Kein Zusammenhang mit Klonen

Babys aus dem Kohl sind alter französischer Mythos

12.12.2024, 16:50 (CET), letztes Update: 16.12.2024, 10:27 (CET)

Keine Verschwörungserzählung ist so absurd, dass sie nicht verbreitet würde. Eine Behauptung über alte französische Postkarten beweist nicht nur viel Fantasie, sondern auch eine Menge Ahnungslosigkeit.

Alte französische Postkarten zeigen Babys in Kohlköpfen. Ein Facebookpost aus Luxemburg gibt solche Abbildungen wieder, die allesamt etwa zu Beginn des 20. Jahrhunderts entstanden sind. Es handelt sich dabei um meist farbige Glückwunschkarten, wie sie gerne zur Geburt eines Kindes verschickt werden. Auf vielen dieser Karten sind in schlichten Fotomontagen Babys zu sehen, die in Kohl-Feldern, in Kohl-Pflanzen oder auch in Blumen, beispielsweise Rosen, zu leben scheinen. Dem Facebook-Nutzer zufolge beweist das, dass die Kinder geklont wurden – und zwar im Zuge eines früheren «Reset».

Bewertung

Die Behauptung ist falsch. In Deutschland werden Babys zwar alten Sagen zufolge vom Klapperstorch eingeflogen – in Frankreich hingegen wachsen sie laut der Folklore auf Kohl-Feldern, wo sie von ihren Eltern abgeholt werden.

Fakten

In dem Post werden diese Postkarten höchst irreführend präsentiert. «Postkarten aus dem 20. Jahrhundert, der Zeit des letzten Resets, zeigen die „Kohlbabys“, die aufgrund des Klonprozesses so genannt wurden», wird da behauptet. Und außerdem: «Bis heute ist es möglich, eines (sic) dieser Postkarten davon bei eBay und anderen Verkaufsseiten zu erwerben.»

Der Hinweis auf die «Zeit des letzten Resets» deutet für Verschwörungsgläubige etwas Schlimmes an. Der «Große Reset», also der große Neuanfang oder Umbruch, ist ein Begriff, der vom Chef des Weltwirtschaftsforums (WEF), Klaus Schwab, mit dem Buch «Covid 19 – The Great Reset» bekannt gemacht wurde. Dabei wird Schwab unterstellt, sein «Reset» sei in Wirklichkeit die geplante Machtergreifung und völlige Unterwerfung der Erde durch einen kleinen elitären Kreis.

Inwieweit das 20. Jahrhundert «die Zeit des letzten Resets» gewesen sein soll, wird in dem Post nicht deutlich gemacht. Allerdings wird behauptet, dass die alten Postkarten «Kohlbabys» zeigten, «die aufgrund des Klonprozesses so genannt wurden». Dass dies etwas höchst Verwerfliches ist, geht schon daraus hervor, dass in dem Post nicht ohne Empörung darauf verwiesen wird, dass es «bis heute» möglich sei, solche Postkarten mit geklonten Babys zu kaufen.

Mit dieser Behauptung wird auch das im Verschwörermilieu gerne verbreitete Narrativ bedient, es habe früher eine technologisch hochentwickelte Zivilisation in der westlichen Welt existiert, deren vielfältige Hightech-Errungenschaften aber vor den heute lebenden Menschen geheim gehalten würden. 

Institut erklärt Herkunft der kleinen Franzosen

Tatsächlich haben die Babys im Kohl (frz. chou, Mehrzahl choux) eine andere Geschichte. Und das ist sogar amtlich. Das französische Nationalinstitut für demographische Studien (Institut national d’études démographiques/INED) klärt in einer Broschüre über Geburten so auf: «Ein Baby kann in eine Familie kommen, aus einem Kohlkopf geerntet oder aus einer Rose, aus einem See geangelt, von einem Storch gebracht, mit der Post geschickt oder sogar von einer Maschine hergestellt.» Die staatliche Forschungseinrichtung zählt damit eine Reihe gängiger Antworten auf die an Eltern gerichtete Frage «Wo kommen die Kinder her?» auf. Dabei steht das «Ernten» eines Kindes aus einem Feld voller Kohl – im Regelfall ist Weißkohl gemeint - an erster Stelle. 

In der INED-Broschüre wird eine Reihe von Postkarten gezeigt, die unter anderem die Bemühungen illustrieren, in der Zeit zwischen 1900 und 1950 die Franzosen zum Zeugen von mehr Kindern zu bewegen. Tatsächlich war die Geburtenrate nach der Niederlage im Deutsch-Französischen Krieg von 1870/71 dramatisch gesunken. Und die Postkarten zeigen, dass vor dem Hintergrund des Ersten Weltkrieges von 1914 bis 1918 das Kinderkriegen in Frankreich als eine Art Dienst an der Nation propagiert wurde. 

Auf einer der Postkarten ist zu sehen, wie Kohlsamen und Rosensamen in eine Maschine gefüllt werden, die Babys produziert. Dies erinnert daran, dass es unterschiedliche Varianten für die Herkunft der Kinder aus dem Kohl gibt. Unter anderem die, dass Jungen im Kohl wachsen, Mädchen hingegen in Rosenblüten – oder auch umgekehrt. 

Die Ethnologin Jocelyne Bonnet weist in einem im Internet abrufbaren Aufsatz unter dem Titel «Im Kohl geboren: Eine ethnologische Annäherung an einen kulturellen Mythos» (Naitre dans les choux: Une approche ethnologique de ce mythe culturel) unter anderem darauf hin, dass dem Kohl eine aphrodisierende Wirkung zugeschrieben wurde und er für das Überleben der ländlichen Bevölkerung von großer Bedeutung gewesen sei. 

Übrigens gab die Herkunft aus dem Kohl auch Auskunft über die kulturelle Zugehörigkeit. Westlich der Vogesen, also in Frankreich, seien die Kinder im Kohl gewachsen, in der deutsch beeinflussten Nähe des Rheins hingegen, habe der Storch sie gebracht. Dies hat laut Bonnet beispielsweise im Elsass zu der die Identität feststellenden Frage zwischen Kindern geführt: «Kommst Du aus dem Kohl oder vom Storch?»

Mythos ist in Frankreich noch lebendig

Auch heute noch ist die Vorstellung, dass Babys mit Kohl zu tun haben, durchaus präsent. Beispielsweise bietet ein auf Fotos von Babys und Schwangeren spezialisiertes großes Fotostudio in Südfrankreich unter Hinweis auf «Traditionen und Legenden» liebevoll arrangierte Photoshootings mit Babys auf Kohlblättern an. Die Bildagentur Getty Images listet unter dem Suchbegriff „bébé chou» nicht weniger als 456 überwiegend aktuelle Motive auf.

Wer auf Deutsch von einem Knirps spricht, spricht in Frankreich vom «petit bout de chou» (wörtlich: kleinen Stück Kohl), das Verb «verhätscheln» ist «chouchouter». Und auch erwachsene Liebende sprechen sich manchmal bis auf den heutigen Tag mit «mon petit chou» an: Das bedeutet «mein Liebling» oder «meine Süße», wörtlich aber heißt es: «Mein kleiner Kohl». 

Alte Postkarten mit Babys im Kohl haben also nicht das Geringste mit geklonten Kindern zu tun. Und ebensowenig mit einem ominösen «Reset». 

(Stand: 12.12.2024)

Hinweis: In der Beurteilung wurde eine Formulierung geändert.

Links

Facebook-Post(archiviert)

Tagesschau über Great Reset (archiviert)

Broschüre INED(archiviert)

Aufsatz Bonnet(archiviert)

Fotostudio(archiviert)

Getty Images (archiviert)

Über dpa-Faktenchecks

Dieser Faktencheck wurde im Rahmen des Facebook/Meta-Programms für unabhängige Faktenprüfung erstellt. Ausführliche Informationen zu diesem Programm finden Sie hier.

Erläuterungen von Facebook/Meta zum Umgang mit Konten, die Falschinformationen verbreiten, finden Sie hier.

Wenn Sie inhaltliche Einwände oder Anmerkungen haben, schicken Sie diese bitte mit einem Link zu dem betroffenen Facebook-Post an factcheck-luxembourg@dpa.com. Nutzen Sie hierfür bitte die entsprechenden Vorlagen. Hinweise zu Einsprüchen finden Sie hier.

Schon gewusst?

Wenn Sie Zweifel an einer Nachricht, einer Behauptung, einem Bild oder einem Video haben, können Sie den dpa-Faktencheck auch per WhatsApp kontaktieren. Weitere Informationen dazu finden Sie hier.