Studie fehlinterpretiert: Covid-19 ist kein Schnupfen - Impfung wirkt auch bei Omikron

10.2.2022, 15:53 (CET)

Seit die Sars-CoV-2-Variante Omikron entdeckt wurde, laufen die Forschungen dazu auf Hochtouren. Eine in der Fachzeitschrift Nature publizierte Studie wird nun in einem Artikel aufgegriffen - mit dem Hinweis, sie sei «in einer sehr spezifischen Fachterminologie verfasst». Dazu heisst es, eine Omikron-Infektion sei ähnlich gefährlich wie ein Schnupfen und die Virusvariante würde Geimpfte wie Ungeimpfte gleichermassen befallen. Kein Wunder: Die Entwicklung der Impfstoffe habe begonnen, als das Virus «noch nirgendwo auf der Welt isoliert worden war». Generell wird die natürliche Entstehung der Variante Omikron angezweifelt. Ein Facebook-User (archiviert) empört sich: Die «Halbgefangenschaft» der Schweizer Bürgerinnen und Bürger sei unverzüglich zu stoppen. Was steckt hinter den Behauptungen?

Bewertung

Der Artikel gibt die Nature-Studie nicht korrekt wieder. Eine Covid-Erkrankung ist gefährlicher als ein Schnupfen. Sars-CoV-2-Impfstoffe reduzieren das Risiko eines schweren Verlaufs - auch bei der Omikron-Variante. Die dritte Impfdosis verstärkt diesen Effekt.

Fakten

Artikel gibt Studie nicht korrekt wieder

Der Nature-Artikel weist einen verminderten Schutz durch neutralisierende Antikörper gegen Omikron nach und bietet eine Instruktion zur Entwicklung von Impfstoffen, welche spezifisch auf Omikron und zukünftige Varianten abgestimmt ist. Der Report-24-Artikel gibt die wissenschaftliche Veröffentlichung jedoch nicht korrekt wieder, wie der deutsche Immunologe Carsten Watzl gegenüber der Nachrichtenagentur Keystone-SDA darlegt. Die Studie weise lediglich nach, dass die Antikörper der Genesenen und Geimpften nicht so gut gegen die Sars-CoV-2-Variante Omikron wirken. Dass die Impfung «fast wirkungslos» sei, gehe daraus hingegen nicht hervor.

Die Studienautoren untersuchten die Wirksamkeit diverser Antikörper gegen die Omikron-Variante und stellten fest, dass über 85 Prozent der 247 bekannten neutralisierenden Antikörper nicht gegen Omikron wirken. Sie unterschieden dabei nicht, ob diese Antikörper nach eine Impfung oder während einer Infektion gebildet wurden.

Eine Covid-Erkrankung ist gefährlicher als ein Schnupfen

Eine Infektion mit der Omikron-Variante ist sogar deutlich gefährlicher als eine Grippe, sagte der deutsche Immunologe Carsten Watzl gegenüber der Nachrichtenagentur Keystone-SDA. In einer Studie von Ende 2020 belegten französische Forscher, dass Sars-CoV-2-Viren fast dreimal tödlicher sind als Influenza-Viren. Dies thematisierte die Deutsche Presse-Agentur (dpa) bereits in anderen Faktenchecks.

Datenauswertungen aus Südafrika ergaben, dass das Risiko einer Hospitalisierung oder eines tödlichen Verlaufes bei einer Infektion mit Omikron für Ungeimpfte um 25 Prozent geringer sei als bei einer Infektion mit der Delta-Variante - damit jedoch deutlich höher als bei der Grippe. Der Schutz vor einem schweren Krankheitsverlauf basiere vor allem auf den bereits durchgestandenen Infektionen oder der Impfung. Daten weisen darauf hin, dass die Virulenz bei Omikron geringer sei und weniger die Lunge befalle als die bisherigen Varianten.

Sars-CoV-2 kursiert aktuell nicht endemisch und es ist unklar, wann dies eintreffen wird. Gemäss Richard Neher vom Biozentrum der Universität Basel ist aktuell noch nicht absehbar, ob die Omikron-Welle mit einer Grippewelle vergleichbar sei. Zwar verläuft eine Omikron-Infektion meist milder als eine Delta-Infektion, doch die Langzeitfolgen sind nicht bekannt. Der Professor rät, eine Impfung sei einer Omikron-Infektion vorzuziehen.

Das deutsche Robert Koch-Institut (RKI) schätzt die Infektionsgefahr mit der Omikron-Variante für Ungeimpfte sehr hoch ein, für die zweifach Geimpften als hoch und für die dreifach Geimpften als moderat.

Impfung schützt von schweren Covid-Verläufen – auch bei einer Infektion mit Omikron

Studien wiesen nach, dass der Impfschutz gegen die Omikron-Variante zwar geringer ist als bei den vorangegangen Varianten - Forschende warnten entsprechend früh von vermehrten Durchbruchsinfektionen. Aber auch bei Omikron bietet eine Impfung einen erheblichen Schutz gegen schwere Verläufe und Spitaleintritte.

Neuere Studien wiesen nach, dass insbesondere eine dritte mRNA-Impfdosis den Impfschutz wiederherstelle. Dieser sei gegen Omikron effektiver als eine natürlich erlittene Infektion oder eine Grundimmunisierung mittels zwei Impfdosen. Eine vollständige Immunität kann aber auch mit der Booster-Impfung nicht garantiert werden.

Der Hersteller Pfizer/Biontech fand in Laborstudien heraus, dass drei Impfdosen den Impfschutz um das 25-fache steigern würde im Vergleich zu zwei. Geimpfte, insbesondere geboosterte Personen, sind somit einem geringeren Risiko ausgesetzt, einen schweren Krankheitsverlauf zu erleiden bei einer Infektion mit Omikron. Die Nature-Studie setzt sich für die weitere Forschung und Entwicklung von Sars-CoV-2-Arzneimittel ein und zeigt auf, welche Antikörper am besten die Omikron-Variante neutralisieren. In einer älteren Version des Nature-Artikels schreiben die Forschenden, die Impfstoffe seien das wichtigste Instrument, um die Sars-CoV-2-Pandemie zu beenden.

Die WHO warnte Mitte Januar 2022, Omikron nicht zu unterschätzen. Mehrheitlich milde Verläufe wurden vor allem in europäischen Staaten, welche eine hohe Impfquote aufweisen, beobachtet. «Die vergleichsweise geringere Zahl an Krankenhauseinweisungen und Todesfällen ist, insbesondere in gefährdeten Bevölkerungsgruppen, bislang zum grossen Teil den Impfungen zu verdanken», schreibt die WHO. Es bleibt ungewiss, was die Variante in der vulnerablen Bevölkerungsgruppe in Länder verursacht, die niedrigere Impfquoten aufweisen.

Die Impfstoffentwicklung basiert auf der Virussequenzierung

Die derzeit genutzten Impfstoffe wurden auf Grundlage das Wildtyps konzipiert - also des ursprünglich zirkulierenden Stamms, der Ende 2019 in China entdeckt wurde. Die chinesischen Behörden veröffentlichten am 12. Januar 2020 dessen genetische Sequenzierung. Damit war ersichtlich, dass Sars-CoV-2 mithilfe der Spike-Proteine an die menschliche Zelle andocken kann. Erst dann begann die Entwicklung der Impfstoffe.

Das pandemische Potential von Coronaviren war schon länger bekannt, Forschungsprojekte dazu liefen schon lange vor dem Ausbruch von Sars-CoV-2. Auch an der mRNA-Impfstofftechnologie wurde schon lange vorher geforscht.

Alle Viren mutieren

Viren verändern bei ihrer Replikation zufällig ihr Erbgut, dies ist ein Teil ihrer Entwicklung und geschieht auf natürliche Weise. Dass auch Sars-CoV-2 sich weiterentwickelt und Mutationen entstehen, ist als nichts Ungewöhnliches. Mutationen können dem Virus einen Vorteil verschaffen. So entzieht sich zum Beispiel die Omikron-Variante mehr dem Impfschutz, Durchbruchsinfektionen werden häufiger.

Die dpa thematisierte natürliche Entstehung von Virusmutationen bereits in einem früheren Faktencheck.

(Stand: 6.2.2022)

Links

Facebook-Post (archiviert)

Report 24: Artikel über die Publikation in der Fachzeitschrift Nature, 26.12.2021 (archiviert)

Nature: Omikron entkommt den meisten Sars-CoV-2-Antikörper, 23.12.2021 (archiviert) DOI

Nature: Abstract des Artikels, 23.12.2021 (archiviert)

Nature Medicine: Vermehrte neutralisierende Aktivitäten gegen Omikron mit der mRNA-Booster-Immunisierung, 27.12.2021 (archiviert) DOI

Ältere Version der Studie von Nature, 9.12.2021 (archiviert)

Studie über die reduzierte Neutralisation der Omikron-Variante, 11.12.2021 (archiviert) DOI

Studie über Impfschutzentweichung von Omikron, 3.1.2022 (archiviert) DOI

Studie über neutralisierende Antikörper gegen Omikron, 28.12.2021 (archiviert) DOI

Studie über Infektionen mit früheren Sars-CoV-2-Varainten im Vergleich zu Omikron, 12.1.2022 (archiviert) DOI

Studie zur Mortalität von Covid-19 und Influenza, 17.12.2020 (DOI) (archiviert)

Biontech: Pressemitteilung Update zur Omikron-Variante, 8.12.2021 (archiviert)

Pfizer: Pressemitteilung Update zur Omikrion-Variante, 8.12.2021

RKI: Risikobewertung Sars-CoV-2, 14.1.2022 (archiviert)

Biontech: Chronologie Projekt Lightspeed (archiviert)

Universität Basel: Interview mit Richard Neher, 26.1.2022 (archiviert)

Deutsches Zentrum für Infektionsforschung: Definition Virulenz (archiviert)

SCNAT: Forschung mRNA-Impfstofftechnologie (archiviert)

WHO: Chronologie der ersten 2 Monate der Covid-Pandemie, 20.1.2020 (archiviert)

WHO: Fakten zu Omikron, 19.1.2022 (archiviert)

Kontakt zum Faktencheck-Team der dpa: factcheck-schweiz@dpa.com