Kein Wort von «Chemtrails»

Sommaruga sprach über Chancen und Risiken von Geoengeneering

29.8.2023, 16:44 (CEST)

Wie soll man dem Klimawandel begegnen? Mehrere Methoden werden international diskutiert und erforscht - auch Technologien, um das Klima zu beeinflussen. Warum das nichts mit Chemtrails zu tun hat.

Am 11. bis 15. März 2019 fand in Nairobi, Kenia, die vierte UN-Umweltversammlung statt. Als damalige Vorsteherin des Eidgenössischen Departementes für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (UVEK) und somit auch des Bundesamtes für Umwelt (BAFU) reiste Simonetta Sommaruga nach Kenia. In den sozialen Medien kursiert ein Ausschnitt aus einem Interview mit der ehemaligen Bundesrätin über die Schweizer Bemühung, den Umweltschutz global zu regeln. Ein Facebook-User schreibt dazu: «Simonetta Sommaruga bezeugt die Existenz von Chemtrails, auch bekannt als Geoengineering.» Was sind Chemtrails, was Geoengineering und was sagte die ehemalige Bundesrätin damals in Nairobi?

Bewertung

Simonetta Sommaruga bestätigte im Interview, dass der Schweizer Antrag zur Untersuchung der Chancen und Risiken der künstlichen Beeinflussung des Klimas in Nairobi keinen Konsens fand. Unter «Geoengineering» versteht man unterschiedliche Methoden, um mit gezielten Eingriffen in das Klimasystem den vom Menschen verursachten Klimaerwärmung entgegenzuwirken. An derartigen Methoden wird schon länger geforscht, doch es gibt keine Belege, dass Flugzeuge systematisch Partikel in die Atmosphäre versprühen würden, wie es die Chemtrail-Hypothese behauptet.

Fakten

Das Interview wurde von Keystone-SDA in Nairobi aufgenommen, auch andere Medien wie der «Blick» publizierten das Video. Darin drückte die damalige Bundesrätin ihr Bedauern aus, dass der Antrag, Chancen und Risiken der künstlichen Klimabeeinflussung zu untersuchen, keinen Konsens auf internationaler Ebene fand. Mehrere Länder wie die USA und Saudi-Arabien blockierten die Resolution, worauf die Schweizer Delegation ihren Antrag zurückzog. Wie der Bundesrat betonte, werden die Schweizer Behörden sich weiterhin für Untersuchungen zur künstlichen Klimabeeinflussung engagieren.

Was ist Geoengineering?

Das gezielte Eingreifen in das Klimasystem wird oft auch «Geoengineering» genannt. An der künstlichen Klimabeeinflussung wird schon länger geforscht. Diskutiert werden zwei Methoden, die ganz unterschiedliche Ansätze verfolgen (Download, Seite 10).

Bei Negativemissionstechnologien (NET) wird Kohlendioxid (CO2) aus der Atmosphäre entfernt und anschliessend für lange Zeit gebunden oder sicher verwahrt. Für die Bindung von CO2 hat die Wissenschaft mehrere Optionen: einerseits in Wäldern oder im Boden oder zur Düngung von Ozeanen.

Die andere Methode - Solar Radiation Modification (SRM) – zielt hingegen darauf ab, die Sonneneinstrahlung zu beeinflussen und somit den Wärmehaushalt der Erde zu verändern.

Noch ist einiges an Forschungsarbeit bezüglich Machbarkeit und Wirkung bei der künstlichen Klimabeeinflussung zu leisten, Wissenschaftler warnen von den unabsehbaren Folgen derartigen Eingriffe. Weitgehend unerforscht sind potenzielle Nebenwirkungen, wie etwa die Gefahr einer Veränderung der regionalen Niederschlagsverteilung oder die Auswirkungen auf Ökosysteme. Zudem sind für künstliche Klimabeeinflussung Ressourcen und Kosten vonnöten, internationale Reglementierungen fehlen.

Engagement der Schweiz

«Die Schweiz verfolgt SRM im Rahmen ihrer nationalen Klimapolitik nicht aktiv. Sie setzt sich hingegen international dafür ein, dass Diskussionen über das Wissen um SRM wie auch NET und deren internationale Regelung weiter vorangetrieben werden», schreibt das BAFU in einem Faktenblatt (Seite 3). Wie Simonetta Sommaruga bereits in Nairobi forderte, setzen sich die Schweizer Behörden nach wie vor für die Analyse von Chancen und Risiken der künstlichen Klimabeeinflussung ein. Denn der Weltklimarat (IPCC) ist gemäss BAFU der Auffassung, dass die gezielte Entfernung von CO2 aus der Luft «unumgänglich» sei, «um die globale Erwärmung auf 1,5 Grad Celsius zu beschränken».

Was sind Chemtrails?

Die Chemtrail-These geht davon aus, dass Flugzeuge gezielt und in geheimen Aktionen Chemikalien in die Luft sprühen würden. Dies würde der «Wettermanipulation, der gezielten Bevölkerungsreduktionen oder militärischen Zwecken» dienen, beschreibt das Bundesamt für Zivilluftfahrt (BAZL).

Doch tatsächlich lösen Flugzeuge bei genügend Luftfeuchtigkeit und tiefen Temperaturen die Bildung von Kondensstreifen aus. Diese bestehen hauptsächlich aus Wasser in der Form von Eiskristallen. Einen kleinen Teil davon stammt von den Flugzeugtriebwerken, der Grossteil besteht aus dem Wasser, welches sich gasförmig bereits in der Luft befindet und vom Flugzeug zur Kondensation gebracht wird.

Keine Belege für Chemtrails-Aktivitäten in der Schweiz

Im Interview in Nairobi sprach Simonetta Sommaruga nicht von Chemtrails oder anderweitigen geheimen Aktivitäten, um das Klima zu künstlich zu beeinflussen. Auch anderweitig lassen sich keine Belege dafür finden. Der Bundesrat nahm im Jahr 2007 Stellung zu einer Interpellation: «Im europäischen Raum entbehrt diese Chemtrail-These jeglicher Grundlage, denn das geheime, systematische Versprühen von Chemikalien ist einerseits verboten und andererseits aufgrund der permanenten Kontrolle des Luftraums praktisch unmöglich.» Zudem könnte ein «unbewilligter, nicht identifizierbarer Einflug eine Abfangmission der Schweizer Luftwaffe auslösen.»

Für derartige Sprüheinsätze benötigte Flugzeuge müssten zudem ein technisch aufwändiges Zertifizierungsverfahren beim Bund durchlaufen (Seite 3 ff.). Dem Bundesamt für Zivilluftfahrt (BAZL) ist kein entsprechender Umbau bekannt. Triebwerke und Treibstoffsysteme sind nur für spezifizierten Treibstoff gebaut und zugelassen. Auch hierbei hat das BAZL keine Kenntnisse über Triebwerkszertifizierungen für weitere Chemikalienbeigaben.

Künstlicher Eingriff ins Klimasystem – eine globale Herausforderung

Der Bundesrat hat keine Kenntnisse darüber, ob ausserhalb von Europa vor der internationalen Gemeinschaft verborgen gezielt Partikel in der Luft versprüht werden. Die Max-Planck-Gesellschaft schliesst nicht aus, dass irgendwann einzelne Staaten eigenmächtig künstlich ins Klimasystem eingreifen, ohne sich mit der internationalen Gemeinschaft abzusprechen. Gemäss dem Institut wäre dies ein «Fiasko», da die gesamte globale Gemeinschaft davon betroffen wäre.

(Stand: 29.8.2023)

Links

Facebook-Post (archiviert, Video archiviert)

UNO: Vierte Umweltversammlung in Kenia, März 2019 (archiviert)

Bundesrat: Portrait Simonetta Sommaruga (archiviert)

Bundesrat: Medienmitteilung über UNO-Umweltkonferenz in Nairobi, 14.03.2019 (archiviert)

Blick: Video von Keystone-SDA mit Interview mit Simonetta Sommaruga, 14.03.2019 (archiviert; archiviertes Video)

Scientific American: Mehre Länder blockieren Schweizer Antrag, 15.03.2019 (archiviert)

IISD: Bericht über Meeting in Nairobi, 13.03.2019 (archiviert)

Parlament: Interpellation - Geoengineering gegen Klimaerwärmung, 2011 (archiviert)

Parlament: Interpellation - Chemtrails, 2007 (archiviert)

SCNAT: Factsheet Künstliche Klimabeeinflussung, 2018 (archiviert)

BAFU: CO2 aus der Luft entfernen, Februar 2022 (Download) (archiviert)

BAFU: CO2-Entnahme und -Speicherung (archiviert)

BAFU: Faktenblatt Negativemissionstechnologien, 02.09.2020 (archiviert)

Max-Planck-Gesellschaft: Künstliche Klimabeeinflussung, 11.03.2021 (archiviert)

BAZL: Faktenblatt Kondensstreifen, 27.10.2022 (archiviert)

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