Beschlusspapier falsch interpretiert: Ärztetag forderte keine Impfpflicht für Kinder

20.05.2021, 17:59 (CEST)

Zurzeit prüft die Europäische Arzneimittelbehörde, ob ein Impfstoff gegen Covid-19 auch für Kinder und Jugendliche zwischen 12 und 15 Jahren zugelassen werden darf. Noch ist keine Impfung für diese Altersgruppe freigegeben, doch in sozialen Medien wird bereits über eine Pflicht zur Immunisierung spekuliert. In einem Facebook-Beitrag heißt es: «Impfzwang für Kinder und Kleinkinder kommt!» Der Nutzer weist auf ein Beschlussprotokoll des Ärztetags hin. «In diesem verlangt sie von der Bundesregierung eine Impfpflicht für Kinder und Kleinkinder. Das ist ein SKANDAL!», schreibt der Nutzer (hier archiviert).

Bewertung

Der Ärztetag hat keine Impfpflicht beschlossen - dies könnte nur der Bundestag per Gesetz. Die Ärzte haben die Bundesregierung lediglich aufgefordert, eine Impfstrategie für Kinder zu erarbeiten. Bisher sind keine Impfungen für Kinder in Deutschland zugelassen und keine Planungen für eine Impfpflicht bekannt.

Fakten

Der Ärztetag ist ein jährliches Treffen der Bundesärztekammer. Hier werden Fragen besprochen, die den Arztberuf betreffen, oder Positionen zu medizinisch-ethischen Dilemmata formuliert.

Im Beschlussprotokoll des diesjährigen Treffens am 4. und 5. Mai fordern die Ärztinnen und Ärzte die Bundesregierung auf, «unverzüglich eine Covid-19-Impfstrategie für Kinder und Jugendliche zu entwickeln». Ohne rechtzeitige Impfung, so argumentierte der Ärztetag, führe ein erneuter Lockdown für Kinder zu «weiteren gravierenden negativen Folgen für die psychische Entwicklung».

Das Wort «Impfpflicht» oder die Forderung danach kommt in dem Beschlussprotokoll jedoch nicht vor. Dort heißt es: «Das Recht auf Bildung mit Kita- und Schulbesuch kann im Winter 2021/2022 nur mit einer rechtzeitigen COVID-19-Impfung gesichert werden.» Sowie: «Die gleichberechtigte gesellschaftliche Teilhabe erlangen Familien mit Kindern nur mit geimpften Kindern zurück.»

Der Sprecher der Bundesärztekammer bestätigte der Deutschen Presse-Agentur (dpa), dass es sich bei den kursierenden Facebook-Postings um Falschmeldungen handele. «Eine Impfpflicht für Kinder und Jugendliche, wie nun fälschlicherweise behauptet wird, hat der 124. Deutsche Ärztetag nicht gefordert», sagte der Sprecher.

Stattdessen fordere der Ärztetag von der Bundesregierung, die Forschung an Impfstoffen für Kinder und Jugendliche zu fördern, Impfstoffe zu bestellen und zu liefern, Kommunikationskampagnen vorzubereiten sowie Kinder- und Jugendärzte zu unterstützen, teilte der Sprecher mit.

Noch ist offen, ob und wie die Bundesregierung mit dieser Empfehlung umgehen wird. Bislang werden in Deutschland keine Kinder oder Jugendlichen unter 16 Jahren geimpft. Biontech und Pfizer haben bei der Europäischen Arzneimittelbehörde (Ema) Ende April einen Antrag gestellt, um für ihren Impfstoff für Jugendliche zwischen 12 und 15 Jahren eine Zulassung zu erhalten. Für die Prüfung von Zulassungsanträgen für Corona-Impfstoffe braucht die Ema in der Regel wenige Wochen. Das heißt, dass die EU-Zulassung frühestens Anfang bis Mitte Juni erfolgen könnte.

Von einer Impfung für Kinder unter 12 Jahren ist Deutschland noch weiter entfernt. Zurzeit laufen klinische Studien von Biontech und Pfizer zur Wirkung und Sicherheit ihres Corona-Impfstoffs bei Kindern zwischen sechs Monaten bis einschließlich elf Jahren. Biontech geht nach eigenen Angaben davon aus, dass belastbare Daten daraus bis September verfügbar sein werden. Erst dann kann ein Antrag auf Zulassung gestellt werden.

Links

Beschlusspapier des 124. Ärztetags der Bundesärztekammer (archiviert: http://dpaq.de/MWa7w)

Pressemitteilung der Bundesärztekammer zur Empfehlung für eine Impfstrategie (archiviert: http://dpaq.de/5dJap)

dpa-Bericht über Zulassungsantrag für Impfstoff für Kinder zwischen 12 und 15 Jahren (archiviert: https://archive.ph/vhfIP)

Facebook-Beitrag(archiviert: https://archive.vn/v64u0)

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