Angebliches Kurz-Zitat ist nicht dokumentiert

Nach mehreren Hausdurchsuchungen im Umfeld der ÖVP und dem Beginn von Korruptionsermittlungen unter anderem gegen Sebastian Kurz (ÖVP) kursiert erneut ein angebliches Zitat des ehemaligen Kanzlers im Internet. Zahlreichen Social Media-Beiträgen (hier archiviert) zufolge soll Kurz nach Bekanntwerden des Ibiza-Videos in Bezug auf den damaligen FPÖ-Vizekanzler Heinz-Christian Strache gesagt haben: «Mit einem Regierungsmitglied, gegen das polizeilich ermittelt wird, kann ich nicht länger zusammenarbeiten.»

Bewertung

Dieses Zitat ist nicht dokumentiert. Es gibt keine Belege dafür, dass es in der Form gefallen ist. Inhaltlich ähnlich drückte sich Sebastian Kurz (ÖVP) in Bezug auf die FPÖ allerdings aus.

Fakten

Bereits im Februar und Mai 2021 verbreiteten sich in Sozialen Medien dasselbe und ähnliche Zitate, für die es ebenfalls keine Belege gibt. Dazu gibt es bereits Faktenchecks von dpa sowie AFP. Zuletzt wurde es vom ehemaligen FPÖ-Vizekanzler Heinz-Christian Strache sowie einzelnen Medien verbreitet – ohne Quellenangabe.

Eine Google-Suche nach genau dem Zitat ergibt keine Treffer. Auch eine Suche in der APA-Datenbank unter über 700 Medien ergibt keine passenden Resultate.

In den Kurz-Äußerungen der ersten Tage nach Bekanntwerden des Ibiza-Videos in der «Süddeutschen Zeitung» und dem «Spiegel» finden sich ebenfalls keine Belege für das angebliche Zitat. Im Kurz-Statement vom 18. Mai 2019 – also am Tag nach Bekanntwerden des Ibiza-Videos - fiel der Satz nicht, wie sich hier nachlesen lässt. Am 19. Mai war Kurz bei einem Gespräch bei Bundespräsident Alexander Van der Bellen. Auch beim Statement im Anschluss sagte er den Satz nicht. Das gesamte Video ist auf YouTube. 

Zu dem Zeitpunkt war noch gar nicht klar, ob es Ermittlungen geben würde. Gegenüber der «Bild» (Paywall) schloss Kurz am 20. Mai 2019 nicht aus, dass sich der bisherige Vizekanzler Heinz-Christian Strache (FPÖ) mit seinen Äußerungen in dem Ibiza-Video strafbar gemacht haben könnte. 

Am selben Tag gab er nach der Sitzung des ÖVP-Bundesparteivorstandes ein kurzes Statement und hielt eine Pressekonferenz ab, in der er ankündigte, Van der Bellen die Entlassung von Innenminister Herbert Kickl (FPÖ) vorzuschlagen. Auch bei diesen Medienauftritten fällt der in den Postings genannte Satz nicht.

In Bezug auf Kickl sagte Kurz, dass ein Grund für seine Entlassung gewesen sei, dass dieser zum Entstehungszeitpunkt des Ibiza-Videos Generalsekretär seiner Partei war und somit für die «finanzielle Gebarung» hauptverantwortlich. Das ist relevant, weil Strache im Ibiza-Video von illegalen Parteispenden spricht. Kurz zufolge ist das ein Problem, weil Kickl so gegen sich selbst ermitteln müsste. Das konkretisierte er etwa gegenüber dem «Kurier».

Inhaltlich sind einige Wortmeldungen von Kurz dem angeblichen Zitat ähnlich. So sagt er etwa im angesprochenen «Bild»-Interview: «(…) es ist wahr, dass die Sicherstellung einer unabhängigen Aufklärung die Grundvoraussetzung gewesen wäre, um überhaupt in Gespräche über eine Fortsetzung der Zusammenarbeit treten zu können».

In der Pressekonferenz am 20. Mai 2019 sagte er: «All das führt meiner Meinung nach zu einer Gemengelage, wo es eigentlich schlüssig gewesen wäre, wenn so wie Heinz-Christian Strache (…) durch seinen Rücktritt, der Innenminister durch einen Rückzug aus seiner Funktion sichergestellt hätte, dass hier eine lückenlose Aufklärung möglich ist und dass es auch nicht irgendwie den Anschein einer Einflussnahme auf diese Aufklärung geben könnte. Diesen Schritt hat er nicht gemacht und insofern habe ich in Rücksprache mit den Bundespräsidenten entschieden, dass ich dem Bundespräsidenten die Entlassung des Innenministers vorschlagen werde».

Die moralische Komponente in Bezug auf Kurz' Aussagen damals und sein Verhalten der vergangenen Tage bleibt also Gegenstand legitimer Diskussionen.

(Stand: 11.10.2021)