Kein Terror-Alarm
Staub-Analyse stammt aus Region mit hoher Luftverschmutzung
3.9.2024, 17:18 (CEST)
Staub aus der Sahara beflügelt nach wie vor die Fantasie der Menschen - unter anderem, weil er eine Reihe von Mineralstoffen über eine große Entfernung nach Europa trägt. Einer neuen Verschwörungstheorie zufolge soll es sich in Wirklichkeit gar nicht um Saharastaub handeln. Vielmehr gebe es Beweise dafür, dass eine Art großer «Giftcocktail» absichtlich über der Menschheit ausgeschüttet wird.
Bewertung
Die Behauptung ist falsch. Eine Untersuchung von angeblichem Saharastaub beweist nicht, dass absichtlich Gift über der Erde versprüht wird. Nicht einmal die Auftraggeber der fraglichen Untersuchung behaupten das.
Fakten
Ein Facebook-Post aus Luxemburg verbreitet ein Video mit dem Titel «Erste Analyse vom „Saharastaub“ liegt vor. Terror-Alarm!». Es stammt von der Webseite kla.tv (Klagemauer.tv), auf der der schweizerische Laienprediger Ivo Sasek diverse Verschwörungserzählungen publiziert. Das Video präsentiert er selbst.
Zu Beginn des Videos (0:20) sagt er: «Heute lege ich euch einen ersten Analysebericht vor, der besagt, dass uns mit jedem sogenannten Saharastaub-Regen mindestens 26 teils hochgiftige Elemente auf den Kopf herabrieseln.» Später fragt er: «Wer zum Teufel lässt zunehmend diese neuartigen hochgiftigen Cocktails über unsere Köpfe ausschütten?» (09:25) «Die Völker» wollten wissen, wer die Übeltäter seien und mit welchen Zielen sie handelten: Mit diesen Analysen sei «mehr als nur gerade ein Anfangsverdacht gegeben (…), dass hier ganz Europa zum Angriffsziel übelster hybrid agierender Terroristen geworden» sei (09:45).
Bevor dieser schwerwiegende «Verdacht» geäußert wird, behauptet der Sprecher, dass sich giftige Substanzen, wie sie beispielsweise in Treibstoffen von Militärflugzeugen enthalten seien, «auch in den sandartigen Nano-Feinstaubpartikeln befinden könnten, die bereits zu hunderten Millionen Tonnen über unser aller Köpfe versprüht wurden». Deswegen könne es sich «auch bei dem sogenannten Saharastaub-Regen um einen Niederschlag mit genau solchen Substanzen handeln».
Eine Staubprobe aus Bosnien dient als Beleg
Nanopartikel können nach Ansicht von Wissenschaftlern, beispielsweise des Helmholtz-Instituts oder des deutschen Umweltbundesamtes durchaus gesundheitsschädlich sein. Sie können auf natürliche Weise und beispielsweise aus Abgasen entstehen. Für die Behauptung, sie seien zu hunderten Millionen Tonnen versprüht worden, gibt es keinerlei Beweis. Zu Behauptungen über sogenannte «Chemtrails», also von Flugzeugen versprüht Chemikalien, hat die dpa bereits eine Reihe von Faktenchecks veröffentlicht, beispielsweise hier. Zum Thema Feinstaub und Geoengineering kann auch auf ein Papier des österreichischen Parlaments verwiesen werden.
Die zentrale Behauptung des Videos ist jedoch, dass eine Analyse von Saharastaub in Bosnien-Herzegowina ergeben habe, dass dieser eine größere Menge giftiger Substanzen enthalte. Diese Information wird dann mit der Behauptung verbunden, dass diese «Giftcocktails» absichtlich über Europa versprüht werden.
Diese Behauptung stützt sich auf eine Untersuchung von zwei Staubproben, die im Mai 2022 vom Institut für Chemietechnik (Institute for Chemical Engineering) in der bosnischen Stadt Tuzla vorgenommen wurde. Dieses Institut gehörte früher zur Forschungsabteilung des örtlichen Salzfabrikanten (SODASO) und ist nach eigenen Angaben mittlerweile eine unabhängige Forschungseinrichtung, die eng mit der Universität von Tuzla kooperiert.
Die beiden Staubproben waren vom «Nationalen Krisenstab» von Bosnien und Herzegowina - einer privaten Organisation, die ursprünglich zum Kampf gegen Covid-Sicherheitsvorschriften gegründet worden war - und dem dort auch aktiven Rechtsanwalt Mirnes Ajanovic zur Analyse eingereicht worden. Die Ergebnisse der Analyse wurden im Juni 2022 in einer Pressemitteilung der linkspopulistischen bosnischen Partei BOSS veröffentlicht, deren Präsident Ajanovic ebenfalls ist. Die Partei ist nicht im Parlament von Bosnien-Herzegowina vertreten.
In einem Video, das dank englischer Untertitel auch eine breitere Öffentlichkeit erreichte, erläuterte Ajanovic die Analyseergebnisse. Das Institut habe angesichts von Warnungen vor Saharastaub zwei Proben miteinander vergleichen sollen. Die erste sei «echter» Saharastaub gewesen, der zu einem unbekannten Zeitpunkt unweit eines Sees im Süden Tunesiens gesammelt und in einem Glas aufbewahrt worden sei. Diesen Staub habe man zufällig zur Hand gehabt. Das Datum der Entnahme blieb unklar.
Bei der zweiten Probe habe es sich (Video 07:40) um angeblichen Saharastaub gehandelt, der am 7. April um 16:50 Uhr nach einem Regen von einem Balkon im Ort Donja Dobosnica entnommen worden sei. Donja Dobosnica befindet sich erwa 19 Kilometer nordwestlich von Tuzla. Die Stadt Lukavac liegt etwa 8 Kilometer südöstlich von Dobosnica und 11 Kilometer östlich von Tuzla. Diese Informationen sind wichtig für die Aussagekraft der in Dobosnica entnommenen Probe.
Beim Vergleich der beiden Staubproben wurde laut Ajanovic festgestellt, dass die in Dobosnica entnommene Probe wesentlich mehr Schadstoffe enthielt als der Saharastaub aus Tunesien. Bei 24 Substanzen seien die erlaubten Grenzwerte zum Teil um ein Vielfaches überschritten worden. Dies gelte unter anderem für Arsen, Barium, Nickel und Zink. Auch der Aluminiumgehalt sei in der Probe, die in Dobosnica genommen wurde, deutlich erhöht gewesen. Die genauen Werte können der Pressemitteilung von BOSS entnommen werden.
Stadt Tuzla für verschmutzte Luft bekannt
Das schweizerische Luftreinigungsunternehmen IQAir, das gemeinsam mit Nichtregierungsorganisationen auf der Grundlage von weltweit 80.000 Messpunkten einen Luftreinhaltungs-Index veröffentlicht, führte die Stadt Tuzla im Jahr 2023 auf Platz drei der europäischen Städte mit der schmutzigsten Luft. Anfang September 2024 beispielsweise lag die Feinstaubkonzentration (PM2.5) um mehr als das Dreifache über den Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation. Man solle das Fenster schließen, um schmutzige Luft zu vermeiden, empfahl IQAir. Empfindliche Menschen sollten im Freien Atemmasken tragen.
Die schlechte Luftqualität in Tuzla ist vor allem eine Folge der dort ansässigen Industrie. In Lukavac stellt beispielsweise die Firma Sisecam Natriumkarbonat her. Die dortige Zementfabrik hat eine Jahreskapazität von 900 000 Tonnen Zement und 700 000 Tonnen Klinker. Ebenfalls in Lukavac ist die Kokerei Gikil tätig, die nach eigenen Angaben nicht nur 650.000 Tonnen Koks, sondern auch 30.000 Tonnen Teer, 90.000 Tonnen Calcium-Ammoniumnitrat (einen Dünger) sowie 10.000 Tonnen des hochgiftigen Maleinsäureanhydrid produziert.
Die Luftverschmutzung in Luzkavac war schon im Juni 2011 so schlimm, dass Forscher der Universität Tuzla in einer Untersuchung über «Schwermetalle im Sedimentstaub in der Industriestadt Lukavac» mit detaillierten Messungen der Schwermetalle und Gifte zu dem Ergebnis kam, die Umwelt von Lukavac sei «stark verschmutzt». Sie stellten unter anderem stark erhöhte Werte für Arsen, Cadmium, Chrom, Kupfer, Blei, Quecksilber, Nickel und Zink fest.
Das kann Zweifel an der Aussagekraft einer Staubprobe von einem Balkon nur wenige Kilometer entfernt von einer der besonders schmutzigen Städte Europas wecken. Dem begegnete Ajanovic im Video zur Vorstellung der Messergebnisse mit einem Hinweis darauf, dass der Wind in dieser Gegend ja meistens von Westen nach Osten wehe (08:10). «Wir haben die Probe etwas weiter westlich genommen, damit man nicht behaupten kann, die Staubpartikel seien mit Substanzen von der Kokerei verunreinigt worden.»
Wind wehte vor Probenentnahme aus Osten
Allerdings erweist sich diese Behauptung bei genauerem Hinsehen als wenig überzeugend. Die Wetterverhältnisse vom 7. April 2022, dem Datum der Probenentnahme, lassen sich anhand der Aufzeichnungen auf dem Flughafen von Tuzla gut nachvollziehen. Demnach gab es in der Nacht bis etwa 09:00 Uhr leichten Regen und nur schwachen Wind. Danach frischte der Wind auf und kam dann bis etwa 19:00 Uhr aus östlicher Richtung – also genau entgegengesetzt zu den normalerweise vorherrschenden Westwinden. Zum Zeitpunkt der Probenentnahme kam der Wind also aus Osten, aus Richtung Tuzla und Lukavac im Südosten.
Ajanovic räumte in seiner Präsentation ein: «Um herauszufinden, was die Ursachen für diese chemischen Eigenschaften des Staubes sind, der auf unsere Böden und Autos fällt, woher er kommt und ob diese Ergebnisse zuverlässig sind oder ob andere Verunreinigungen eine Rolle gespielt haben könnten, müssen weitere Analysen an verschiedenen Orten durchgeführt werden.» Dies sei Aufgabe der Behörden. Er behauptete also nicht, dass es sich um kontaminierten Saharastab handelte.
Das auf Südosteuropa spezialisierte Faktencheck-Netzwerk «See Check» wies zudem darauf hin, dass die Probenentnahme in keiner Weise den für Bosnien-Herzegowina geltenden Vorschriften für die Untersuchung von gefährlichen Substanzen in Übereinstimmung entsprach.
Völlig unabhängig von allen Zweifeln an der Aussagekraft der Analyse vom 7. April 2022 bleibt festzuhalten, dass die Behauptung in dem Video von kla.tv, mit jedem Saharastaub-Regen rieselten mindestens 26 teils hochgiftige Elemente auf die Menschen herab, völlig aus der Luft gegriffen ist. Das lässt sich an keiner Stelle aus der Analyse herauslesen.
(Stand: 3.9.2024)
Links
Helmholtz-Institut zu Nanopartikeln, archiviert
Umweltbundesamt zu Nanopartikeln, archiviert
Faktencheck der dpa zu Chemtrails
Papier österreichisches Parlament, archiviert
Selbstauskunft Forschungsinstitut, archiviert
Pressemitteilung BOSS, archiviert
Tuzla Luftreinhaltungs-Index, archiviert
Luftverschmutzung Tuzla aktuell, archiviert
Sicherheitshinweise Maleinsäureanhydrid, archiviert
Untersuchung Uni Tuzla, archiviert
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