Kein Eigentümer, kein «Soli»
Die EU ist ein Zusammenschluss unabhängiger Staaten
23.9.2024, 17:54 (CEST)
Die Behauptung, dass die EU in Wirklichkeit von fremden Mächten ferngelenkt wird, ist nicht wirklich neu. In sozialen Medien wird behauptet, dass eine kleine Gruppe von Personen die Geschicke der Europäer bestimmt. Und bei dieser Gelegenheit wird auch noch fantasiert, in Deutschland drohe eine Solidaritätsabgabe in Höhe von 80 Euro für die Fortsetzung des Ukraine-Krieges.
Bewertung
Diese Behauptungen sind falsch. Die EU hat keine geheimen Eigentümer oder Herrscher. Und auch die angeblichen Pläne für einen «Ukraine-Soli» sind erfunden.
Fakten
Ein Facebook-Post aus Luxemburg teilt ein schweizerisches Video mit verschiedenen Behauptungen über die EU. Zugleich erklärt der Facebook-Nutzer in verwirrender Rechtschreibung: «Die EU gehört einer Verbrecherbande und die sitzen in der EZB und alle andere Zentralbanken. Miteigentümer ist Blackrock und Vanguard und die FED. Dabei haben sie sich mit der UN, WHO, WEF, AGENDA 2030, und und. Pharma und Waffenindustrie zusammengerottet. Es gehört alles ihnen den Amerikaner, einer kleinen Gruppe...»
Einen Beweis für diese Behauptungen gibt es nicht. Völlig unabhängig von der Frage, ob man Mitarbeiter der Zentralbanken als «Verbrecherbande» betrachten sollte, krankt diese Behauptung vor allem an der Tatsache, dass die Europäische Union niemandem gehört. Sie hat keine Eigentümer.
Die EU ist ein Zusammenschluss von derzeit 27 unabhängigen Staaten. Sie hat sich aus der 1952 von sechs Staaten gegründeten Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS), der sogenannten Montanunion, über verschiedene Entwicklungs- und Erweiterungsstufen hin zur Europäischen Union entwickelt.
EZB dient der EU als unabhängige Institution
Dass die EU Menschen gehöre, die in der europäischen Zentralbank (EZB) und anderen Zentralbanken sitzen, macht schon deswegen wenig Sinn, weil die Europäische Zentralbank gemäß dem Protokoll 4 des Vertrags über die Arbeitsweise der EU die vorrangige Aufgabe hat, die Preisstabilität zu gewährleisten und die allgemeine Wirtschaftspolitik in der Union zu unterstützen. Anders ausgedrückt: Die EZB ist ein in seinen finanzpolitischen Entscheidungen unabhängiger Teil der EU. Den Mitgliedern der EZB ist ausdrücklich untersagt, irgendwelche Weisungen entgegenzunehmen.
Die Behauptung, «Miteigentümer» der EU seien die Investmentfirmen «Blackrock und Vanguard und die FED» (womit die Federal Reserve der USA gemeint ist), ist frei erfunden. Dafür gibt es noch nicht einmal ein Indiz, geschweige denn einen Beweis. Mit der folgenden Aufzählung von «UN, WHO, WEF, Agenda 2030» sowie «Pharma und Waffenindustrie» werden kurz die üblichen Hauptdarsteller von Verschwörungserzählungen aufgeführt – doch dass diese sich wirklich «zusammengerottet» hätten, um die europäische Union zu kontrollieren, ist pure Fantasie.
Die «Agenda 2030» beispielsweise ist überhaupt keine Organisation, die sich mit irgendjemandem zusammenrotten oder irgendetwas kontrollieren könnte. Bei der Agenda 2030 handelt es sich vielmehr um 17 globale Nachhaltigkeitsziele, die eine Reihe von Staaten, darunter auch Deutschland, verwirklichen will.
Text und Video widersprechen sich
Auch in dem verlinkten TikTok-Video wird über die angeblichen Kontrolleure der EU nur geraunt, ohne irgendwelche Belege oder konkrete Informationen zu benennen. So behauptet der Sprecher (0:40): «In Wirklichkeit ist die Institution EU, deren Hauptsitz in Brüssel ist, nichts anderes als eine Außenstelle, eine Zweigstelle der amerikanischen Finanzlobby. Das sind zwei, drei Firmen, die ganz, ganz großen Player. Die vereinigen die ganze Macht in sich.» Damit ist der Kreis der angeblichen Hintermänner der EU in dem Video schon deutlich kleiner als im begleitenden Facebook-Post.
Imperialisten machten sich auf der ganzen Welt breit – und führten Kriege, die von den Bürgern bezahlt werden müssten, wird in dem Video behauptet. Die «Herrschenden» wollten das Volk klein halten. Deshalb habe es in den vergangenen 30 oder 40 Jahren kaum einen Monat gegeben, in dem man einmal mehr Geld als im Vormonat gehabt habe. Auch diese Behauptung erweist sich bei einem kurzen Blick auf die Entwicklung der Reallöhne beispielsweise in Deutschland als falsch. Tatsächlich sind die Reallöhne fast jedes Jahr in unterschiedlicher Weise gestiegen.
Nach der Behauptung, den Menschen würden ständig neue Steuern und Abgaben auferlegt, sagt der Sprecher im Video (03:50): «Und jetzt kommen die netten lieben Menschen und bringen den Soli noch ins Spiel. Jetzt sollt ihr, obwohl man euch schon alles Geld aus den Taschen zieht, noch einen Solidaritätsbeitrag von 80 Euro bezahlen, um diesen unsäglichen Krieg weiter zu finanzieren.»
Behauptung zur Ukraine schon im Juni entlarvt
Ein Solidaritätsbeitrag (Soli) für die Ukraine? Die Faktencheck-Redaktion der dpa hatte bereits am 07. Juni 2024 die Behauptung in sozialen Netzwerken, wonach die EU einen «Friedens- und Aufbau-Soli» für die Ukraine in Höhe von 80 Euro von August 2024 an plane, als erfunden entlarvt. Dies hinderte allerdings den Autor des fraglichen TikTok-Videos nicht daran, am 20. Juni 2024 diese erwiesenermaßen falsche Behauptung erneut ins Netz zu stellen.
Das deutsche Bundesfinanzministerium und die EU-Kommission erklärten, dass von ihnen keine Solidaritätsabgabe für die Ukraine geplant werde oder geplant worden sei. Zutreffend ist lediglich, dass Ende Dezember 2023 die Vorsitzende des Sachverständigenrates für Wirtschaft, Monika Schnitzer, in einem Interview mit der «Rheinischen Post» über die Idee eines «Ukraine-Soli» gesprochen hatte. Dies sei eine mögliche, unpopuläre Maßnahme, um mit zusätzlichen Belastungen des Bundeshaushalts im Zuge des Ukraine-Kriegs umzugehen.
Möglicherweise steht die Behauptung auch in einem Zusammenhang zu einer ähnlichen Falschinformation: Die Faktenprüfer von Correctiv hatten in einem Artikel vom 30. Mai Behauptungen widerlegt, wonach der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj angeblich eine Solidaritätsabgabe von 80 Euro von jedem deutschen Bürger verlangt habe. Für diese angebliche Forderung gibt es ebenfalls keine Belege.
(Stand 23.09.2024)
Links
Vertrag über die Arbeitsweise der EU, archiviert
Entwicklung der Reallöhne, archiviert
dpa-Faktencheck zum «Ukraine-Soli»
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