Kein Ende der Stromlieferung beschlossen

17.6.2021, 15:20 (CEST)

Der Bundesrat hat entschieden, das institutionelle Abkommen mit der Europäischen Union (EU) nicht zu unterzeichnen. Dadurch wird die Zusammenarbeit erschwert. Doch will die EU tatsächlich keinen Strom mehr in die Schweiz liefern, wie es in einem Facebook-Post (hier archiviert) behauptet wird?

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Es wurde kein Lieferstopp beschlossen, weder die EU noch die Schweiz haben definitive Entscheide zum weiteren Vorgehen gefällt. Gemäss Experten ist ohne Stromabkommen mit einer Strompreiserhöhung zu rechnen.

Fakten

Am 26. Mai 2021 hat der Bundesrat beschlossen, die Verhandlungen mit der EU über das institutionelle Abkommen (InstA) zu beenden. Die Unterzeichnung des InstA war Voraussetzung für ein Stromabkommen mit der EU. Nun ist die künftige Kooperation ungewiss.

Der Bundesrat hat in einer Medienmitteilung deutlich dafür plädiert, «die bewährte bilaterale Zusammenarbeit zu sichern und die bestehenden Abkommen konsequent weiterzuführen». Auch erachtet er es im beidseitigen Interesse, bewährte Kooperation - wie dasjenige im Bereich Strom - weiterhin zu aktualisieren.

Die EU hat der Schweiz (Stand 8. Juni 2021) nicht offiziell mitgeteilt, die Kooperation beenden zu wollen. Dies bestätigt das Bundesamt für Energie (BFE). Ana Crespo Parrondo vom Pressedienst der EU-Kommission für Energiefragen bestätigt dies auf Anfrage von Keystone-SDA: «Die Kommission analysiert zurzeit die Konsequenzen».

Crespo Parrondo führt aus, ohne Teilnahme an Kooperationsplattformen werde die Schweiz kontinuierlich den privilegierten Anschluss an das EU-Stromsystem verlieren und es werden Regeln für Drittstaaten gelten. Die Schweiz wird somit immer weniger ins europäische Stromsystem integriert, was das Schweizer System weniger effizient und für Konsumentinnen und Konsumenten teurer machen werde. Das im Mai 2021 veröffentlichte Factsheet der EU zum Rahmenabkommen weist ebenfalls darauf hin.

Die Schweiz ist laut BFE mit über 40 Anschlüssen mit dem europäischen Stromnetz verbunden. Die Kooperation im Strombereich könne folglich nicht einfach enden. Gemäss EU-Pressedienst ist die Schweiz nach Norwegen und dem Vereinten Königreich drittwichtigster Stromhandelspartner. Schweizer Akteure prüfen nun diverse Kooperationsmodelle, «um eine bestmögliche Integration im europäischen Strommarkt zu sichern», schreibt Kurt Lanz von Economiesuisse auf Anfrage von Keystone-SDA.

Forschende der EPFL und der Universität St. Gallen analysierten bereits im Jahr 2019 die Folgen für den Strommarkt für den Fall, dass das InstA scheitert. «Ohne Abkommen wird der Schweizer Energiesektor insgesamt ein höheres Handelsdefizit […] aufweisen. Die Verbraucher werden […] einen signifikanten Aufschlag auf die Strompreise tragen müssen», so die Forscher.

Wie es nun weitergeht, bleibt ungewiss. Im März 2021 wurde eine Interpellation zur Stromversorgungssicherheit im Winter von Thierry Burkart im Ständerat eingereicht, welche auf das fehlende Stromabkommen mit der EU hinweist. Anfang Juni wurde eine weitere Interpellation von der Grünen Fraktion im Nationalrat eingereicht, die das weitere Vorgehen im Stromabkommen nach dem Verhandlungsabbruch zum Rahmenvertrag thematisiert.

Die Vernetzung mit der EU stellt hierzulande die Stromversorgung sicher, um beispielsweise Stromengpässe im Winter zu kompensieren. Kraftwerksausfälle oder Überproduktionen werden ebenfalls mit dem europäischen Stromnetz ausgeglichen. Der Schweizer Strommarkt dient zudem als Transitland für die EU.

Eine Grafik von Avenir Suisse zeigt den jährlichen Stromaustausch in Europa. Der grösste Teil des Austauschs findet an den Grenzen der Schweiz statt. Insbesondere der Strom für Italien wird durch die Schweiz transferiert. «Der Strom, der jedes Jahr durch unser Stromnetz fliesst, übersteigt unseren Landesverbrauch», schreibt der Verband Schweizerischer Elektrizitätsunternehmen (VSE).

Des Weiteren finden auch in EU-Staaten Veränderungen im Energiesystem statt. Bestimmte Technologien wie Kern- oder Kohlekraft soll weniger benutzt oder gar ganz eingestellt werden. Mit der Abkehr von der fossilen Energie steigt der Strombedarf. Demzufolge sind immer mehr Länder auf Stromimporte angewiesen, wie eine Grafik des Verbandes der Europäischer Übertragungsnetzbetreiber (ENTSO-E) illustriert.

Auch die Schweizer Wasserkraft kann der EU einen Mehrwert bieten: Wasserkraftwerke können zur Systemstabilisierung eingesetzt werden. «Mit dem Zubau von Solar- und Windkraftanlagen mit ihrer wetterabhängigen Produktion steigen die tageszeitlichen und saisonalen Produktionsschwankungen», schreibt Antonia Adam auf Anfrage von Keystone-SDA. Die Mediensprecherin von der Eidgenössische Elektrizitätskommission (Elcom) ist der Ansicht, dass die Wasserkraft daher immer wichtiger wird. Auch Pumpspeicherkraftwerke würden im Stromhandel eine relevante Rolle spielen, da Wasser durch elektrische Pumpen in den Speicher angehoben werden kann und somit gezielt Strom verbraucht wird. «Sie nehmen in nachfrageschwachen Zeiten ein Überangebot von elektrischer Energie im Stromnetz auf, und können somit […] negativen Preisen entgegenwirken.»

Die Transitfunktion der Schweiz, die Bedeutung der Wasserkraft sowie der steigende Strombedarf machen eine Fortführung der Stromkooperation für die beteiligten Länder attraktiv. Hinzu kommen die Stromeinkäufe durch die Schweiz, insbesondere im Winterhalbjahr.

(Stand: 8.6.2021)

Links

Facebook-Post (archiviert)

Medienmitteilung Bundesrat, 26.5.2021 (archiviert)

Medienmitteilung SNF, 05.12.2019 (archiviert)

Facsheet «What if there is no Institutional Framework Agreement (IFA)?», 25.5.2021 (archiviert)

Amtsblatt der Europäischen Union, 17.5.2021 (archiviert)

Interpellation «Stromversorgungssicherheit im Winter», 17.03.2021 (archiviert)

Interpellation «Rahmenabkommen. Wie weiter nach dem unnötigen Verhandlungsabbruch?» 2.6.2021 (archiviert)

Avenir Suisse: «Land im Netz» (archiviert)

VSE «Stromabkommen» (archiviert)

Entso-E: Scenario outlook 2015 (archiviert)

Swissgrid «Strompolitisch nicht ins Abseits geraten», 04.02.2021 (archiviert)

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