Keine Enteignungen

EU-Vorgaben für Gebäude-Energiestandards sind für die Schweiz nicht bindend

06.03.2023, 13:29 (CET)

Mittels neuer Energiestandards für Gebäude möchte die EU die Klimaziele erreichen. Die EU-Gesetzesvorschläge sind für die Schweiz weder bindend noch sehen sie Eigentumsenteignungen vor.

Die Europäische Union (EU) arbeitet an neuen Rechtsvorschriften, um die Klimaziele zu erreichen. Das Projekt «Fit für 55» sieht dabei auch die Verbesserung der Energieeffizienz von Gebäuden vor. Nun kursiert in sozialen Medien die Befürchtung, die EU plane die «gezielte Enteignung von Häusern». Konkret in Deutschland sei die Enteignung von über drei Millionen älterer privaten Immobilien vorgesehen, denn «Gebäude, die nicht nach den neu festgelegten Gebäuderichtlinien und Energiestandards der EU saniert werden, [dürften] ab 2030 nicht mehr genutzt werden». Stimmt das? Wie sieht die Situation in der Schweiz aus?

Bewertung

Die EU plant keine Enteignung von Wohneigentum. Die EU-Vorgaben werden zudem in der Schweiz nicht bindend sein, weil es in diesem Bereich kein Abkommen mit der EU gibt. Auch in der Schweiz sind keine Enteignungen bei ausbleibenden Gebäudesanierungen vorgesehen.

Fakten

Die EU soll bis 2050 klimaneutral werden. Als ein Zwischenziel soll die Netto-Treibhausgasemissionen bis 2030 um mindestens 55 Prozent im Vergleich zum Jahr 1990 gesenkt werden. Vorschläge zur Überarbeitung und Aktualisierung der EU-Rechtsvorschriften zur Erreichung dieses Zwischenzieles werden im Massnahmenpaket «Fit for 55» zusammengefasst. Von den Vorschlägen betroffen sind diverse Branchen wie die Land- und Forstwirtschaft, Infrastruktur, erneuerbare Energien sowie die Besteuerung.

Die Kommission schlug am 15. Dezember 2021 vor, auch die Richtlinie über die Gesamtenergieeffizienz von Gebäuden zu überarbeiten. Gebäude seien für etwa 40 Prozent des Energieverbrauchs in der EU und für 36 Prozent der Treibhausgasemissionen im Energiebereich verantwortlich. Zudem würden Gebäude der niedrigsten Energieklasse im Vergleich zu Gebäuden der höchsten Energieklasse 10-mal mehr Energie verbrauchen. Darin würden vorwiegend die ärmere Bevölkerungsschicht leben, die sich die hohen Energiekosten kaum leisten können.

«Fit für 55» sieht keine Enteignung vor

Der Vorschlag der EU-Kommission sieht für Neubauten vor, dass ab 2027 öffentliche Gebäude und alle weiteren (privaten) Neubauten ab 2030 sogenannte Nullemissionsgebäude sein müssen. Auch die bestehenden Gebäude sollen durch Sanierungen energieeffizienter und später emissionsfrei werden. Dafür möchte die Kommission die Quote der Renovierungen erhöhen.

Sie setzt dabei auf Mindeststandards, die stufenweise erhöht werden und somit eine Sanierung erforderlich machen. Die Kommission fokussiert sich dabei auf die Gebäude mit der schlechtesten Energieeffizienz. Für historische und religiöse Gebäude, aber auch für Industrieanlagen sind Ausnahmen vorgesehen.

Da es sich um beim «Fit für 55»-Paket um eine Richtlinie handelt, müssten diese von den EU-Mitgliedstaaten in das nationale Recht übertragen werden. Für die Umsetzung und Kontrolle der EU-Richtlinien sind ebenfalls die einzelnen Mitgliedstaaten verantwortlich.

Der Kommissionsvorschlag sieht jedoch weder die Enteignung von Wohneigentum noch Nutzungs-, Vermietungs- oder Verkaufsverbote vor. Es ist keine Rede davon, dass Gebäude bei einer ausbleibenden Sanierung ab einer bestimmten Frist nicht mehr bewohnt werden dürfen. Artikel 31 besagt, dass die Mitgliedstaaten festlegen, «welche Sanktionen bei einem Verstoss (...) zu verhängen sind, und ergreifen die zu deren Durchsetzung erforderlichen Massnahmen.» Diese Sanktionen müssten demnach wirksam, verhältnismässig und abschreckend sein.

Die einzelnen EU-Staaten legen eigenständig fest, wie sie die EU-Ziele erreichen wollen und was bei Verstössen für Konsequenzen drohen. «Unter keinen Umständen erwartet die Kommission, dass jemand aus einem Haus geworfen wird, um Effizienzvorgaben umzusetzen. Dies wäre völlig unverhältnismässig», erklärte die EU-Kommission gegenüber der Deutschen Presse-Agentur (dpa).

Wie die Richtlinie zur Energieeffizienz von Gebäuden aussehen werden, sowie deren Umsetzung durch die Mitgliedsstaaten ist offen. Im Oktober 2022 hat der EU-Rat zu dem Vorschlag der EU-Kommission Stellung bezogen. Die Positionen unterscheiden sich in mehreren Punkten. Damit in Trilog-Verhandlungen zwischen EU-Rat und Europäischem Parlament unter Vermittlung der Kommission ein Kompromiss gefunden werden kann, muss sich zunächst das Parlament äussern.

Situation in der Schweiz

Es gibt kein bilaterales Abkommen mit der EU, welches die Schweiz verpflichten würde, Vorschriften für Energieeffizienz bei Gebäuden zu übernehmen. EU-Vorgaben, die bezüglich Gebäudesektor aus den Rechtsvorschriften von «Fit für 55» resultieren werden, sind entsprechend für die Schweiz nicht bindend, erklärt Jan Flückiger von der Konferenz Kantonaler Energiedirektoren (EnDK).

«Massnahmen im Bereich Energieeffizienz in Gebäuden sind gemäss Bundesverfassung Artikel 89 Abschnitt 4 sowie Energiegesetz Artikel 45 Sache der Kantone», schreibt Flückiger. Die Konferenz Kantonaler Energiedirektoren erlasse Empfehlungen für Vorgaben, welche die Kantone dann in ihre Energiegesetze aufnehmen. Die aktuellen Mustervorschriften der Kantone im Energiebereichen für Gebäude stammen aus dem Jahr 2014 (Download-Link).

Massnahmen zur Steigerung der Energieeffizienz werden durch das Gebäudeprogramm von Bund und Kantonen gefördert. Enteignungen von Wohneigentum auch bei ausbleibenden Sanierungen sind nicht vorgesehen, dementiert der EnDK-Generalsekretär.

(Stand: 3.3.2023)

Links

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Artikel mit Falschbehauptung (archiviert) https://archive.ph/nw4kR

Youtube-Video (archiviert)

EU: Übersicht «Fit for 55» (archiviert)

EU: Kommissionsvorschlag zur Richtlinien-Überarbeitung, 15.12.2021 (archiviert)

EU: Rede von Frans Timmermans bei Vorschlagspräsentation, 15.12.2021 (archiviert)

EU: Kommissionsvorschlag «Fit für 55» für umweltfreundlichere Gebäude (archiviert)

EU: Über das EU-Recht (archiviert)

EU: Fragen und Antworten zum Kommissionsvorschlag, 17.12.2021 (archiviert)

EU: Pressemitteilung zur Position des EU-Rates, 25.10.2022 (archiviert)

bpb: Erklärung Trilog-Verfahren (archiviert)

Schweizer Bundesrecht: Bundesverfassung (archiviert)

Schweizer Bundesrecht: Energiegesetz (archiviert)

EnDK: Mustervorschriften der Kantone im Energiebereich, 2014 (Download) (archiviert)

Gebäudeprogramm: Energetisch sanieren (archiviert)

dpa-Faktencheck: Kommission will Häuser-Sanierung anstossen - keine Enteignung

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