«Lancet»-Text ist ein Meinungsbeitrag, keine Studie - Drosten und Lauterbach haben mehrfach die Grenzen von PCR-Tests erwähnt

17.3.2021, 21:35 (CET)

Der bislang sicherste Weg, um eine Infektion mit dem Coronavirus nachzuweisen, ist der PCR-Test. Über dieses anerkannte Testverfahren werden allerdings regelmäßig Gerüchte und Falschinformationen verbreitet, in denen seine Aussagekraft angezweifelt wird. Zurzeit verbreitet sich, dass ein renommiertes medizinisches Fachmagazin angeblich Belege für diese These geliefert hätte: «Lancet kippt PCR-Test», heißt es in einem Facebook-Beitrag (hier archiviert). In der Zeitschrift «The Lancet» soll veröffentlicht worden sein: «50-75 % der positiv Getesteten seien nicht infektiös». Außerdem ist von «laut Lancet bis zu 75 % falsch positiven Befunden» die Rede. Der SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach und der Charité-Virologe Christian Drosten sollen hingegen angeblich «Stein und Bein darauf geschworen» haben, dass Menschen mit einem positiven Testergebnis infektiös seien.

BEWERTUNG: Es ist falsch, dass der «Lancet»-Text den PCR-Test «kippt» oder grundsätzlich anzweifelt. Der Text in «The Lancet» enthält keine neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse. Es ist ein Meinungsbeitrag, in dem die Autoren auf Basis bekannter Studienergebnisse Thesen aufstellen. Dabei ist allerdings nie die Rede von «bis zu 75 % falsch positiven Befunden». Sowohl Christian Drosten als auch Karl Lauterbach haben mehrfach darauf hingewiesen, dass ein positiver PCR-Test nicht zwingend bedeutet, dass der Corona-Infizierte ansteckend ist.

FAKTEN: Der Artikel, um den es geht, erschien am 17. Februar online auf der Seite des renommierten medizinischen Fachjournals «The Lancet». Es ist als «Comment» gekennzeichnet - also als Meinungsbeitrag. Das bedeutet, die Autoren diskutieren darin nicht die Ergebnisse einer eigenen Studie. Sondern sie stellen Thesen auf, die sie aus der wissenschaftlichen Arbeit anderer ziehen. Auch das ist ein Teil der wissenschaftlichen Debatte. Es bedeutet aber nicht, dass «The Lancet» als Institution eine Einschätzung abgibt.

Das Thema des Kommentars ist eigentlich der Nutzen des Antigen-Schnelltest auf Corona für den Infektionsschutz. Dieser funktioniert anders als der PCR-Test. Die Autoren diskutieren, welche Schlussfolgerungen sich auf Basis der Erkenntnisse über Antigen-Schnelltest und PCR-Tests für politische Infektionsschutzmaßnahmen ziehen ließen.

Sie schreiben, dass der PCR-Test sehr genau ist und Reste von Sars-Cov-2 auch finden kann, wenn die Person die Infektion eigentlich schon hinter sich hat. Um die Ausbreitung des Coronavirus zu verhindern, müsse man aber besser bestimmen können, wie ansteckend eine Person akut ist. Sie vertreten die Meinung: «Aus unserer Sicht sind die derzeitigen PCR-Testungen nicht der angemessene Goldstandard, um einen Sars-CoV-2 Test für die öffentliche Gesundheit festzusetzen.»

Auf Grundlage verschiedener Studien anderer Forscher schlussfolgern sie: «Das legt nahe, dass in 50-75 Prozent der Fälle, wenn eine Person einen positiven PCR-Test erhält, diese wahrscheinlich nicht mehr ansteckend ist». Die Formulierung zeigt, dass die Autoren diesen Schluss vermuten - anders als es im Facebook-Beitrag dargestellt wird, stellen sie die These nicht als gesicherten Fakt dar.

Grundsätzlich sprechen sie hier keine neue wissenschaftliche Erkenntnis an. Auch der Virologe Christian Drosten hat im August 2020 in einem Gastbeitrag in der Wochenzeitung «Die Zeit» einen Strategiewechsel bei Corona-Testungen «auf Infektiosität statt auf Infektion» gefordert. Im NRD-Podcast «Coronavirus-Update» ist er im September 2020 zudem darauf eingegangen, welche unterschiedlichen Rollen Antigen-Schnelltest und PCR-Test beim Erkennen von wirklich ansteckenden Menschen spielen können - das gleiche Thema, um das es auch im «Lancet»-Kommentar geht.

Der SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach hat ebenfalls mehrfach darauf hingewiesen, dass ein positiver PCR-Test nicht zwingend bedeutet, dass der Corona-Infizierte ansteckend ist. «Bei Quarantäne von 14 Tagen nach Symptombeginn ist in der 2. Woche kaum noch jemand ansteckend, selbst wenn PCR Test dann noch leicht positiv ist», twitterte Lauterbach am 2. September. Einen Tag zuvor thematisierte er die Frage über die Infektiosität ebenfalls: «Diese Studie aus Canada zeigt zB klar, dass nach 5 Tagen der PCR noch positiv ist, der Patient aber nicht mehr ansteckend ist», heißt es in einem Tweet.

Auch in Berichten der Deutschen Presse-Agentur (dpa) wird der Unterschied zwischen einem PCR-Laborbefund und einer ärztlicher Diagnose bei einem Corona-Befund thematisiert.

In dem Facebook-Beitrag ist außerdem von «laut Lancet bis zu 75 % falsch positiven Befunden» die Rede. Über falsch-positive Test oder die sogenannte Spezifität von Tests, die eine Aussage über den Anteil falsch-positiver Ergebnisse trifft, wird in dem Text aber gar nicht explizit gesprochen.

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Links:

Facebook-Beitrag über den Text im «Lancet» (5. März 2021): https://www.facebook.com/Dr.Spitzbart/posts/3387683644670562 (archiviert: https://archive.ph/PV3C1)

Meinungsbeitrag in «The Lancet» über Erkenntnisse zu Sars-CoV-2 Antigen-Schnelltests (17. Februar 2021): https://www.thelancet.com/action/showPdf?pii=S0140-6736%2821%2900425-6 (archiviert: http://dpaq.de/rGPMq)

Gastbeitrag von Christian Drosten in der «Zeit»: https://www.zeit.de/2020/33/corona-zweite-welle-eindaemmung-massnahmen-christian-drosten/komplettansicht (archiviert: https://archive.is/MR1Zm)

Christian Drosten im NRD-Podcast «Coronavirus-Update» zu PCR-Tests, Schnelltests und Infektiosität (9. September 2020): https://www.ndr.de/nachrichten/info/54-Coronavirus-Update-Eine-Empfehlung-fuer-den-Herbst,podcastcoronavirus238.html#Forschung (archiviert: https://archive.ph/x9M8P)

Tweets, in denen sich SPD-Politiker Karl Lauterbach dazu äußert, dass Menschen mit einem positiven Corona-Testergebnis nicht zwingend ansteckend sind:

30. August 2020: https://twitter.com/Karl_Lauterbach/status/1300080214303739904 (archiviert: http://dpaq.de/eHA8J)

1. September 2020: https://twitter.com/Karl_Lauterbach/status/1300913196702760960 (archiviert: http://dpaq.de/HFU2Y)

2. September 2020: https://twitter.com/Karl_Lauterbach/status/1301214988699394055 (archiviert: http://dpaq.de/tWRWh)

2. September 2020: https://twitter.com/Karl_Lauterbach/status/1301272175832424451 (archiviert: http://dpaq.de/yzlrq)

dpa-Bericht, in dem u.a. auf den Unterschied zwischen PCR-Laborbefund und ärztlicher Diagnose eingegangen wird, veröffentlicht von «Zeit.de» (2. September 2020): https://www.zeit.de/news/2020-09/02/falsch-positive-ergebnisse-bei-ausgeweiteten-corona-tests (archiviert: https://archive.ph/bivy2)

dpa-Faktenchecks, in denen thematisiert wird, was PCR-Tests aussagen und was nicht:

https://dpa-factchecking.com/germany/200918-99-612442/

https://dpa-factchecking.com/germany/201112-99-307853/

https://dpa-factchecking.com/germany/200909-99-493828/

https://dpa-factchecking.com/germany/210201-99-254380/

https://dpa-factchecking.com/germany/201009-99-886561/

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