WHO-Gesundheitsrichtlinie

Initiative will Souveränität der Schweiz schützen

11.07.2022, 17:55 (CEST), letztes Update: 11.07.2022, 18:13 (CEST)

Die Gründungsurkunde der Weltgesundheitsorganisation sah keinen Austritt aus der Organisation vor. Doch genau dies soll angeblich die Schweiz anstreben. Was befeuert das Gerücht?

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) spielte bei der Bewältigung der Covid-Pandemie eine zentrale Rolle. Dabei zeigten sich aber auch Mängel der Organisation und des globalen Gesundheitssystems, die WHO stand mehrfach in der Kritik. «Austritt der Schweiz aus der WHO», wird nun auf Facebook ein Artikel kommentiert, in dem es heisst: «Eine Bürgerrechtsbewegung strebt den Austritt der Schweiz aus der WHO an.» (archiviert) Stimmt das?

Bewertung

Die Bürgerbewegung «Mass-Voll» hat eine Petition mit der Forderung lanciert, dass die Schweiz neue WHO-Gesundheitsrichtlinien für eine verbesserte Pandemieprävention ablehnen soll. Ein Austritt aus der Organisation sei derzeit nicht geplant, könne aber als letztes Mittel notwendig werden, teilte «Mass-Voll» mit.

Fakten

Die Schweiz ist Mitgliedsstaat der WHO. Es lassen sich weder offizielle Statements der Schweizer Behörden noch Medienberichte finden, wonach die Schweiz aus der WHO auszutreten gedenkt.

Die Gründungsverfassung der WHO sieht zwar keinen Austritt ihrer Mitglieder vor. Die Vereinten Nationen haben jedoch später geregelt, wie Länder aus multilateralen Organisationen austreten können. Die Kündigungsfrist für einen WHO-Austritt beträgt 12 Monate, wobei sämtliche ausstehende Gelder zu bezahlen sind. Bewilligte Fördergelder sowie im Voraus zugesagte freiwillige Beiträge können nicht zurückgezogen werden.

Petition gegen neue Gesundheitsrichtlinien

Die Bürgerbewegung «Mass-Voll» lancierte vor einigen Wochen eine Petition mit der Forderung, dass die Schweiz neue WHO-Gesundheitsrichtlinien für eine verbesserte Pandemieprävention ablehne. Die Gruppierung befürchtet, dass durch die WHO-Gesundheitsrichtlinien die Souveränität des Staates unterwandert werde. Der Verein Freunde der Verfassung ist derselben Ansicht und unterstützt die Petition.

In kurzer Zeit seien über 20 000 Unterschriften eigengegangen, schreibt Nicolas Rimoldi von «Mass-Voll» auf Anfrage von Keystone-SDA. Aufgrund dieses Erfolges arbeite der Verein nun an einer Initiative, der konkrete Text ist Stand 11. Juli 2022 noch in Bearbeitung.

Auf der Webseite von «Mass-Voll» steht zwar, dass die Initiative den Austritt aus der WHO befürworte. Rimoldi relativiert die Aussage gegenüber Keystone-SDA jedoch dahingehend, dass ein Austritt erst dann gefordert würde, «wenn die Schweiz zuvor alle Möglichkeiten erfolglos ausschöpfte, einen Angriff auf [die] verfassungsmässigen Grundrechte abzuwehren.» Ähnlich ist es auch in einem offenem Brief formuliert: «Sollten Sie die Unabhängigkeit der Schweiz und die Freiheit des Schweizer Volkes nicht verteidigen, werden wir übernehmen müssen und den Austritt aus der WHO mittels einer eidgenössischen Volksinitiative fordern.»

Rimoldi betont, dass internationale Zusammenarbeit wichtig sei und der Schweiz dienlich sei. Die verfassungsmässige Freiheitsrechte sollen dabei jedoch nicht beschnitten werden. «Mass-Voll» plane, im Herbst 2022 mit der Unterschriftensammlung zu beginnen.

WHO will Maßnahmen gegen Pandemien stärken

Anlass für die Petition ist die Bestrebung der WHO, die Zusammenarbeit bei der Erkennung, Vorsorge und Reaktion auf eine Pandemie zu verbessern. Daraus soll ein globales Instrument zur Stärkung der Pandemieprävention, -vorsorge und -reaktion resultieren. Die rechtliche Form dieses internationalen Instruments ist noch nicht bekannt.

Die Pandemie hat Mängel in der Umsetzung der Internationalen Gesundheitsvorschriften offengelegt. Daher beschlossen Ende 2021 die Mitgliedstaaten der Weltgesundheitsorganisation, ein globales Instrument zur Stärkung der Pandemieprävention, -vorsorge und -reaktion auszuhandeln. Ein Zwischenstaatliches Verhandlungsgremium wurde dafür geschaffen, dessen Ergebnisse sollen im Jahr 2024 der Weltgesundheitsversammlung vorgelegt werden. Die Öffentlichkeit wird bei der Erarbeitung dieses globalen Instrumentes mit einbezogen. Die Schweizer Behörden unterstützten dieses Vorhaben und sprechen sich für ein globales Instrument zur Verbesserung der Pandemieprävention aus.

Kein Angriff auf die nationale Souveränität

Der Generaldirektor der WHO bedauert, dass eine Minderheit Fakten verzerre. Mit dem vorgeschlagenen Abkommen zur verbesserten Pandemievorbereitung beabsichtige die WHO, die Staaten in der gemeinsamen Bekämpfung von Krankheiten zu stärken. Es wird erwartet, dass mit dem Abkommen die Freiheit der Individuen bei künftigen Seuchenausbrüche besser als bislang sichergestellt wird: Die Reisefreiheit, der Besuch der Arbeitsstelle sowie der Besuch einer Bildungseinrichtung soll somit auch während Gesundheitskrisen möglich sein.

Mehrfach betonte Tedros Adhanom Ghebreyesus, dass die Souveränität jedes Mitgliedstaates dabei gewährleistet bleibe. Der Verhandlungsprozess sei eine Diskussion zwischen den Mitgliedstaaten selbst, welche auch das Aussehen des finalen Instrumentes bestimmen. Jeder Staat entscheidet dann eigenständig, ob er das Instrument unterzeichnen möchte.

Dies bestätigte auch Judith Wyttenbach von der Universität Bern gegenüber Keystone-SDA für einen früheren Faktencheck. Als souveräner Staat kann die Schweiz selbst entscheiden, welche neuen völkerrechtlichen Verpflichtungen sie übernehmen will. «Die Schweiz ist Mitglied der WHO und nimmt an der Aushandlung neuer Instrumente teil. Dort kann sie sich gestaltend einbringen. Ist der neue Vertrag ausgehandelt und verabschiedet, kann die Schweiz einen Vertragsbeitritt prüfen», schrieb die Professorin vom Institut für öffentliches Recht. Die Schweiz entscheidet somit selbst, welche rechtlich verbindlichen Verpflichtungen der WHO sie ratifiziert und welche nicht.

(Stand: 11.7.2022)

Links

Facebook-Post (archiviert)

WHO: Länderprofil Schweiz (archiviert)

WHO: Liste der Mitgliedstaaten (archiviert)

WHO: Zustimmung der Weltgesundheitsversammlung für ein globales Instrument für eine verbesserte Pandemieprävention, 1.12.2021 (archiviert)

WHO: FAQ zum globalen Instrument für eine verbesserte Pandemieprävention, 20.5.2022 (archiviert)

WHO: Gründung des zwischenstaatlichen Verhandlungsgremiums zur Aushandlung eines globalen Instruments für eine verbesserte Pandemieprävention, 1.12.2021 (archiviert)

WHO: Zwischenstaatliches Verhandlungsgremium (archiviert)

WHO: Programm des zwischenstaatlichen Verhandlungsgremiums (archiviert)

WHO: Eröffnungsrede beim Public Hearing zu einem neuen internationalen Instrument zur verbesserten Pandemieprävention, 12.4.2022 (archiviert)

WHO: Eröffnungsrede beim Covid-19-Medienbriefing, 17.5.2022 (archiviert)

WHO: Eröffnungsrede beim Kongressprogramm des Aspen Institute, 1.6.2022 (archiviert)

WHO: US-Austritt aus der WHO wird in die Wege geleitet, 8.7.2020 (archiviert)

Schweizer Behörde: Tweet von Alain Berset zur Unterstützung der WHO, 29.11.2021 (archiviert)

Mass-Voll: Petition «Stopp der WHO-Machtergreifung» (archiviert)

Mass-Voll: Brief an die Schweizer Behörden, 13.5.2022 (archiviert)

Mass-Voll: Souveränitätsinitiative (archiviert)

Freunde der Verfassung: Nein zum WHO-Pandemievertrag, 19.4.2022 (archiviert)

Faktencheck Keystone-SDA (archiviert)

Rubikon: Artikel über das geplante Vorhaben, 16.6.2022 (archiviert)

Nature: Austritt aus der WHO, 23.6.2020 (archiviert)

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