Haarp-Verschwörungserzählung
Video zeigt Anlagen zur Erforschung des Weltalls und zur Energiegewinnung
5.9.2024, 14:33 (CEST)
Immer wieder verbreiten sich Verschwörungserzählungen rund um Haarp-Anlagen. Häufig wird behauptet, diese könnten das Wetter manipulieren. Zuletzt wurde auf einem großen österreichischen Telegram-Kanal ein Satelliten-Video geteilt, das einige solcher Haarp-Anlagen in Deutschland zeigen soll. Angeblich gibt es Anlagen in Kühlungsborn, Marlow, Potsdam oder auch Karlsruhe. Stimmt das?
Bewertung
Das ist falsch. An den im Video genannten Orten befinden sich keine Haarp-Anlagen, sondern Anlagen etwa zur Erforschung des Weltalls, Umspannwerke oder eine Reitanlage. Die weltweit einzige Haarp-Anlage steht in Alaska.
Fakten
Dass rund um sogenannte Haarp-Anlagen immer wieder Falschinformationen kursieren, zeigen mehrere dpa-Faktenchecks (hier, hier, hier). Beispielsweise wird immer wieder fälschlicherweise behauptet, dass die Technologie das Wetter beeinflussen könne.
Haarp steht für das «High-frequency Active Auroral Research Program». Es handelt sich um ein Projekt im US-Bundesstaat Alaska, bei dem mit Hochfrequenz-Wellen ein bestimmter Teil der Erdatmosphäre zur Erforschung der Sonnenlicht-Aktivitäten untersucht wird.
Im nun auf Telegram verbreiteten Video sind folgende Einrichtungen zu sehen:
Marlow (Mecklenburg-Vorpommern): In der Stadt östlich von Rostock betreibt die deutsche Marine eine Funksendestelle, mit der sie Kontakt zu ihren Schiffen rund um die Welt hält. In einem militärisch abgeschirmten Waldgebiet sind ein Dutzend Antennen im Einsatz, darunter eine etwa 90 Meter hohe und 80 Meter breite Hochfrequenz-Richtantenne. In einem Artikel der «Ostsee-Zeitung» gibt es ein Interview mit dem Marlow-Kommandanten Maik Sagemann dazu. In einem Beitrag der Sendung «Galileo» erläutert Michael Schlottmann, der Technische Leiter der Marinefunksendestelle, dass die Sendeleistung in Marlow etwa 360 Mal geringer sei als in der Anlage in Alaska.
Kühlungsborn (Mecklenburg-Vorpommern): Nahe der Stadt Kühlungsborn erforscht das Leibniz-Institut für Atmosphärenphysik die Mesosphäre und untere Thermosphäre und misst etwa mit Lasern, Radaren und Raketen den Wind und die Temperatur. Dieser Bereich ist das Bindeglied zwischen der für das Wetter relevanten Troposphäre und den obersten, weltraumnahen Luftschichten.
Anlagen für Astrophysik-Forschung
Potsdam/Bornim (Brandenburg): Das Leibniz-Institut für Astrophysik in Potsdam ist laut der Leibniz-Gemeinschaft die größte astronomische Einrichtung Ostdeutschlands. Sie erforscht unter anderem kosmische Magnetfelder und Sonnen- wie Sternaktivität im Weltraum. Zur Beobachtung werden Teleskope im Weltraum oder auf der Erde genutzt. Die erdnahe Atmosphäre mit ihren Wetterereignissen gehört nicht zu einem Forschungsschwerpunkt der Astrophysik. Bei der im Telegram-Video sichtbare Grünanlage neben dem Institutsgelände handelt es sich um den Landschaftspark Babelsberg. Das Ausflugsziel ist als Unesco-Kulturerbe frei zugänglich.
Dann geht es weiter zum Potsdamer Stadtteil Bornim, wo das Leibniz-Institut zudem als Teil einer internationalen Zusammenarbeit eine Lofar-Station betreibt. Diese kann zum Beispiel dazu beitragen, den Ursprung des Weltalls und der Galaxien oder die Aktivitäten der Sonne zu erforschen. Mit dem Lofar-Teleskop werden keine Wetterlagen auf der Erde erforscht.
Tremsdorf (Brandenburg): Ab Minute 1:01 im Video wird auf einen Punkt in dem etwa 15 Kilometer südlich von Potsdam gelegenen Örtchen gezoomt. Hier befindet sich ein Parcours für Springreiter. Das bestätigte auch der nahe gelegene Pferdehof in Tremsdorf auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur (dpa).
Tautenburg (Thüringen): Im Tautenburger Forst liegt das Karl-Schwarzschild-Observatorium, die Thüringer Landessternwarte. Dessen wissenschaftliche Schwerpunkte liegen außerhalb der Erdatmosphäre: Erforscht werden die kleinen Planeten unseres Sonnensystems, andere Galaxien oder Asteroiden. Auch an der Landessternwarte ist ein Lofar-Feld zu finden (im Video ab 1:13 Min.). Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler können damit etwa radioastronomische Himmelsbeobachtungen in ihre Suche nach extrasolaren Planeten oder in die Vorgänge bei der Sternentstehung einbeziehen.
Jetzt geht es nach Westdeutschland
Jülich (Nordrhein-Westfalen): Die Forschungseinrichtung ganz im Westen Deutschlands untersucht Fragen rund um Energie, Bioökonomie oder Strukturwandel. Das dortige Institut für Energie- und Klimaforschung beschäftigt sich mit der Zusammensetzung der Atmosphäre und deren Rolle im Erdsystem. Die beiden Gebäude, auf die im Video gezoomt wird (ab 1:25 Min.), beherbergen die zentrale Kälteversorgung und das Umspannwerk für das Forschungszentrum. Das erklärt eine Pressesprecherin auf dpa-Anfrage. Auf dem Lageplan sind die Gebäude mit den Nummern 16.1 und 16.7 eingezeichnet.
Im Video (ab 1:36 Min.) ist auch das Institut für Solarforschung des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) in Jülich zu sehen. Betrieben werden laut dem Institut zwei Solartürme sowie davor auf einer Fläche von etwa zehn Hektar mehr als 2000 bewegliche Spiegel. Sie lenken das Sonnenlicht zu den Türmen. Der größere der beiden ist ein Kraftwerk, das aus der Sonne Strom produziert. Im Video (ab 1:45 Min.) sind zudem noch die Schatten der Antennen der Sendeanlage «Merscher Höhe» zu sehen, die seit dem Jahr 2014 nicht mehr existieren. Auf aktuellen Satellitenaufnahmen sind diese nicht mehr zu sehen.
Als Nächstes zoomt das Satelliten-Video (ab 2:05 Min.) auf Wachtberg in Nordrhein-Westfalen: Zu sehen ist das Wahrzeichen der Gemeinde,das Radom des Fraunhofer-Instituts für Hochfrequenzphysik und Radartechnik. Die weiße Kugel mit einem Durchmesser von knapp 50 Metern beherbergt ein Radar zur Weltraumbeobachtung. Das System wird eingesetzt, um Weltraumschrott, Satelliten oder andere technische Objekte im Weltraum zu vermessen. Mit der Beobachtung des Wetters hat auch dieses System nichts zu tun.
Weiter geht es mit Effelsberg, ebenfalls in Nordrhein-Westfalen (im Video ab 2:15 Min.): Dort betreibt das Max-Planck-Institut für Radioastronomie ein Teleskop mit einem Durchmesser von 100 Metern. Dieses wird laut dem Institut zur Beobachtung von Radiostrahlung aus dem gesamten Kosmos eingesetzt, darunter Gas- und Staubwolken, Sternentstehungsgebiete, Magnetfelder sowie Kerne ferner Galaxien. Auch hier ist in unmittelbarer Nähe eine Lofar-Anlage zu finden.
Im Video ab Minute 2:32 in Schriesheim (Baden-Württemberg) ist der Fernmeldeturm auf dem Weißen Stein zu sehen. Solche Konstruktionen dienen der Funkübertragung für Fernsehen oder Radio.
In Karlsruhe (Baden-Württemberg) betreibt das Karlsruher Institut für Technologie (KIT Karlsruhe) das Energy Lab 2.0. Auf dem im Video (ab 2:57 Min.) sichtbaren Feld stehen heutzutage keine Messstationen mehr. Jüngere Satellitenaufnahmen zeigen, dass dort jetzt Photovoltaik-Anlagen aufgebaut sind. Bevor das Energy Lab 2.0 auf dem Gelände entstand, wurde dort kosmische Strahlung gemessen.
Satellitenbilder zum Teil veraltet
Im Video (ab 3:05 Min.) über Garching (Bayern) wird ebenfalls veraltetes Kartenmaterial verwendet. Zu sehen ist das Umspannwerk Garching am Römerhofweg. Spätestens seit Juni 2022 ist dort alles eingeebnet, wie chronologische Satellitenaufnahmen dieser Stelle zeigen. Transformatoren und Generatoren unter freiem Himmel gibt es an dieser Stelle nicht mehr.
Stattdessen wurde ein neues Gebäude errichtet, wo sich nun die Transformatoren befinden. Die Hochspannungsleitungen wurden durch Erdkabel ersetzt, wie unter anderem in «merkur.de» zu lesen ist. Umspannwerke sind Knotenpunkte der Stromversorgung. Darin wird Strom auf verschiedene Spannungsebenen transformiert und weitergeleitet, wie etwa Netzbetreiber Tennet informiert.
(Stand: 5.9.2024)
Links
Marinefunksendestelle Marlow auf Google Maps (archiviert)
«Ostsee-Zeitung» über Anlage in Marlow, Artikel gebührenpflichtig (archiviert)
«Galileo» über Anlage in Marlow (Video archiviert)
Leibniz-Institut für Atmosphärenphysik über eigene Forschungsthemen (archiviert)
Leibniz-Institut für Atmosphärenphysik in Kühlungsborn auf Google Maps (archiviert)
Leibniz-Institut für Astrophysik auf Google Maps (archiviert)
Leibniz-Gemeinschaft über Leibniz-Institut für Astrophysik (archiviert)
Leibniz-Institut für Astrophysik über eigene Forschung (archiviert)
Stadt Potsdam über Park Babelsberg (archiviert)
Lofar-Station des Leibniz-Instituts auf Google Maps (archiviert)
Internationales Projekt Lofar (archiviert)
Springreiten-Parcours auf Google Maps (archiviert)
Pferdehof in Tremsdorf über eigene Anlage (archiviert)
Thüringer Landessternwarte auf Google Maps (archiviert)
Über die Thüringer Landessternwarte (archiviert)
Forschungszentrum Jülich auf Google Maps (archiviert)
Institut für Energie- und Klimaforschung am Forschungszentrum Jülich (archiviert)
Lageplan Forschungszentrum Jülich (archiviert)
Solarturm des Forschungszentrums Jülich auf Google Maps (archiviert)
DLR über Solartürme in Jülich (archiviert)
Ehemalige DW-Sendestelle in Jülich auf Google Maps (archiviert)
Brainergy Park über ehemalige Sendestelle in Jülich (archiviert)
Ehemalige DW-Sendestelle in Jülich auf «World Imagery Wayback»
Fraunhofer-Institut für Hochfrequenzphysik und Radartechnik auf Google Maps (archiviert)
Fraunhofer-Institut für Hochfrequenzphysik und Radartechnik über Radom (archiviert)
Radioteleskop Effelsberg auf Google Maps (archiviert)
Max-Planck-Institut für Radioastronomie über Radioteleskop Effelsberg (archiviert)
Max-Planck-Institut für Radioastronomie über die Lofar-Anlage in Effelsberg (archiviert)
Fernmeldeturm auf Google Maps (archiviert)
Energy Lab 2.0 auf Google Maps (archiviert)
Energy Lab 2.0 auf «World Imagery Wayback»
KIT Karlsruhe über Projekt Kascade (archiviert)
Umspannwerk Garching auf Google Maps (archiviert)
Umspannwerk Garching auf «World Imagery Wayback»
«merkur.de»-Artikel über Umspannwerk Garching (archiviert)
Über dpa-Faktenchecks
Dieser Faktencheck wurde im Rahmen des Facebook/Meta-Programms für unabhängige Faktenprüfung erstellt. Ausführliche Informationen zu diesem Programm finden Sie hier.
Erläuterungen von Facebook/Meta zum Umgang mit Konten, die Falschinformationen verbreiten, finden Sie hier.
Wenn Sie inhaltliche Einwände oder Anmerkungen haben, schicken Sie diese bitte mit einem Link zu dem betroffenen Facebook-Post an factcheck-oesterreich@dpa.com. Nutzen Sie hierfür bitte die entsprechenden Vorlagen. Hinweise zu Einsprüchen finden Sie hier.
Schon gewusst?
Wenn Sie Zweifel an einer Nachricht, einer Behauptung, einem Bild oder einem Video haben, können Sie den dpa-Faktencheck auch per WhatsApp kontaktieren. Weitere Informationen dazu finden Sie hier.