Keine Belege für Behauptungen über vielfach gefälschte Totenscheine

19.2.2021, 15:28 (CET)

Die Zahl der Corona-Toten ist oft Gegenstand von Diskussionen in sozialen Netzwerken. Derzeit kursiert ein Artikel auf Facebook, in dem die Behauptung aufgestellt wird, «dass viele Ärzte Totenscheine falsch ausstellen» (hier archiviert). Davon sollen demnach Kliniken, Ärzte und vor allem die Politik profitieren. Aus anderen Gründen Verstorbene sollen demnach absichtlich und fälschlicherweise der Pandemie zugeordnet worden seien. Das belege beispielsweise die gesunkene Zahl von Toten im Zusammenhang mit der Grippe.

BEWERTUNG: «Absurd und unbelegt» nennt die Deutsche Krankenhausgesellschaft die Behauptung, viele Ärzte würden Totenscheine absichtlich falsch ausstellen. Totenscheine sind Urkunden, wie ein Sprecher auf Anfrage betonte. Strafanzeigen oder gar Verurteilungen wegen Urkundenfälschung seien dem Verband nicht bekannt. Dass die Zahl der Toten in Zusammenhang mit anderen Krankheiten sinke, liege unter anderem an den Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie. Auch der Bundesärztekammer sind keine Fälle bekannt, in denen Totenscheine in Zusammenhang mit Corona falsch ausgestellt wurden.

FAKTEN: Stirbt ein Mensch in Zusammenhang mit Sars-CoV-2, stellt sich der weitere Prozess nach Angaben der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG) in etwa wie folgt dar: Der Arzt, der die Leichenschau vorgenommen hat, vermerkt die direkte Todesursache - zum Beispiel Lungenversagen - im Totenschein. Eine Infektion mit Sars-CoV-2 und die ausgebrochene Krankheit Covid-19 werden in einem weiteren Abschnitt vermerkt.

Stirbt jemand im Zusammenhang mit Sars-CoV-2, ist dies nach Einschätzung der Bundesärztekammer gut von anderen Krankheiten abgrenzbar, «weil hier in aller Regel entsprechend positive PCR-Tests vorliegen». Das gelte vor allem - aber nicht nur - für Krankenhäuser und Pflegeheime. Zudem ist ein Todesfall in Zusammenhang mit Corona laut Infektionsschutzgesetz meldepflichtig.

Im Artikel wird von Fällen berichtet, «in denen die Verstorbenen nicht einmal einen einzigen positiven PCR-Test aufwiesen und dennoch als "Covid-Fall" deklariert wurden». Das ist möglich, denn obwohl in der Regel ein positiver Corona-Test zur Diagnose vorliegen muss, können Ärzte unter Umständen auch mithilfe eines CTs oder Röntgenbilds der Lunge Covid-19 diagnostizieren. «Das Virus führt zu relativ typischen Lungenveränderungen, die von anderen Entzündungsformen der Lunge abgegrenzt werden können», teilte das Robert Koch-Institut (RKI) dazu dem Bayerischen Rundfunk mit.

Solche Todesfälle mit klinischen Befunden können aber nicht die Statistik der Corona-Todesfälle verändern: Denn nur Verstorbene, die zuvor einen positiven Corona-PCR-Test hatten, werden in die offizielle RKI-Statistik aufgenommen. Das haben das RKI, das bayerische Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL) sowie ein Krankenhaus in Rosenheim Faktencheckern des Bayerischen Rundfunks bestätigt.

Finanzielle Anreize, falsche Totenscheine auszustellen, gibt es der DKG zufolge nicht. Die Vergütungshöhe richtet sich demnach nach Zeitaufwand und sieht unter anderem übliche Zuschläge für Nachtarbeit oder weite Anfahrtswege vor.

Im Artikel wird behauptet, es lasse sich nicht medizinisch erklären, dass in Zeiten von Corona die Zahl der Sterbefälle in Zusammenhang mit anderen Krankheiten sinken würde. Dem widerspricht ein DKG-Sprecher: «Dass es 2020 unterdurchschnittlich wenige Influenza-Verstorbene gab, ist eindeutig mit der Wirksamkeit von Social-Distancing begründet.» Denn ebenso wie Sars-CoV-2 werde das Influenza-Virus über Tröpfchen- und Schmierinfektion übertragen. Ein weiterer Faktor in diesem Zusammenhang sei die gestiegene Impfrate bei der Grippeschutzimpfung gewesen.

Eine weitere Behauptung im Artikel löste bei den Experten Irritationen aus. Angeblich können sich Ärzte auch dann strafbar machen, wenn der Totenschein nicht gefälscht sei. Denn dann hätten sie möglicherweise «eine erforderliche Covid-19-Therapie nicht durchgeführt und damit möglicherweise eine fahrlässige Tötung durch Unterlassen begangen».

Es sei bekannt, dass es «die» Covid-19-Therapie nicht gebe, betonte der DKG-Sprecher. Demnach kann die Behandlung von einer Überwachung der Atemfunktion bis hin zur mehrmonatigen Beatmung auf der Intensivstation reichen.

Im Artikel wird der Rechtsmediziner Klaus Püschel genannt, der angeblich im Frühjahr 2020 darauf hingewiesen habe, dass «eine Sars-CoV-2-Infektion nur selten die Todesursache» gewesen sei. Püschel hat jedoch seine Aussage bereits im Mai eingeordnet und sich von Verschwörungstheoretikern abgegrenzt.

---

Links:

Artikel: https://laufpass.com/corona/gefaelschte-totenscheine-tausende-aerzte-mit-einem-bein-im-knast/ (archiviert: https://archive.vn/eAZFN)

BR-Faktencheck (16. Februar 2021): https://www.br.de/nachrichten/bayern/faktenfuchs-corona-tote-ohne-positiven-test,SOnniFr (archiviert: https://archive.vn/H3l7i)

dpa-Faktencheck zu Püschel: https://dpa-factchecking.com/germany/201013-99-923722/

---

Kontakt zum dpa-Faktencheckteam: faktencheck@dpa.com