Zertifikatspflicht ist rechtlich verbindlich

29.11.2021, 13:12 (CET)

Seit dem 13. September 2021 gilt die 3G-Regel im Innern von Gaststätten. Die Rechtmässigkeit der Zertifikatspflicht wird in den sozialen Medien (archiviert) in Frage gestellt: «Aufgrund fehlender gesetzlicher Grundlage für eine allgemeine Zertifikatspflicht heissen wir […] alle ohne Einschränkung herzlich willkommen», schreibt ein Gastronomiebetrieb aus dem Wallis auf seinem Facebook-Kanal. Für die Zertifikatspflicht brauche es eine gesetzliche Grundlage, welche grundrechtseinschränkende Massnahmen gestatte, lautet die Begründung (archiviert). Weder das Covid-19 Gesetz noch das Epidemiengesetz (EpG) würden dies aber vorsehen. Verschiedene Artikel der Bundesverfassung sollen die Beweise dafür liefern. Folglich sei die Zertifikatspflicht lediglich eine Empfehlung, aber kein Obligatorium, so die Schlussfolgerung im Sharepic.

Bewertung

Die Behauptung ist falsch. Die Bundesverfassung sieht eine Einschränkung der Grundrechte in Gefahrensituationen vor. Die Zertifikatspflicht ist in der Covid-Verordnung besonderer Lage geregelt, welche sich auf das Epidemiengesetz stützt.

Fakten

Artikel 5, Abschnitt 1, Artikel 36, Abschnitt 1 und Artikel 164, Abschnitt 1 b und c der Bundesverfassung sollen angeblich beweisen, dass Einschränkungen der Grundrechte eine gesetzliche Grundlage benötige. Wann Grundrechte eingeschränkt werden können, ist in der Bundesverfassung sehr wohl geregelt.  

Gemäss Artikel 36, Abschnitt 1 der Bundesverfassung ist die Einschränkung von Grundrechte in Fällen «ernster, unmittelbarer und nicht anders abwendbarer Gefahr» möglich. Eine solche Gefahr liegt mit der Covid-Pandemie vor. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) erklärte Ende Oktober 2021 Sars-CoV-2 weiterhin als gesundheitliche Notlage von internationaler Tragweite. Dies hat sich seit der ersten Ausrufung am 30. Januar 2020 nicht geändert.

Aufgrund der Internationalen Gesundheitsvorschriften (IGV) von 2005 ist der Generaldirektor der Weltgesundheitsorganisation (WHO) «zuständig für die Feststellung einer gesundheitlichen Notlage von internationaler Tragweite». Da die WHO Sars-CoV-2 nach wie vor als eine solche Notlage deklariert, kann der Bundesrat in Anbetracht der Covid-Infektionen in der Schweiz im Rahmen der besonderen Lage gemäss dem EpG Artikel 6 handeln. Wie in Abschnitt 2, Buchstabe a und b, geregelt kann der Bundesrat auch Massnahmen zur Pandemieeindämmung gegenüber einzelnen Personen sowie gegenüber der Bevölkerung anordnen.

Darauf basiert die Covid-19-Verordnung besondere Lage, welche die Anwendung des Covid-Zertifikates regelt. Darin heisst es unter Artikel 12, Absatz 1 zu den Restaurationsbetrieben: «Die Betriebe müssen bei Personen ab 16 Jahren den Zugang zu Innenbereichen auf Personen mit einem Zertifikat beschränken.» Diese Bestimmung wurde am 13. September 2021 eingeführt und ist vorerst bis zum 24. Januar 2022 befristet.

Verordnungen ergänzen und vervollständigen die Gesetze für deren Umsetzung. Die Bundesverfassung, die Bundesgesetze und die Verordnungen halten in der Schweiz die rechtlich verbindlichen Bestimmungen fest. Die Bundesverfassung wird durch die Bundesgesetze konkretisiert, welche wiederum durch Verordnungen detaillierter ausgeführt werden. Ein dpa-Faktencheck erörtert die Rechtsgültigkeit der Verordnungen vom Bundesrat.

Das Covid-19-Gesetz regelt lediglich die rechtliche Grundlage für das Covid-Zertifikat, nicht aber dessen Anwendung. Dazu wurde ebenfalls bereits einen Faktencheck veröffentlicht.

Gastronomiebetriebe sind folglich rechtlich verpflichtet, die Zertifikatspflicht in ihren Betrieben umzusetzen. Halten sie sich nicht daran, droht ihnen eine Busse oder gar eine Betriebsschliessung. Ende Oktober schlossen die Kantonsbehörden nach mehreren Mahnungen und Bussen ein Restaurant in Zermatt. Medienberichten zufolge handelt es sich dabei um die «Walliserkanne».

Auch Gäste ohne Zertifikat können mit 100 Schweizer Franken gebüsst werden. Für die Einhaltung der Schutzkonzepte sind die Kantone zuständig.

(Stand: 2.11.2021)

Links

Facebook-Post (archiviert)

Wirtshaus Walliserkanne (archiviert)

Sharepic mit Auszügen aus der Bundesverfassung (archiviert)

Bundesverfassung (archiviert)

Covid-Verordnung besonderer Lage (archiviert)

Epidemiengesetz Art. 6: Besondere Lage (archiviert)

Covid-Gesetz (archiviert)

WHO: Neunte Sitzung des Nofallausschusses zu Covid-19, 26.10.2021 (archiviert)

WHO: Erklärung von Covid-19 als gesundheitliche Notlage von internationaler Tragweite (archiviert)

Internationale Gesundheitsvorschriften (archiviert)

Covid-Statistik Schweiz: Epidemiologischer Verlauf (archiviert)

Medienmitteilung Bundesrat: Ausdehnung Zertifikatspflicht, 08.09.2021 (archiviert)

Schweizer Parlament: Verordnungen (archiviert)

Schweizer Parlament: Bundesgesetze (archiviert)

Schweizer Parlament: Rechtsetzung (archiviert)

Faktencheck dpa:

- Bundesrätliche Verordnungen sind verbindlich rechtskräftig

- Covid-Gesetz dient als rechtliche Grundlage für das Zertifikat

- Ausruf der ausserordentliche Lage im März 2020 erfolgte im Rahmen des Epidemiengesetzes

Medienmitteilung Kantonspolizei Wallis: Festnahme von Restaurant-Betreiber, 3110.2021 (archiviert)

Swissinfo: Schliessung «Walliserkanne», 31.10.2021 (archiviert)

NZZ: Schliessung «Walliserkanne», 31.10.2021

Kontakt zum dpa-Faktencheckteam: factcheck-schweiz@dpa.com