Falsche Zahlen verbreitet
Strafen für Impf-Verweigerer in Brasilien liegen niedriger
21.3.2025, 17:25 (CET)
In sozialen Netzwerken wird behauptet: Eltern in Brasilien, die ihre Kinder nicht impfen lassen, müssen mit Geldstrafen bis zu 1000 Dollar pro Tag rechnen. Ein Facebook-Post aus Luxemburg verbreitet ein Sharepic mit einem «Hilferuf aus Brasilien». Demnach würden alle Eltern, die ihre Babys ab einem Alter von sechs Monaten nicht mit einer «Covid-Gentherapie» impfen ließen, «mit 1000 Dollar täglich gebüßt» (bestraft). Sie könnten auch ins Gefängnis geworfen und die Kinder könnten ihnen weggenommen werden.
Bewertung
Die Behauptung ist zumindest teilweise falsch. Zwar besteht in Brasilien eine Impfpflicht, doch mögliche Strafen für Verstöße liegen viel niedriger.
Fakten
Das Sharepic gibt als Quelle John Kage an, der als «Aktivist für medizinische Freiheit in Brasilien» vorgestellt wird. Außerdem wird auf die Webseite von kla.tv verwiesen. Diese von einem Schweizer Prediger geführte Webseite ist mit der Verbreitung zahlreicher Verschwörungstheorien bekannt geworden.
Auf der Webseite ist ein Interview mit Kage als Video und als Abschrift zu finden. Dort behauptet Kage, er kenne Eltern, die 30.000 Dollar Strafe zahlen sollten. «Von anderen Müttern wurden 1.000 Dollar pro Tag verlangt.» Polizisten hätten Kinder zwangsweise zur Impfung gebracht, wo ihnen «am nächsten Tag sieben Impfstoffe» verabreicht worden seien. «Die Kinder erlitten alle Schäden und Verletzungen.»
Brasilien hat Impfpflicht für Kinder
Es ist zutreffend, dass in Brasilien die Impfung von Kindern seit 1990 vorgeschrieben ist. Artikel 14 des Gesetzes vom 13. Juli 1990 besagt: «Eine Impfung von Kindern ist in den von den Gesundheitsbehörden empfohlenen Fällen vorgeschrieben.» Schon seit langem sind beispielsweise Impfungen gegen Polio, Hepatitis, Meningokokken oder Gelbfieber für Kinder pflichtig.
Das Gesundheitsministerium hatte im Oktober 2023 in einer «technischen Mitteilung» erklärt, ab Beginn des Jahres 2024 gehöre auch die Impfung mit dem mRNA-Impfstoff von Pfizer zu den Pflichtimpfungen für Kinder im Alter von sechs Monaten bis zu fünf Jahren. Diese Entscheidung sei «in Anbetracht der Inzidenz und Mortalität von Covid-19 bei Kindern» sowie «der Tatsache, dass die Covid-19-Impfstoffe bei Kindern im Alter von 6 Monaten bis unter 5 Jahren sicher und wirksam sind» getroffen worden. Im Jahr 2023 seien Erkrankungen an schwerem Atemwegssyndrom (SARS) verstärkt bei Menschen ab 80 Jahren und bei Kindern unter einem Jahr aufgetreten.
Strafrahmen liegt deutlich niedriger
Im Gesetz von 1990 ist in Artikel 249 vorgesehen, dass «bei vorsätzlicher oder fahrlässiger Nichterfüllung» der elterlichen Pflichten eine Geldbuße in Höhe von 3 bis 20 Referenzgehältern möglich sei. Diese könne im Wiederholungsfall verdoppelt werden. Mit Referenzgehalt ist der brasilianische Mindestlohn in der derzeitigen Höhe von 1.518 brasilianischen Real (BRL) gemeint. Dieser Betrag entspricht etwa 250 Euro.
Der Strafrahmen liegt also umgerechnet zwischen 750 und maximal 5000 Euro. Dies ist weit von den in dem Post behaupteten Zahlen entfernt. Das Gesetz, das sich mit unterschiedlichen Formen der Vernachlässigung von Kindern befasst, sieht grundsätzlich auch die zwangsweise Unterbringung in Heimen vor.
Impfpflicht ist in Brasilien umstritten
In der durchaus kritischen öffentlichen Diskussion über den Impfzwang gegen Covid-19 ist immer wieder darauf hingewiesen worden, dass die Schulen im Lande gehalten seien, von ihren Schülern und Schülerinnen Impfnachweise einzufordern. Andererseits dürfe aber auch keinem Kind der Schulbesuch wegen fehlender Impfung verwehrt werden.
Die Auflösung dieses Widerspruchs in der Praxis ist gesetzlich nicht geregelt. Es gibt auch einige Bundesstaaten, in denen die Behörden auf die Vorlage eines Impfnachweises vor dem Schulbesuch verzichten. Das Problem wurde unter anderem bei einer Anhörung im brasilianischen Senat von Senator Eduardo Girão, einem erklärten Gegner der Impfpflicht, thematisiert.
Auch im Parlament des Landes gab es Protest gegen die Impfpflicht für Kinder. Bei einer Anhörung im November 2023 forderte die Mehrheit der teilnehmenden Abgeordneten, allesamt von der Opposition, die Impfpflicht zu überprüfen und die Entscheidung den Eltern zu überlassen.
Wenig Berichte über Verurteilungen
Seit Beginn des Jahres 2024 gibt es in der brasilianischen Presse nur wenige Berichte über Eltern, die wegen Missachtung der Impfpflicht verurteilt wurden. Nach Angaben des Instituts für Familienrecht hat der oberste Gerichtshof im März 2025 eine Geldstrafe in Höhe von drei Monats-Mindestlöhnen gegen die Eltern eines elf Jahre alten Mädchens bestätigt. Dabei ging es allerdings um einen Fall aus dem Jahr 2022, also noch vor Inkrafttreten der jetzigen gesetzlichen Regelungen.
Im Juli 2024 verurteilte ein Gericht im Bundesstaat Santa Catarina in einem Fall drei Familien aus der Stadt Schroeder zu drei beziehungsweise sechs Monats-Mindestlöhnen Geldstrafe, berichtete CNN Brasil.
Aktivist ist erfolgloser Kandidat
John Kage, der von kla.tv als «Aktivist für medizinische Freiheit in Brasilien» bezeichnet wurde, ist auch ein Politiker, der bei den Wahlen von 2022 erfolglos für ein Mandat als Abgeordneter des Bundesstaats Sao Paulo kandidierte. Er kandidierte als Mitglied der rechtspopulistischen PSC-Partei, der auch der autokratische Ex-Präsident Jair Bolsonaro zeitweilig angehörte.
Kage, der japanische Wurzeln hat, sagte in dem von kla.tv verbreiteten Interview unter anderem: «Mein Spitzname ist Samurai, weil ich seit 2023 für tonnenweise Proteste sorge, aber eben nur ich und ein paar Dutzend Mütter.»
Bereits im Oktober 2023 wurden Behauptungen Kages, es habe in der Stadt Caraguatatuba 10.000 Fälle plötzlicher Erkrankungen nach Covid-Impfungen gegeben, von der brasilianischen Faktencheck-Seite «aos fatos» widerlegt. Auch zahlreiche andere Behauptungen erwiesen sich bei näherem Hinsehen als falsch.
(Stand: 21.3.2025)
Links
Facebook-Post (archiviert)
Gesetz vom 13. Juli 1990 (archiviert)
Mitteilung Gesundheitsministerium (archiviert)
Mindestlohn Brasilien (archiviert)
Anhörung im Senat (archiviert)
Anhörung im Parlament (archiviert)
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