Falschbehauptung zu Olympia

Gegnerin verteidigt Judo-Kämpferin aus Mexiko

05.08.2024, 18:14 (CEST), letztes Update: 06.08.2024, 09:30 (CEST)

Starke Frauen scheinen manchen Internet-Nutzern unheimlich zu sein. Wer etwas kann, muss ein Mann sein, räsonnieren sie. Doch dieses Weltbild stimmt mit der Wirklichkeit nicht überein.

Frauen mit kurzen Haaren sind keine Männer. Diese Erkenntnis fällt manchen Zuschauern der Sportwettkämpfe bei den Olympischen Spielen in Paris offensichtlich schwer. Eine Judokämpferin aus Mexiko wird in sozialen Medien als Mann bezeichnet - obwohl nichts dafür, aber vieles dagegen spricht: vor allem die Erfahrungen einer Konkurrentin, die mit der Judoka schon in engem Körperkontakt stand.

Bewertung

Die Behauptung, die mexikanische Judo-Kämpferin Prisca Guadalupe Awiti Alcaraz (28) sei ein Mann, ist falsch. Als Siebenjährige begann sie mit Judo und gewann seither viele Mädchen-Wettkämpfe.

Fakten

Ein Facebook-Post aus Luxemburg verbreitet ein Video vom Achtelfinal-Kampf zwischen der Polin Angelika Szymanska (24) und Awiti Alcaraz vom 30. Juli 2024, das die Mexikanerin gewann. Awiti Alcaraz unterlag wenig später im Finale der Slowenin Andreja Leski und gewann damit als erste Mexikanerin eine Silbermedaille im Judo.

In dem Begleittext zu dem Video wird behauptet: «Die polnische Judoka Angelika Szymanska – Kandidatin für die Goldmedaille - verlor in der zweiten Runde des olympischen Turniers gegen den Mexikaner Prisca Alcaraz Aviti.» Demnach wäre Prisca Awiti Alcaraz ein Mann.

Dem widersprach der mexikanische Judo-Verband. «Ich teile Ihnen mit, dass unsere Wettkämpferin Prisca Awiti zweifellos weiblich ist, aber wenn irgendjemand Zweifel hat, kann er seine Bemerkungen offiziell über den polnischen Judo-Verband an den Internationalen Judo-Verband schicken», schrieb der technische Direktor des Verbands, German Ayala Arellano, auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur (dpa).

Der Judo-Weltverband IJF hat sich Regeln zur Kontrolle der Geschlechtsbestimmung gegeben. Alle Entscheidungen der Mitgliedsverbände zur Geschlechtszugehörigkeit eines Athleten oder einer SAthletin müssten dem IJF-Präsidenten unverzüglich gemeldet werden, heißt es darin. Zu Awiti Alcaraz ist nichts derartiges bekannt. Trotzdem kam die Behauptung, Awiti Alcaraz sei ein Mann und keine Frau, unmittelbar nach dem Sieg über die Polin Szymanska auf.

Polnischer PiS-Abgeordneter verbreitete Gerücht

Der Abgeordnete Pawel Jablonski von der PiS-Partei «Recht und Gerechtigkeit» hatte in einem Post bei X das Geschlecht der mexikanischen Siegerin sofort angezweifelt: «Und hier ist die „Athletin", die heute die polnische Vertreterin im Judo besiegt hat - und dann eine olympische Medaille gewann. Was meinen Sie?», schrieb Jablonski, der bis Ende 2023 auch Staatssekretär im polnischen Außenministerium war. Von den Kommentatoren des polnischen Fernsehens äußere sich niemand, weil sie allesamt Angst vor Entlassung hätten.

Auch der polnische Fernsehredakteur Konrad Hryszkiewicz zweifelte in einem Post bei X die Weiblichkeit von Awiti Alcaraz an. Die polnische Sportlerin habe «sensationell» im Achtelfinale verloren. «Ich füge ein Foto der Mexikanerin an», schrieb er vielsagend bei X.

Einen Tag später ruderte er zurück. Sein Post könne «misinterpretiert» werden, schrieb er auf X. « Ich möchte sagen, dass es keinen Beweis dafür gibt, dass diese Frau ein biologischer Mann ist», betonte er nun. Er habe lediglich Zweifel gehabt, ob die Mexikanerin nicht vor den Olympischen Spielen eine Hormontherapie gehabt habe. Zu diesem Abrücken vom eigenen Zweifel habe ihn vor allem eine Erklärung der unterlegenen Angelika Szymanska bewogen.

Unterlegene Polin verteidigt ihre Gegnerin

Szymanska nämlich hatte sich am 31. Juli entsetzt angesichts der Äußerungen in Polen über Mexikanerin gezeigt. In einem Post bei Facebook war sie sehr klar: «Ich verstehe, dass einige Postings dazu dienen, meine Stimmung zu trösten und zu heben, aber ich dulde keine Form von Hass, der gegen meine Gegnerin ausgespuckt wird», schrieb sie. Und fügte mit Blick auf Awiti Alcaraz hinzu: «In ihrem Fall sind alle Anschuldigungen und Unterstellungen unwahr. Wir kennen uns seit Jahren, trainieren gemeinsam in internationalen Camps und ich weiß, dass Prisca eine fleißige und entschlossene Frau ist, die ihren Erfolg gestern voll verdient hat.»

«Ich vertraue dieser Erklärung und möchte mich dafür entschuldigen, dass ich mit meinem Post jemanden in die Irre geführt habe», schrieb Hryszkiewicz auf X.

Sie kam als Siebenjährige zum Judo-Club

Prisca Awiti Alcaraz wurde nach Angaben der Webseite beinsports.com als Tochter eines kenianischen Vaters und einer mexikanischen Mutter 1996 in London geboren. Als Kind war sie vor allem an Gymnastik interessiert. Erst später fand sie den Weg zum Judo. Seit 2017 startet sie für Mexiko. Im vergangenen Jahr wurde sie von der Polin Szymanska bei einem Turnier in Ungarn besiegt.

Awiti Alcaraz trainierte von 2015-2021 an der britischen Universität von Bath. Der dortige Judo-Trainer Adam Hall kommentierte auf der Webseite der Uni: « Sie hat diese Leistung so hart erarbeitet. Wir alle hier im Team Bath sind unglaublich stolz. Glückwunsch an Prisca, den mexikanischen Judoverband und den Enfield Judo Club, wo sie ihren Weg begann.»

Schon 2021, als Prica Awiti-Alcaraz sich für die Olympischen Spiele in Tokio qualifizierte, hob der Cheftrainer des Enfield Judo Club hervor, dass ein «local girl» an den Wettkämpfen teilnehmen werde. «Im zarten Alter von sieben Jahren» sei das Mädchen dem Club beigetreten und habe seither viele Medaillen gewonnen.

(Stand: 05.08.2024)

Aktualisierung: Die später eingetroffene Reaktion des mexikanischen Judo-Verbandes wurde als dritter Absatz im Fakten-Teil eingefügt.

Links

Facebook-Post, archiviert

Video, archiviert

IJF über Awiti Alcaraz, archiviert

IJF-Regeln, archiviert

Post Jablonski bei X, archiviert

Post Hryszkiewicz 1 bei X, archiviert

Post Hryszkiewicz 2 bei X, archiviert

Facebook-Post Szymanska, archiviert

Bericht beinsports.com, archiviert

Webseite Uni Bath, archiviert

Enfield Judo Club über Awiti-Alcaraz, archiviert

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