Anzahl gemeldeter Nebenwirkungen nicht aussagekräftig – Wirksamkeit von Ivermectin gegen Covid-19 nicht bestätigt

18.01.2022, 15:42 (CET)

Falsche Informationen rund um die seit über einem Jahr in Europa eingesetzten Corona-Impfstoffe verbreiten sich nach wie vor in Sozialen Medien. In einem Online-Artikel, der auf Facebook (hier archiviert) geteilt wird, wird etwa behauptet, dass die Bilanz der Nebenwirkungen und Todesfälle der Impfstoffe erschreckend sei. Es gebe Millionen Nebenwirkungen und Zehntausende Todesfälle, die durch Covid-Vakzine verursacht worden seien, wie die Datenbanken EudraVigilance und Vaers zeigen würden. Das Wurmmittel Ivermectin sei hochwirksam im Kampf gegen Covid-19. Corona-Impfstoffe hingegen würden nicht wirken, sondern die Chance von Infektion und Hospitalisierung gar erhöhen, heißt es.

Bewertung

Die Datenbanken EudraVigilance und Vaers dokumentieren vermutete Nebenwirkungen und Todesfälle in zeitlichem Zusammenhang zur Corona-Impfung. Die Daten lassen für sich allein keine Schlüsse auf Kausalität oder Sicherheitsprofil der Impfungen zu. Studien zeigen keine Wirksamkeit von Ivermectin gegen Covid-19. Die Wirksamkeit der Corona-Impfstoffe wurde hinlänglich bestätigt. In Bezug auf die Omikron-Variante dürfte die Schutzwirkung reduziert sein, drei Impfdosen aber dennoch vor schweren Verläufen schützen. Auf keinen Fall erhöhen die Impfstoffe die Chance auf Infektion und Hospitalisierung.

Fakten

Wie die EU-Datenbank EudraVigilance gleich vor Abrufen der Daten informiert, sind die Informationen auf der Webseite «nicht als Bestätigung zu verstehen, dass zwischen dem jeweiligen Arzneimittel und der/den beobachteten Reaktion/en ein Zusammenhang besteht.» Sie würden vermutete Zusammenhänge betreffen und die «Beobachtungen und Absichten des Melders» widerspiegeln. Zur Untersuchung einer Ursache-Wirkungsbeziehung seien andere Faktoren zu berücksichtigen, zum Beispiel die Krankengeschichte des Patienten.

Aus der Anzahl der in EudraVigilance erfassten Meldungen über vermutete Nebenwirkungen sollten «keine Rückschlüsse auf die Wahrscheinlichkeit, mit der eine Nebenwirkung auftritt, gezogen werden.» Jeder Fall beziehe sich im Normalfall auf einen einzelnen Patienten, eine Meldung könne aber auch mehr als eine Nebenwirkung umfassen: «Daher ist die Anzahl der Nebenwirkungen nicht immer gleich der Anzahl der einzelnen Fälle.» Zahlen zu Fällen können sich auch verringern.

Das sagte auch eine Pressesprecherin der EMA der Deutschen Presse-Agentur (dpa) für einen früheren Faktencheck zu dem Thema. Fallberichte von vermuteten Nebenwirkungen würden alleine selten ausreichen, um zu beweisen, dass eine bestimmte vermutete Reaktion tatsächlich durch ein bestimmtes Arzneimittel verursacht worden sei. «Jeder Fallbericht sollte als Teil eines Puzzles gesehen werden, wobei alle verfügbaren Daten berücksichtigt werden müssen, um das Bild zu vervollständigen. Diese Daten umfassen (...) klinische Studien, epidemiologische Studien und toxikologische Untersuchungen. Nur die Bewertung aller verfügbaren Daten erlaubt belastbare Schlussfolgerungen», so die Sprecherin.

Weitere Details lassen sich einem Informationsblatt der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA) entnehmen. Darin wird etwa darauf hingewiesen, dass die Anzahl der Fallberichte über ein bestimmtes Arzneimittel nicht nur von der tatsächlichen Häufigkeit der unerwünschten Reaktion abhängen, sondern auch vom Ausmaß der Anwendung des Medizinprodukts und vom öffentlichen Bewusstsein. Ein Vergleich der Fallberichte zwischen einzelnen Arzneimitteln könne also ein «irreführendes Bild ihrer Sicherheitsprofile» zur Folge haben.

Darauf wies auch eine Sprecherin des Paul-Ehrlich-Instituts (PEI) in einem früheren dpa-Faktencheck hin. Bei einer derart großen Impfkampagne und dem damit verbundenen öffentlichen Interesse würde mehr gemeldet als bei lang etablierten Impfstoffen und im Rahmen normaler Impfungen, so die PEI-Sprecherin. Zudem hätten bei dieser Kampagne viele öffentliche Institutionen «ganz intensiv» dazu aufgerufen zu melden, «um in möglichst kurzer Zeit möglichst viele Daten zu erhalten».

Die genaue Anzahl der vermuteten Nebenwirkungen und Todesfälle nach Corona-Impfstoffen, die EudraVigilance an dem im Online-Artikel angegebenen Stichtag gemeldet wurden, lässt sich nicht mehr gesichert feststellen. Die aktuelle Anzahl der Fälle bewegt sich aber in einer ähnlichen Größenordnung (Biontech/Pfizer, Moderna, Astrazeneca, Janssen).

Was die Anzahl der gemeldeten Todesfälle betrifft, so lässt sich offenbar nicht einmal die Anzahl derer, die in zeitlichem Zusammenhang zur Impfung stehen, eindeutig feststellen. Die Gründe dafür werden in einem der früheren dpa-Faktenchecks erörtert.

Auch bei der US-Datenbank Vaers gilt, dass bei keinem gemeldeten Ereignis ein kausaler Zusammenhang zwischen Nebenwirkung und Impfung hergestellt werden kann. Die Meldung einer Nebenwirkung ist kein Beweis dafür, dass eine Impfung diese hervorgerufen hat, steht auf der Webseite. Meldungen könnten unvollständige, ungenaue, zufällige und ungeprüfte Informationen enthalten und verzerrt sein. Jeder könne vermutete Nebenwirkungen melden. Die Daten seien nicht dazu geeignet, Rückschlüsse auf das Vorhandensein, die Schwere oder Häufigkeit eines Problems in Zusammenhang mit einer Impfung zu ziehen, heißt es an anderer Stelle.

Auf Basis der Daten auf eine «erschreckende Bilanz» zu schließen, ist also ebenso unzulässig, wie einen kausalen Zusammenhang herzustellen und einen Vergleich mit anderen Impfungen oder Arzneimitteln anzustellen.

Die im Online-Artikel angeführten Zahlen stammen zudem nicht direkt von Vaers, sondern von Open Vaers - nach eigenen Aussagen eine private Organisation, die Daten von Vaers wiedergibt. Es bleibt unklar, ob deren Angaben richtig und seriös sind. Auch auf dieser Webseite wird aber darauf hingewiesen, dass die Meldungen kein Beleg für Kausalität sind.

Die Sicherheit der Corona-Impfungen wird unter anderem von der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA) kontinuierlich überwacht. Zu allen Impfstoffen veröffentlicht sie regelmäßig Sicherheitsberichte. In den aktuellen Berichten (hier, hier, hier, hier) bestätigt die EMA, dass die Vorteile der Impfungen die Risiken überwiegen.

Anders als im Online-Artikel behauptet, zeigen Studien keine Wirksamkeit von Ivermectin gegen Covid-19. Auch das Robert Koch-Institut (RKI) sieht bisher keinen Hinweis darauf in Bezug auf die Notwendigkeit künstlicher Sauerstoffzufuhr oder die Sterblichkeit nach einer Corona-Infektion.

Die EMA empfiehlt eine Ivermectin-Anwendung nur im Rahmen klinischer Untersuchungen. Sie schrieb im März über uneinheitliche Studien-Ergebnisse: Einige hätten keinen Nutzen gezeigt, andere einen möglichen. «Die meisten von der EMA geprüften Studien waren klein und wiesen zusätzliche Einschränkungen auf, darunter unterschiedliche Dosierungen und die Verwendung von Begleitmedikamenten», begründet die EU-Behörde ihre Entscheidung gegen einen Einsatz in der Pandemie.

Auch die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hält ihre Einschätzung vom März weiter aufrecht, wonach die Ergebnisse von 16 untersuchten Studien mit rund 2 400 Teilnehmern sehr ungewiss seien, was die Auswirkungen von Ivermectin auf Sterblichkeit, künstliche Beatmung, Hospitalisierung und Dauer des Klinikaufenthalts angeht. Zu dem Thema gibt es bereits einen ausführlichen dpa-Faktencheck.

Die Wirksamkeit der Impfung wurde in der Vergangenheit durch Studien belegt. Nach Angaben des RKI bieten die Impfstoffe von Biontech/Pfizer, Moderna und Astrazeneca bei einer Infektion mit der Delta-Variante «eine sehr hohe Wirksamkeit von etwa 90 Prozent gegen eine schwere Covid-19-Erkrankung (…) und eine gute Wirksamkeit von etwa 75 Prozent gegen eine symptomatische Sars-CoV-2-Infektion.» Die Wahrscheinlichkeit, schwer an Covid-19 zu erkranken, sei bei den vollständig Geimpften um etwa 90 Prozent geringer als bei nicht geimpften Personen.

Auch das Öffentliche Gesundheitsportal Österreich schreibt auf seiner Webseite, dass die Impfung eine hohe Schutzwirkung biete. Betreffend die mittlerweile dominante Omikron-Variante würden erste Daten darauf hindeuten, dass die Schutzwirkung der Impfung reduziert sei. Geimpfte Personen seien gegenüber Ungeimpften in Bezug auf die Vermeidung von Spitalsaufenthalten und Todesfällen aber trotzdem im Vorteil. «Derzeitige Daten weisen darauf hin, dass ein Schutz vor schweren Verläufen und Verhinderung von Spitalsaufenthalten nach dreimaliger Impfung gegeben sein dürfte», heißt es.

Falsch ist, dass die Impfstoffe die Chance auf Infektion und Hospitalisierung erhöhen, wie im Online-Artikel behauptet wurde. Auch zur Wirksamkeit der Corona-Impfstoffe gibt es bereits einen ausführlichen dpa-Faktencheck.

(Stand: 17.1.2022)

Links

Disclaimer der EMA vor Abruf der Daten (archiviert)

Informationsblatt der EMA zu Datenbank (archiviert)

Moderna in EudraVigilance-Datenbank (archiviert)

Biontech/Pfizer in EudraVigilance-Datenbank (archiviert)

Astrazeneca in EudraVigilance-Datenbank (archiviert)

Janssen in EudraVigilance-Datenbank (archiviert)

dpa-Faktencheck zu Datenbank

dpa-Faktencheck zu gemeldeten Impf-Nebenwirkungen

Anleitung zur Interpretation der VAERS-Daten (archiviert)

Disclaimer zu VAERS-Datenbank (archiviert)

Open VAERS (archiviert)

Über Open VAERS (archiviert)

Aktuelles EMA-Sicherheitsupdate zu Impfstoff von Biontech/Pfizer (archiviert)

Aktuelles EMA-Sicherheitsupdate zu Impfstoff von Moderna (archiviert)

Aktuelles EMA-Sicherheitsupdate zu Impfstoff von Astrazeneca (archiviert)

Aktuelles EMA-Sicherheitsupdate zu Impfstoff von Janssen (archiviert)

RKI über Ivermectin, S. 12 (archiviert)

EMA über Ivermectin (archiviert)

WHO über Ivermectin (archiviert)

dpa-Faktencheck zu Ivermectin

RKI über Wirksamkeit der Corona-Impfung (archiviert)

Öffentliches Gesundheitsportal Österreich über Wirksamkeit der Corona-Impfung (archiviert)

dpa-Faktencheck zu Impfwirksamkeit

Facebook-Posting (archiviert)

tkp-Artikel (archiviert)

Kontakt zum Faktencheck-Team der dpa: factcheck-oesterreich@dpa.com