Institut: Große Impfkampagne führt zu mehr Meldungen

13.10.2021, 17:43 (CEST)

Um mögliche Nebenwirkungen der Corona-Impfung ranken sich nach wie vor viele falsche und irreführende Behauptungen. Ein Facebook-User schrieb Ende August 2021 in einem oft geteilten Posting (hier archiviert), dass laut einem aktuellen Sicherheitsbericht des Paul-Ehrlich-Instituts (PEI) in Deutschland es in 16 Jahren bei 625 Millionen unterschiedlichen Impfdosen 456 Todesfälle gegeben habe. «Einige Monate Corona-Impfung (92 Mio. Impfdosen)» hätten hingegen schon 1225 Todesfälle gebracht. Das Posting unterstellt zugleich, die Corona-Impfung sei gefährlicher als andere Impfungen.

Bewertung

Mit Stand 19. August 2021 gab es in Deutschland 1 254 Verdachtsfallmeldungen von Todesfällen nach der Corona-Impfung. Nur in 48 Fällen wird ein ursächlicher Zusammenhang mit der Impfung für möglich oder wahrscheinlich gehalten. Die Zahlen deuten nicht auf Sicherheitsbedenken hin. Der relativ kurze Impf-Zeitraum, die große Zielgruppe sowie das enorme öffentliche Interesse an den neuen Corona-Impfungen haben Einfluss auf die Melderate.

Fakten

Das Paul-Ehrlich-Institut (PEI) veröffentlicht regelmäßig Berichte über alle in Deutschland gemeldeten Verdachtsfälle von Nebenwirkungen, Impfkomplikationen und Todesfällen, die in zeitlichem Zusammenhang zur Corona-Impfung stehen. Dem genannten Sicherheitsbericht zufolge lagen mit Stand 19. August 2021 genau 1 254 Verdachtsfallmeldungen über einen tödlichen Ausgang in unterschiedlichem zeitlichem Abstand zur Corona-Impfung vor.

Die nackte Zahl an Verdachtsfallmeldungen erlaubt allein noch keine Aussage über mögliche Risiken der Impfstoffe: «Nicht jede Reaktion, die nach einer Impfung auftritt und als Verdacht einer Nebenwirkung oder Impfkomplikation gemeldet wird, ist gleichbedeutend mit von dem jeweiligen Impfstoff verursachten körperlichen Beschwerden. Krankheiten oder körperliches Unwohlsein und auch Todesfälle treten auch unabhängig von Impfungen auf», sagte eine Sprecherin des Paul-Ehrlich-Instituts (PEI) dazu der Deutschen Presse-Agentur (dpa) auf Anfrage.

Wie sich dem Bericht zudem entnehmen lässt, hält das PEI nur in 48 Fällen einen ursächlichen Zusammenhang des Todesfalls mit der Impfung für möglich oder wahrscheinlich. Nichts deutet demnach auf eine insgesamt erhöhte Sterblichkeit nach der Gabe der Impfstoffe hin.

Tatsächlich gab es seit dem Jahr 2000 in Deutschland 456 Verdachtsmeldungen von Todesfällen nach Impfungen. Das lässt sich der UAW-Datenbank des PEI entnehmen. Auch die 917 Meldungen von Verdachtsfällen von bleibenden Schäden stammen aus der Datenbank. Addiert man auf dem Statistik-Portal statista.com den jährlichen Impfstoffverbrauch in Deutschland in den Jahren 2003 bis 2019, so kommt man auf die im Posting genannten 625 500 000 verabreichten Impfdosen. Nirgends im PEI-Bericht lässt sich die angebliche Zahl von 1 873 Fällen von «bleibenden Schäden» nach der Corona-Impfung finden.

Ein Vergleich zwischen der Anzahl der vermuteten Impfkomplikationen nach der Corona-Impfung mit der Anzahl der vermuteten Komplikationen nach diversen anderen Impfungen in den letzten Jahrzehnten ist der PEI-Sprecherin zufolge unwissenschaftlich und entspreche bildlich gesprochen «einem Versuch, in dem Äpfel mit Birnen verglichen werden». Aussagen auf der Grundlage dieses Vergleichs würden zu falschen Schlussfolgerungen führen und seien irreführend.

Auf den ersten Blick wirkt die vergleichsweise geringe Zahl gemeldeter Todesfälle nach allen Impfungen im Vergleich zu den gemeldeten Todesfällen nach Corona-Impfungen tatsächlich wie eine große Diskrepanz. Allerdings gilt hierbei – worauf auch die Sprecherin hinwies - miteinzubeziehen, dass die Corona-Impfkampagne erst einige Monate dauert, die anderen Impfungen aber über eine Zeitspanne von fast zwei Jahrzehnten verabreicht worden waren. Rein rechnerisch müsste man also für einen Vergleich dieselben Zeiträume miteinander vergleichen.

In den letzten Jahrzehnten wurden in Deutschland in acht Monaten durchschnittlich 24 529 411 Impfdosen verabreicht. Die Corona-Impfung wurde aber in diesem Zeitraum 102 000 000 Mal verabreicht – das sind gut viermal so viele Impfdosen. Alleine schon um diesen Faktor müsste die Anzahl der gemeldeten Todesfälle oder Nebenwirkungen erhöht sein. «Es ist ein Unterschied, ob beispielsweise 20 Millionen Impfdosen innerhalb von mehreren Wochen verabreicht werden oder innerhalb von mehreren Monaten. Je mehr Impfungen pro Zeiteinheit verabreicht werden, umso mehr Verdachtsfallmeldungen jeder Art müssen statistisch erwartet werden», so die PEI-Sprecherin.

Einige Faktoren haben zudem Einfluss auf die Melderate. So werde etwa bei einer derart großen Impfkampagne und dem damit verbundenen öffentlichen Interesse mehr gemeldet als bei lang etablierten Impfstoffen und im Rahmen normaler Impfungen, so die PEI-Sprecherin. Hinzu komme, dass es sich bei den Corona-Impfungen um ganz neue Impfstoffe handelt. Außerdem hätten bei dieser Kampagne das Paul-Ehrlich-Institut und viele andere öffentliche Institutionen «ganz intensiv» dazu aufgerufen zu melden, «um in möglichst kurzer Zeit möglichst viele Daten zu erhalten».

Auch muss berücksichtigt werden, welchen Personengruppen die Impfungen erhalten haben. Zu Beginn der Covid-Impfkampagne wurden vorwiegend ältere Menschen und solche mit schweren Vorerkrankungen geimpft. Daher war damit zu rechnen, dass es «eine gewisse Anzahl von zufälligen Todesfällen» gibt, die zwar in zeitlichem Zusammenhang zur Impfung stehen, aber nicht kausal mit ihr zusammenhängen, schreibt etwa das deutsche Robert Koch-Institut (RKI) mit Bezug auf das PEI. Auch die PEI-Sprecherin betont, dass damit gerechnet werden müsse, dass einige Menschen zufällig nach der Impfung sterben, die auch ohne die Impfung gestorben wären.

Zusammenfassend gilt, dass «nur verlässliche Quellen, wie diese Sicherheitsberichte des PEI, genutzt werden» sollten, um sich über die Sicherheit der Impfstoffe und deren Nutzen-Risiko-Profil zu informieren, so das PEI. Allein die Zahl von Verdachtsfallmeldungen sei für Auswertungen zur Sicherheit von Impfstoffen nicht geeignet, betont das PEI.

Wo hingegen die Verdachtsmeldungen dem Institut zufolge eine große Rolle spielen, ist in Bezug auf die sogenannte Signaldetektion – also für das Erkennen möglicher bisher unbekannter Risiken eines Impfstoffs: «Daher sind Verdachtsfallmeldungen von Nebenwirkungen und Impfkomplikationen ein wertvolles Instrument, um mögliche Risiken, insbesondere auch sehr seltene Risiken – die z.B. seltener als bei einer von 10.000 geimpften Personen – von Impfstoffen zu erkennen.»

Neben dem Paul-Ehrlich-Institut überwachen noch einige andere Institutionen die Sicherheit und Wirksamkeit der Corona-Impfstoffe. In Österreich etwa das Bundesamt für Sicherheit im Gesundheitswesen (BASG), auf EU-Ebene die Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA), in den USA die Behörde Centers for Disease Control and Prevention (CDC) und in Großbritannien die Medicines and Healthcare products Regulatory Agency (MHRA).

(Stand: 7.10.201)

Links

Sicherheitsbericht des Paul-Ehrlich-Instituts (archiviert)

UAW-Datenbank des PEI

statista.com zu Impfstoffverbrauch in Deutschland (archiviert)

Robert Koch-Institut/PEI über Todesfälle nach Impfungen (archiviert)

Facebook-Posting (archiviert)

Kontakt zum Faktencheck-Team der dpa: factcheck-oesterreich@dpa.com