut in Ahrweiler - Bundeswehr dementiert

29.07.2021, 14:42 (CEST), letztes Update: 29.07.2021, 16:16 (CEST)

Die Lage nach der Flutkatastrophe im besonders schwer getroffenen Landkreis Ahrweiler in Rheinland-Pfalz ist auch nach über einer Woche noch unübersichtlich. Aber kann es sein, dass tatsächlich über 800 Menschen ums Leben gekommen sind, also mehr als sechsmal so viele wie bislang offiziell bekanntgegeben? Das wird in einem Sharepic auf Facebook behauptet, das wie eine Zeitungsmeldung aussieht (archiviert). Der Text beruft sich auf «Kreise aus der Bundeswehr».

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Es gibt keinerlei Hinweise darauf, dass die tatsächliche Zahl der Todesopfer infolge der Flut im Landkreis Ahrweiler bei 800 liegt. Die Behörden dort haben bislang 134 Todesfälle bestätigt (Stand: 29.7.2021). Die Bundeswehr kann solche Angaben auf dpa-Anfrage nicht bestätigen.

Fakten

Starke Regenfällen haben in Teilen Westdeutschlands Mitte Juli zu heftigen Überschwemmungen geführt. Die meisten Todesopfer gibt es im Landkreis Ahrweiler in Rheinland-Pfalz zu beklagen. Für die Koordinierung der Hilfe dort ist die Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion (ADD) des Bundeslands zuständig. Sie hat bislang 134 Todesfälle im Zusammenhang mit der Flutkatastrophe bestätigt (Stand: 29.7.2021). 69 Personen werden derzeit noch vermisst. Dass die Zahl der Todesopfer weiter steigt, ist also möglich. Für die nun behauptete Zahl 800 gibt es jedoch keinerlei Belege.

Über eine Bilder-Rückwärtssuche lässt sich feststellen, dass das Sharepic nicht von einer Zeitung stammt, sondern ein Screenshot der Webseite «Arbeitsgemeinschaft Staatlicher Selbstverwaltungen» ist. In diesem Blog wird die Legitimität der Bundesrepublik Deutschland als Staat angezweifelt.

Als Quelle für die Zahl wird in dem Blog «ein Freund von mir bei der Bundeswehr» angegeben. Um die Zahl der Opfer zu verschleiern, würden demnach angeblich auch freiwillige Helfer ferngehalten. Dass Helfer nicht in die betroffenen Gebiete gelassen würden, haben aber bereits andere Faktenchecks widerlegt (hier und hier).

Ein Sprecher des für die Hilfe in Ahrweiler zuständigen Kommandos Territoriale Aufgaben der Bundeswehr teilte der Deutschen Presse-Agentur (dpa) auf Anfrage mit, eine derartige Menge an verunglückten Flutopfern könne «durch uns nicht bestätigt werden».

Auch eine Recherche bei Facebook und Twitter ergibt keine Hinweise auf eine derart große Zahl noch unentdeckter Todesfälle. Die Zahl von angeblich 800 Todesopfern wird zwar immer wieder in Beiträgen wiederholt, auch bezogen auf das gesamte Katastrophengebiet, also auch Orte in Nordrhein-Westfalen (hier und hier). Belege in Form von Fotos, Videos oder nachvollziehbaren Quellen lassen sich aber nicht finden. In Nordrhein-Westfalen sind bei den Hochwassern 47 Menschen ums Leben gekommen, Vermisste gibt es dort keine mehr (Stand: 28.7.2019).

Als ein Beleg für die Zahl 800 wird in dem Sharepic auch behauptet, dass «allein in einer Kirche» 20 Tote gefunden worden seien. Auf dpa-Anfrage teilte das Bistum Trier mit, dem örtlichen Seelsorger sei das Gerücht bekannt, die Behauptung sei aber «nicht richtig». Die Polizei Koblenz widerspricht auf Twitter dem Gerücht, es seien mehrere Tote «an einer Stelle» gefunden worden.

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Hinweis: Nach Angaben der Behörden in Rheinland-Pfalz vom Nachmittag des 29. Juli 2021 ist die Zahl der noch Vermissten von 73 auf 69 gesunken. Wir haben den Wert aktualisiert.

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(Stand: 29.7.2021)

Links

Meldungen der ADD zu Toten und Vermissten im Landkreis Ahrweiler (archiviert)

Quelle der Behauptungen im Sharepic (archiviert)

dpa-Faktencheck zu angeblich unterbundener Hilfe (21.7.2021)

dpa-Faktencheck zu Foto von Sammelstelle (22.7.2021)

Informationen des Kommandos Territoriale Aufgaben der Bundeswehr (archiviert)

Facebook-Post mit Wiederholung der Behauptung (archiviert)

Weiterer Facebook-Post (archiviert)

«Zeit online» über Opferzahlen in NRW (28.7.2021) (archiviert)

Polizei Koblenz auf Twitter zu Gerüchten um Leichenfund (archiviert)

Sharepic auf Facebook (archiviert)

Kontakt zum dpa-Faktencheckteam: faktencheck@dpa.com