Hebräischer Artikel belegt keine Zunahme von Fehlgeburten in Israel
17.6.2021, 13:22 (CEST)
«Es gibt 483 Prozent mehr Fehlgeburten in Israel SEIT DER COVID "Impfkampagne"» - wird in einem Facebook-Post (archiviert) behauptet. Als Beleg dient das Foto eines Zeitungsartikels auf Hebräisch, in dem (in arabischen Ziffern) «483%» und «550%» neben dem Bild einer offenbar weinenden, schwangeren Frau auftauchen.
Bewertung
Die Behauptung ist falsch. Der Zusammenhang zwischen Impfungen und Fehlgeburten ist eine Fehlinterpretation. Bei dem vermeintlichen Beleg in Form des fotografierten Zeitungsartikels handelt es sich um das exakte Gegenteil: Um einen Faktencheck, der den Zusammenhang zwischen steigenden Impfzahlen und Fehlgeburten widerlegt - und in dem es gar nicht um Israel, sondern um Großbritannien geht.
Fakten
Der als vermeintlicher Beleg dienende Text stammt von der israelischen Wirtschaftszeitung «Globes», beziehungsweise deren Faktencheck-Ressort «Mashrokit» (englisch: «the whistle», deutsch: «die Pfeife»). Unter dem Namen «The Whistle» ist das Ressort Teil des International Fact-Checking Networks (IFCN, hier archiviert) dem auch die dpa angehört.
Ein Hinweis auf die Urheberschaft der Faktenchecker findet sich im Bild selbst: die E-Mail-Adresse «hamashrokit@globes.co.il» ist dort zu lesen. Der vollständige Artikel ist bei globes.co.il (archiviert) auffindbar.
In diesem Artikel widerlegen die israelischen Journalisten bereits die Behauptung eines explosionsartigen Anstieges, wie ihn unter anderem "The Daily Exposure" (archiviert) unter Verweis auf öffentliche Quellen verbreitet hatte. Das Online-Medium, das nach eigenen Angaben (archiviert) «aus Mangel an Alternativen zu den lügenden Mainstream-Medien» gegründet wurde, stützt sich bei seiner Behauptung auf Daten der britischen Behörde «Medicines & Healthcare products Regulatory Agency», kurz MHRA.
In der MHRA-Datenbank «Yellow Card» können Beschäftigte im Gesundheitswesen und Einzelpersonen freiwillig Ereignisse und Beschwerden melden, die nach einer Impfung oder durch ein Medikament aufgetreten sind. Berichte im System sind kein Beweis dafür, dass es sich wirklich um eine Nebenwirkung des Impfstoffs oder des Arzneimittels handelt. Muster in den gemeldeten Verdachtsfällen von Nebenwirkungen können jedoch ein Grund sein, diese weiter zu untersuchen.
Für die Behauptung, die Anzahl an Fehlgeburten sei um 483 Prozent gestiegen, werden Daten aus verschiedenen Zeiträumen verglichen. Der Zeitraum vom 9. Dezember 2020 bis 24. Januar 2021 wird von «The Daily Exposure» mit dem deutlich größeren Zeitraum vom 9. Dezember 2020 bis 14. März 2021 verglichen. Mit den dort enthaltenen Zahlen für die Impfstoffe von Pfizer/Biontech und Astrazeneca wird die Steigung von Fehlgeburten um 483 Prozent berechnet.
Tatsächlich gaben am 24. Januar nur sechs geimpfte Frauen an, eine Fehlgeburt erlitten zu haben, während dies vom 24. Januar bis zum 14. März 35 Frauen meldeten: ein Anstieg von 483 Prozent. Die Schlussfolgerung zu den Fehlgeburten basiert allerdings auf einer Fehlinterpretation. Die Zahlen aus der britischen Datenbank lassen sich nicht vergleichen. Denn im zweiten, deutlich längeren und den ersten einschließenden Zeitraum wurden anteilig und absolut deutlich mehr Frauen im gebärfähigen Alter geimpft.
Fehlgeburten kommen zudem auch außerhalb einer Pandemie oder einer Impfkampagne vor, ein kausaler Zusammenhang zu Corona-Impfungen ist nicht bewiesen. «Eine Fehlgeburt tritt in Großbritannien bei etwa einer von vier Schwangerschaften auf, die meisten davon in den ersten 12 Schwangerschaftswochen», berichtete die MHRA Politifact. «Es ist also zu erwarten, dass allein wegen dieser Wahrscheinlichkeit auch bei geimpften Frauen Fehlgeburten gemeldet werden.»
Meldungen aus Datenbanken wie dem britischen Yellow Card Scheme, der europäischen EMA oder dem amerikanischen VAERS werden regelmäßig als nachgewiesene Nebenwirkung einer Corona-Impfung fehlinterpretiert. Die Deutsche Presse-Agentur hat solche Meldungen bereits mehrfach in Faktenchecks (hier, hier und hier) widerlegt. Auch weisen die Behörden als Betreiber der Datenbanken explizit auf diese Tatsache hin, so auch Yellow Card: «Das Programm beruht auf der freiwilligen Meldung vermuteter Nebenwirkungen oder Vorfälle mit Medizinprodukten, die von Angehörigen der Gesundheitsberufe und der Öffentlichkeit, einschließlich Patienten, Betreuern und Eltern, gemeldet werden müssen.»
Die Deutsche Presse-Agentur hat eine Falschbehauptung, die auf dem gleichen Vergleich - nur zu einem späteren Zeitpunkt - beruht, ebenfalls bereits widerlegt (archiviert) und kommt zu den gleichen Ergebnissen wie die Faktenchecker von Mashrokit.
Diese weisen in einem weiteren Beitrag (archiviert) selbst auf die Verbreitung des Faktencheck im falschen Kontext hin: «So stellten wir fest, dass die Prüfung von Mashrokit für Behauptungen über die Qualität von Impfstoffen gegen Corona zu einem Instrument geworden war, um diese Behauptungen im Ausland zu verbreiten» - und nennen dabei konkret «Impfgegner aus Deutschland», auf deren Posts die Redaktion aufmerksam wurde.
Mashrokit erläutert, wie das Foto aus dem Kontext gerissen wurde. «In der gedruckten Version von Globes erschien oben im Test ein Zitat, ein Screenshot des betrügerischen Posts und der "irreführende" Bewertungsstempel.» Die Seite sei so fotografiert worden, dass der Bewertungsstempel, der die Behauptung als «irreführend» markierte, nicht mehr auf dem Bild zu sehen sei. Das hat den Kontext des Zitats nachweislich komplett verändert: «Anstatt so auszusehen, wie es aussehen sollte - eine Aussage, die einen Faktencheck nicht bestanden hat - sieht es aus wie eine Schlagzeile in einer Zeitung.»
(Stand: 16.6.2021)
Links
International Fact-Checking Networks (archiviert)
1. Artikel von Mashrokit (archiviert)
Artikel von The Daily Exposure" (archiviert)
Medicines & Healthcare products Regulatory Agency" (archiviert)
Yellow Card-Datenbank (archiviert)
MHRA-Bericht 9. Dezember 2020 bis 24. Januar 2021
MHRA-Bericht 9. Dezember 2020 bis 14. März 2021
Yellow Card-Disclaimer (archiviert)
dpa-Faktencheck: Zahlen zu Fehlgeburten falsch interpretiert (archiviert)
Kontakt zum dpa-Faktencheckteam: faktencheck@dpa.com