Kein Sauerstoffmangel durch Corona-Schutzmasken

15.10.2020, 17:53 (CEST)

Im Internet kursiert ein Video, in dem behauptet wird, dass Masken zur Eindämmung der Corona-Pandemie gesundheitsschädlich seien (hier archiviert). «Durch Rückatmung unserer Ausatemluft entsteht unvermeidbar Sauerstoffmangel und eine Kohlendioxid-Überflutung», heißt es darin (ab Minute 3:10). Ein solcher Mangel schade dem Gehirn und hemme seine Entwicklung. Gerade für Kinder und Jugendliche seien Masken daher ein absolutes «No-No» (8:50). Denn der dadurch entstandene Schaden könne nicht rückgängig gemacht werden, warnt die Frau im Video. Sie bezeichnet sich als Neurologin und ist eigenen Angaben nach in Deutschland und London tätig.

BEWERTUNG: Es ist falsch, dass ein Sauerstoffmangel durch die Rückatmung der Luft unter der Maske droht. Denn sie macht nur einen Bruchteil der Luft aus, die man einatmet. Auch die Gefahr einer Kohlendioxid-Vergiftung ist daher unrealistisch. Das Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung ist für gesunde Menschen grundsätzlich unbedenklich.

FAKTEN: In dem Video wird die Atemluft mit der Luft unter der Maske gleichgesetzt. Das ist aber ein Denkfehler. Denn man atmet deutlich mehr Luft ein als nur die unter dem Mund-Nasen-Schutz.

Ein gesunder Erwachsener habe im Ruhezustand ein Atemzugvolumen, das von knapp 500 Millilitern bis zu knapp unter einem Liter reicht, erklärt Michael Achenbach, Mediziner und Sprecher des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ). Bei Belastung sei dies ohne weiteres auf mehrere Liter steigerbar. Die Luft unter der Maske mache dagegen deutlich weniger als 50 Milliliter aus. Ein Sauerstoffmangel drohe daher durch eine Corona-Alltagsmaske nicht.

Die Luft unter einer Alltagsmaske vermischt sich zudem mit der Luft von außen. Bei solchen Masken wird durch den Stoff geatmet, Luft dringt aber auch von den Seiten her ein. Es handele es sich hier also nicht uneingeschränkt um ein sogenanntes Totraumvolumen. Damit wird der Raum in den Atemwegen bezeichnet, in denen es keinen Austausch mit frischer, sauerstoffreicher Luft gibt. Die ausgeatmete Luft enthält dabei immer noch etwa 17 Prozent Sauerstoff, während es bei Frischluft knapp 21 Prozent sind.

Auch Kinder könnten Alltagsmasken tragen. Im Krankenhaus sei das schon lange üblich - etwa auf einer Krebsstation. «Das war noch nie ein Anlass zur Sorge», sagt Achenbach. Von komplett geschlossenen Masken wie etwa Staubschutzmasken aus dem Baumarkt rät der Arzt bei Kindern dagegen ab.

Außer Acht lässt das Video zudem, dass der Körper entsprechend reagiert, falls er nicht genügend sauerstoffreiche Luft erhalten sollte. «Dafür gibt es Rezeptoren im Gehirn, man atmet dann einfach tiefer und schneller», erläutert Achenbach.

Das Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung ist Experten zufolge für gesunde Menschen grundsätzlich unbedenklich. So geht die Deutsche Atemwegsliga davon aus, dass bei einem einfachen chirurgischen Mundschutz oder einer selbst hergestellten Mund-Nasen-Bedeckung ein Anstieg des Kohlendioxids unwahrscheinlich sei - weil diese Masken nicht völlig dicht seien.

Lediglich bei Patienten mit chronischer Atemschwäche könnten der Kohlendioxidanteil und die «Atemarbeit» ansteigen, «so dass die Bedeckung von Mund und Nase als unangenehm oder bedrohlich und subjektiv als Atemnot empfunden wird». Auch bei professionellen Masken (FFP2, FFP3) seien bedrohliche Anstiege des CO2-Gehalts im Blut wegen Masken «unwahrscheinlich».

Beim Tragen von Corona-Masken droht auch keine «Kohlendioxid-Narkose», wie es die Frau im Video behauptet (ab Minute 6:35). Im Internet werden zwar Videos verbreitet, in denen CO2-Messgeräte bei der Analyse der Luft unter der Maske stark überhöhte Werte anzeigen. Solche Messungen sind aber irreführend, da die benutzten Geräte oft nicht für den Zweck gedacht sind, die Atemluft zu analysieren, wie Professor Uwe Pliquett vom Institut für Bioprozess- und Analysenmesstechnik in Heilbad Heiligenstadt erklärt.

Selbst wenn man von erhöhten CO2-Werten unter der Maske durch die verbliebene ausgeatmete Luft ausgeht, wie sie in manchen Videos zu sehen sind, relativiert sich dies beim Blick auf die gesamte Atemluft, erklärt Pliquett. «Dann liegt der mittlere CO2-Wert der Einatemluft bei etwa 0,1 bis 0,2 Prozent, je nachdem, wie viel CO2 in der Umgebungsluft ist.» Das entspricht den Werten, die laut dem Umweltbundesamt noch unterhalb eines kritischen Niveaus liegen.

In dem Video wird auch die Schutzwirkung von Masken in Abrede gestellt. So heißt es darin, eine gängige Maske schütze «keineswegs vor einem Virus» (ab Minute 6:10). Für die Wirksamkeit gibt es aber wissenschaftliche Belege, wie die Deutsche Presse-Agentur bereits in einem Faktencheck vom 12. Oktober 2020 gezeigt hat. So senkt ein Mund-Nasen-Schutz laut einer Studie kanadischer Forscher das Infektionsrisiko. Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt auch ein Arbeitspapier deutscher Forscher.

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Links:

Beitrag auf Facebook: https://www.facebook.com/774381502575438/posts/3947848051895418 (archiviert: https://archive.vn/FKTVL)

Video auf Youtube: https://www.youtube.com/watch?v=HtHlXO5oYYM (archiviert: http://dpaq.de/j9J2A)

Umweltbundesamt zu empfohlenen CO2-Grenzwerten: https://www.umweltbundesamt.de/sites/default/files/medien/pdfs/kohlendioxid_2008.pdf (archiviert: https://archive.vn/wJvi5)

Mitteilung Atemwegsliga: https://www.atemwegsliga.de/service-220/information-zu-covid-19/maskenpflicht.html (archiviert: http://archive.vn/HCFuj)

Dissertation zu OP-Masken: https://mediatum.ub.tum.de/doc/602557/602557.pdf (archiviert: http://dpaq.de/JcvYC)

Maskenempfehlung der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin (DGKJ): https://www.dgkj.de/fileadmin/user_upload/Meldungen_2020/200504_DGKJ_Maskenempfehlung_aktualisiert.pdf (archiviert: http://dpaq.de/JfiR0)

Artikel über die Studie zur Wirksamkeit von Masken im Ärzteblatt (2. Juni 2020): https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/113442/WHO-Studie-untersucht-Schutzwirkung-von-sozialer-Distanz-und-Mund-Nase-Schutz (archiviert: http://dpaq.de/YKHbK)

Pressemitteilung zur Studie aus Mainz: «Masken tragen offenbar deutlich zur Eindämmung der Corona-Pandemie bei» (8. Juni 2020): https://www.uni-mainz.de/presse/aktuell/11532_DEU_HTML.php (archiviert: http://dpaq.de/UcSfJ)

Faktencheck von Mimikama zum Thema: https://www.mimikama.at/aktuelles/sind-atem-masken-besonders-fuer-kinder-gefaehrlich-co2/ (archiviert: https://archive.vn/J2gi4)

dpa-Faktencheck «Video belegt keine CO2-Vergiftung durch Masken»:
https://dpa-factchecking.com/germany/200911-99-521640/

dpa-Faktencheck «Mediziner: Kinder sterben nicht allein durch Maske - mehrere Todesfälle erfunden»: https://dpa-factchecking.com/germany/201005-99-829014/

dpa-Faktencheck «Experten-Aussage zu Masken in falschem Kontext verbreitet»: https://dpa-factchecking.com/germany/200930-99-770279/

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