Kein Geständnis des WEF

Wissenschaftler äußerten Meinung über soziale Verantwortung

29.1.2025, 14:35 (CET)

Um die Covid-19-Pandemie und das Weltwirtschaftsforum ranken sich alle möglichen erfundenen Erzählungen. Nun gibt es neue Behauptungen darüber, was das eine angeblich mit dem anderen zu tun hat.

Das Weltwirtschaftsforum (WEF) hat angeblich zugegeben, dass die Covid-19-Pandemie ein «Gehorsamstest» gewesen sei. Ein Facebook-Post aus Luxemburg verbreitet einen Ausschnitt von einer Webseite mit dieser Behauptung. Ergänzt wird sie von den Worten «Die meisten verstehen es leider immer noch nicht» und «Jetzt wisst Ihr warum Welt weit der Test war». Wer hat das was nicht verstanden?

Bewertung

Die Behauptung ist falsch. Grundlage der Falschbehauptung ist ein älterer Meinungsbeitrag zweier Wissenschaftler aus Indien, die sich mit sozialer Verantwortung befassen. Sie sprechen nicht für das WEF.

Fakten 

In dem Post ist außerdem ein Foto des Gründers des Weltwirtschaftsforums, Klaus Schwab zu sehen. Eingefügt ist in englischer Sprache ein Zitat Schwabs: «Die Pandemie stellt eine seltene, aber kurze Gelegenheit dar, über unsere Welt nachzudenken, sie neu zu denken und neu zu gestalten.» Weder diese Aussage noch der Meinungsbeitrag können als ein irgendwie geartetes «Geständnis» gewertet werden.

Die Behauptung über den «Gehorsamstest» stammt von der Website «Unser Mitteleuropa». Diese bezeichnet sich selbst als «kritisch, unabhängig, unparteiisch». Ein Bericht der österreichischen Regierung über «Rechtsextremismus in Österreich 2023» stellt unter anderem Verbindungen dieser Website ins rechtsextreme Milieu dar.

Schon das «nun» ist irreführend

Das Weltwirtschaftsforum «rückt nun mit der Wahrheit über Covid» heraus, verbreitet die Webseite in einem Beitrag vom 8. Oktober 2024 mit dem Hashtag «Gehorsamstest». Das WEF gebe «nun» zu, dass die Pandemie so habe ablaufen müssen, wie sie abgelaufen sei. «Fast fünf Jahre später „gibt nun das WEF, die wohl mächtigste öffentlich-private Partnerschaft der Welt, zu“, dass es sich bei all dem um einen Test unseres Willens gehandelt hatte», heißt es bei «Unser Mitteleuropa», ohne dass die Bedeutung der Anführungszeichen sich dem Leser erschließt. 

Bei dem angeblichen «Geständnis» des WEF, das «nun», «fast fünf Jahre später», bekannt werde, stimmt schon die Datierung nicht. Die Webseite bezieht sich nämlich auf einen Artikel, der bereits am 14. September 2022 auf der Webseite des WWF veröffentlicht wurde – also gut zwei Jahre zuvor. In diesem Artikel unter dem Titel «Mein Kohlenstoff: Ein Ansatz für integrative und nachhaltige Städte» befassen sich zwei indische Wissenschaftler mit der Frage, wie die Kohlenstoffemissionen großer Städte verringert werden könnten.

Autoren diskutieren Akzeptanzfragen

Die Wissenschaftler verweisen darauf, dass bisherige Versuche, die Kohlenstoffemissionen in großen Städten zu verringern, wegen eines «Mangels an gesellschaftlicher Akzeptanz, politischen Widerstands und eines Mangels an Bewusstsein und fairen Mechanismen zur Erfassung der Emissionen nur begrenzt erfolgreich» gewesen seien. In jüngerer Vergangenheit habe es aber gesellschaftspolitische, umweltpolitische und technologische Entwicklungen gegeben, die helfen könnten, große Städte «smart und nachhaltig» zu organisieren. 

Die Autoren nennen dann technologische Durchbrüche der «vierten industriellen Revolution» wie beispielsweise Künstliche Intelligenz und Digitalisierung, ein wachsendes Bewusstsein für die Verantwortung gegenüber der Natur und der Umwelt sowie als ersten Punkt: «Covid-19 war eine Bewährungsprobe für die soziale Verantwortung.» Im englischen Original heißt das «COVID-19 was the test of social responsibility.» Das Wort «test» bedeutet in diesem Zusammenhang eindeutig «Bewährungsprobe». 

«Unvorstellbare Einschränkungen» betont

Aber auch falls man dies anzweifeln sollte, geht der Sinn aus dem folgenden Text hervor: «Milliarden von Bürgern in aller Welt haben unvorstellbare Einschränkungen für die öffentliche Gesundheit auf sich genommen. Weltweit gab es zahlreiche Beispiele für die Wahrung sozialer Distanz, das Tragen von Masken, Massenimpfungen und die Akzeptanz von Anwendungen zur Ermittlung von Kontaktpersonen für die öffentliche Gesundheit, die den Kern der individuellen sozialen Verantwortung demonstrierten.»

Dass es sich hierbei nicht um ein «Geständnis» des WEF hinsichtlich eines «Gehorsamstest» handelt, wird nicht nur aus dem inhaltlichen Zusammenhang des Zitats deutlich. Tatsächlich handelt es sich bei dem fraglichen Artikel überhaupt nicht um einen Beitrag des Weltwirtschaftsforums. Das macht der Hinweis «Die in diesem Artikel geäußerten Ansichten sind die des Autors und nicht die des Weltwirtschaftsforums» am Ende des Textes klar. Auch der Hinweis «Meinung» (Opinion) oberhalb der Überschrift weist darauf hin.

Tragödie als Anlass zum Nachdenken

Auch der in dem Facebook-Post enthaltene Hinweis auf das Schwab-Zitat über die «seltene, aber kurze Gelegenheit», über die Welt «nachzudenken, sie neu zu denken und neu zu gestalten», taugt nicht als Beweis für Covid-19 als «Gehorsamstest». Dieses Zitat stammt vom 3. Juni 2020, als Schwab unter dem Titel «Jetzt ist die Zeit für einen „großen Neustart“ gekommen» (Now is the time for a ‚great reset‘) angesichts von Covid-19 und anderer Krisen einen globalen politischen und wirtschaftlichen Neubeginn forderte.

«Es gibt viele Gründe für einen Great Reset, aber der dringendste ist Covid-19» schrieb der WEF-Gründer knapp drei Monate nachdem die Weltgesundheitsorganisation WHO eine weltweite Pandemie ausgerufen hatte. Die Pandemie habe schon Hunderttausende Tote» gefordert schrieb er: «Und da die Zahl der Opfer in vielen Teilen der Welt immer noch zunimmt, ist sie noch lange nicht vorbei.»

Schwab erklärte dann, wie er sich den Neubeginn vorstellt und kommt zu dem Schluss: «Die Covid-19-Krise wirkt sich auf alle Bereiche des Lebens der Menschen in allen Teilen der Welt aus. Aber die Tragödie muss nicht die einzige Hinterlassenschaft sein. Im Gegenteil, die Pandemie stellt eine seltene, aber kurze Gelegenheit dar, über unsere Welt nachzudenken, sie neu zu denken und neu zu gestalten, um eine gesündere, gerechtere und wohlhabendere Zukunft zu schaffen.»

Keine Rede von einem «Gehorsamstest»

Auch hier ist also keine Rede von einem «Gehorsamstest». Ebensowenig in Schwabs Buch «The Great Reset» vom Juli 2020. Bei der Forderung nach einem großen Neustart wurde Schwab vom damaligen britischen Thronfolger, Prinz Charles, unterstützt.

Ebenfalls am 3. Juni 2020 veröffentlichte Charles mit dem Hashtag #TheGreatReset und «in Partnerschaft mit dem Weltwirtschaftsforum» bei YouTube ein knapp zweiminütiges Video, in dem er zu dramatischen Bildern von Umweltkatastrophen ein wirtschaftliches und politisches Umdenken forderte: «Wir haben eine unglaubliche Chance, völlig neue nachhaltige Industrien zu schaffen. Die Zeit zum Handeln ist jetzt.»

Behauptungen, das Weltwirtschaftsforum habe gestanden, die Covid-19-Pandemie sei ein Gehorsamstest gewesen, haben also mit den Fakten nichts zu tun.

(Stand: 29.1.2025)

hiviert

Webseite Unser Mitteleuropa, archiviert

Bericht österreichische Regierung, archiviert

Meinungsartikel auf WEF-Seite, archiviert

Schwab zu Great Reset, archiviert

Video Prinz Charles, archiviert

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