Daten in der EMA-Datenbank sind Verdachtsmeldungen und keine Belege

17.08.2021, 12:55 (CEST)

Mehr als 60 Prozent der über 18-Jährigen in den EU-/Efta-Länder sind vollständig gegen Covid-19 geimpft (Stand Anfang August 2021). Doch trotz strenger Zulassungsverfahren zweifeln noch immer einzelne die Sicherheit der Impfstoffe an. In den sozialen Medien (archiviert) verbreitet sich ein Tweet (archiviert) mit der Behauptung, 2021 seien im Zusammenhang mit Impfungen fast 19 000 Menschen gestorben. 1976 sei hingegen «eine Impfung vom Markt genommen [worden], nachdem 56 Menschen gestorben waren».

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Die Europäischen Arzneimittelagentur (EMA) verzeichnete 2021 zwar mehrere Todesfälle, die nach einer Corona-Impfung aufgetreten sind. Dabei handelt es sich jedoch um Verdachtsmeldungen. Dass die Impfung die Todesursache war, ist nicht belegt. Gesundheitsbehörden zufolge ist der Nutzen der Impfung höher als deren Risiko.

Fakten

Die im Tweet verbreitete Zahl von «fast 19 000 Toten» lässt sich nicht belegen. Die Zahl sei der EMA nicht bekannt, teilte deren Sprecherin der Deutschen Presse-Agentur (dpa) auf Anfrage mit. Die Europäische Arzneimittelagentur überwacht die Sicherheit von Arzneimitteln, die in der EU zugelassen sind. Sie soll sicherstellen, dass der Nutzen die Risiken überwiegt.

Dazu verwendet die EMA das Meldesystem EudraVigilance. In dieser Datenbank werden unter anderem Fälle von Symptomen in zeitlichem Zusammenhang mit einer Corona-Impfung erfasst. Die nationalen Arzneimittelbehörden der EU-Mitgliedstaaten und deren Vertragspartner wie die Schweiz sowie Pharmaunternehmen mit entsprechender Zulassung melden solche Vorfälle.

Bei den Meldungen handelt es sich aber lediglich um Verdachtsfälle. Sie sind deshalb keine Bestätigungen dafür, «dass eine gewisse unerwünschte Wirkung bei einem Patienten durch ein bestimmtes Arzneimittel ausgelöst wurde.» Dies schreibt die EMA in ihrer Anleitung zur Dateninterpretation. Die Meldungen der Verdachtsfälle geben weder Auskunft über die Ursache der Symptome noch über die Sicherheit des Arzneimittels. Dazu sind weitere wissenschaftliche Studien notwendig.

Die angeblichen tödlichen Ereignisse im zeitlichen Zusammenhang mit der Covid-Impfung sind ebenso Verdachtsmeldungen und deshalb keine Belege dafür, dass der Impfstoff den Tod verursacht hat. «Die Tatsache, dass jemand ein medizinisches Problem hatte oder nach der Impfung gestorben ist, bedeutet nicht unbedingt, dass dies durch den Impfstoff verursacht wurde», so die EMA-Sprecherin.

Zudem werden in der EMA-Datenbank einzelne Fälle mehrfach aufgeführt, wenn bei Betroffenen nach der Impfung mehrere Nebenwirkungen auftraten oder sie verstarben. Dazu heisst es von der EMA auf dpa-Anfrage: «Da ein Einzelfall mehr als eine vermutete Nebenwirkung enthalten kann, ist die Summe der tödlichen Fälle (...) immer höher als die Gesamtzahl der tödlichen Fälle.» Die tatsächliche Zahl der Todesopfer ist also geringer und lässt sich nicht aus der Datenbank ableiten.

Die dpa hat bereits mehrere Falschinterpretationen der Daten aus der EudraVigilance widerlegt. Das Schweizerische Heilmittelinstitut Swissmedic meldete Ende Juli 2021, der Nutzen der eingesetzten Covid-Vakzine übersteige das Risiko.

Was aber hat sich im Jahr 1976 ereignet? Damals kam es zu einem Impfstoff-Fiasko in den USA, nachdem in einem Militärcamp die Schweinegrippe ausgebrochen war. In Erinnerung an die verheerenden Auswirkungen der Spanischen Grippe im Jahre 1918 wurden zur Prävention mehr als 40 Millionen amerikanische Bürgerinnen und Bürger geimpft – über 20 Prozent der damaligen Bevölkerung.

Doch die Impfung führte zu mehr Leiden und Todesfällen als die Krankheit selbst. Anfang Oktober 1976 wurde die erste Impfdosis ausserhalb von Studienprogrammen injiziert. Noch im gleichen Monat meldete das US-amerikanische «Centers for Disease Control and Prevention» (CDC) 41 Todesfälle in einem zeitlichen Zusammenhang mit der Impfung. Zu diesem Zeitpunkt war aber noch nicht bekannt, ob die Impfung dafür verantwortlich war.

Etwa 500 Geimpfte litten später am Guillain-Barre-Syndrom, welches Nerven schädigt und Lähmungen verursacht. Die Zahl von 56 Todesfälle aufgrund der Impfung im Jahr 1976 konnte nicht verifiziert werden.

(Stand: 11.8.2021)

Links

Facebook-Post (archiviert)

Tweet (archiviert)

European Centre for Disease Prevention and Control: Vaccine Tracker (archiviert)

EMA:

- Auftrag der EMA (archiviert)

- EudraVigilance (archiviert)

- Zusammenarbeit mit der Schweiz (archiviert)

- Anleitung der Dateninterpretation (archiviert)

Swissmedic:

- Medienmitteilung: Informationsaustausch mit der EMA 22.7.2015 (archiviert)

- Update Risiko-Nutzten Analyse der Covid-Impfstoffe, 23.7.2021 (archiviert)

dpa-Faktencheck:

- Meldungen in der EMA-Datenbank weisen lediglich auf Verdachtsfälle hin

- Liste der Europäischen Arzneimittel-Agentur zeigt Verdachtsfälle

Berichterstattung über das Impf-Fiasko im Jahr 1976:

- Los Angeles Time, 27.4.2009 (archiviert)

- BBC Future, 22.9.2020 (archiviert)

- CNN Health, 30.4.2009 (archiviert)

- NCBI: Chronik der Schweinegrippe im Jahre 1976 (archiviert)

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