Vermeintliches Schreiben des deutschen Gesundheitsministerium gefälscht

27.05.2021, 14:33 (CEST)

Am Freitag will die Europäische Arzneimittelagentur (EMA) voraussichtlich über die Zulassung des Corona-Impfstoffs von Biontech/Pfizer für Kinder zwischen zwölf und 15 Jahren entscheiden. Bereits im Vorfeld kursieren dazu in Sozialen Medien falsche Informationen. In oft geteilten Facebook-Postings (hier archiviert) wird etwa derzeit ein angebliches Dokument des deutschen Gesundheitsministeriums geteilt. Es soll den Titel «Diskussionspapier zu Maßnahmen gegen Erziehungsberechtigte die bzgl. der Covid-19-Impfung Ihrer Schutzbefohlenen eine ablehnende Verweigerungshaltung einnehmen» (sic!) haben. In dem Papier werden «mögliche Maßnahmen», wie mit impfunwilligen Schutzbefohlenen umgegangen werden soll, diskutiert. Beispielsweise ist die Rede von einer «Gefährderansprache des Erziehungsberechtigten» oder auch einer «Zwangshaft» und «Inobhutnahme des Kindes».

Bewertung

Bei dem Dokument handelt es sich um eine Fälschung. Wenn eine Impfung für Kinder und Jugendliche kommt, wird sie nach derzeitigem Stand freiwillig sein. Der deutsche Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hatte zuvor eine Verpflichtung zur Impfung ausgeschlossen. Auch in Österreich ist bis jetzt keine Rede von einer Impfpflicht.

Fakten

In dem Papier deutet einiges auf eine Fälschung hin, etwa Rechtschreib- und Grammatikfehler sowie Fehler bei der Beistrichsetzung. Auch ein Datum stimmt nicht: In dem Schriftstück heißt es, die vermeintlich vorgeschlagenen Maßnahmen sollten im Gesundheitsausschuss des Bundestages am 1. Juni 2021 diskutiert werden. An diesem Tag ist aber laut der offiziellen Internetseite des Ausschusses kein Termin angesetzt.

Das deutsche Gesundheitsministerium bestätigte auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur (dpa), dass es sich nicht um ein offizielles Dokument handle: «Das Papier ist eine Fälschung», teilte ein Sprecher mit.

Die Entwicklung von Konzepten für die Impfung von Kindern und Jugendlichen ist nach Angaben des Ministeriumssprechers in Deutschland Aufgabe der Bundesländer - nicht des Gesundheitsministeriums. Das hat die Gesundheitsministerkonferenz von Bund und Ländern Anfang Mai beschlossen. In dem Beschluss ist von einem «Impfangebot» die Rede. Auch der deutsche Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hatte Mitte Mai eine Verpflichtung zur Impfung ausgeschlossen - es bleibe eine freiwillige Entscheidung.

Bisher ist in Deutschland und Österreich noch kein Corona-Impfstoff für Kinder und Jugendliche unter 16 Jahren zugelassen. Biontech/Pfizer haben bei der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA) Ende April einen Antrag gestellt, um für ihren Impfstoff für Jugendliche zwischen zwölf und 15 Jahren eine Zulassung zu erhalten. Dieser wird noch geprüft. Am Freitag will die EMA voraussichtlich über die Zulassung entscheiden. Eine Zulassung gilt als wahrscheinlich.

Ob die Ständige Impfkommission (Stiko) in Deutschland aber eine Empfehlung aussprechen wird, ist derzeit noch unklar. In einem Interview mit dem Deutschlandfunk sagte ihr Vorsitzender Thomas Mertens, er könne nicht ausschließen, dass die Stiko die Impfempfehlung für Kinder und Jugendliche verweigert. Sein Gremium prüfe derzeit noch, wie hoch das Risiko einer schweren Covid-19-Erkrankung für diese Gruppe tatsächlich sei.

In Österreich geht die Generaldirektorin für die öffentliche Gesundheit, Katharina Reich, davon aus, dass der Impfstoff nach einer EMA-Zulassung auch vom Nationalen Impfgremium empfohlen wird. «Wir erwarten nicht, dass die Zulassung der EMA auf großen wissenschaftlichen Widerstreit stoßen wird», sagte Reich am Mittwoch im Ö1-«Mittagsjournal». Das Thema sei bereits im Vorfeld in den verschiedenen Gremien und Netzwerken gut abgesprochen worden, weil es eben durchaus heikel sei, berichtete auch die APA.

Auch Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein (Grüne) empfiehlt im Falle einer EMA-Zulassung den Impfstoff auch für Kinder: «Wenn ein Impfstoff von der EMA zugelassen wird, ist sichergestellt, dass es sich um einen hocheffektiven und sicheren Impfstoff handelt», sagte er dem «Standard».

Von einer Impfpflicht ist bis jetzt keine Rede. So sprach sich Mückstein mehrmals (hier, hier) dagegen aus. Auch Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) sagte zuletzt erneut, dass es eine Corona-Impfpflicht nicht gebe.

Im Rahmen von Covid-19-Impfstudien von Biontech/Pfizer hatten die zwölf bis 15-jährigen Kinder die Impfung gut vertragen, hieß es nach Angaben der Unternehmen. Die Nebenwirkungen seien vergleichbar mit denen bei 16- bis 25-Jährigen gewesen. Auch die Wirksamkeit war demnach hoch.

Zuletzt kursierten vermehrt falsche und irreführende Behauptungen zu Covid-19-Impfungen und Kindern, wie vergangene dpa-Faktenchecks zeigen. (hier, hier, hier, hier)

(Stand: 27.5.2021)

Links

Internetauftritt des Gesundheitsausschuss mit Terminkalender (archiviert)

Beschluss der Gesundheitsministerkonferenz zur Impfung von Personen zwischen 12 und 18 Jahren (6. Mai 2021) (archiviert)

Bericht in der «Ärztezeitung» mit Aussagen von Gesundheitsminister Jens Spahn zur Freiwilligkeit der Impfung (12. Mai 2021) (archiviert)

Deutschlandfunk-Interview mit dem Stiko-Vorsitzenden Thomas Mertens (25. Mai 2021) (archiviert)

APA-Artikel im «Standard» über EMA-Impfzulassung für Kinder und Jugendliche (archiviert)

«Standard»-Artikel mit Stellungnahme von Gesundheitsminister Mückstein (archiviert)

APA-Artikel in den «Salzburger Nachrichten» über Impfpflicht (archiviert)

«Kurier»-Artikel über Mückstein zu Impfpflicht (archiviert)

APA-Artikel in «Salzburger Nachrichten» zu Kanzler Kurz über Impfpflicht (archiviert)

Biontech/Pfizer über Impfstudien bei zwölf bis 15-Jährigen (archiviert)

dpa-Faktencheck «Corona-Impfungen noch nicht für Kinder zugelassen - EMA-Einträge sind Verdachtsfälle» (7. Mai 2021)

dpa-Faktencheck «Beschlusspapier falsch interpretiert: Ärztetag forderte keine Impfpflicht für Kinder» (22. Mai 2021)

dpa-Faktencheck «Video enthält irreführende Behauptungen zu Kindern und Corona» (21. Mai 2021)

dpa-Faktencheck «Keine Belege für angeblichen Tod einer Zweijährigen nach Impfung - Studie startete erst später» (23. April 2021)

Facebook-Posting (archiviert)

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