Forschung falsch verstanden

Gates finanzierte Projekt zur Vogelgrippe-Gefahrenabwehr

03.07.2024, 22:23 (CEST)

Wer gefährliche Viren bekämpfen will, muss mehr über ihre Entstehung wissen. Dieses Wissen kann auch missbraucht werden. Aber darf man Forschern deshalb eine böse Absicht unterstellen?

Bill Gates und die nach ihm benannte Stiftung sind wegen des Einsatzes für weltweit mehr Gesundheitsschutz, insbesondere für mehr Impfungen gegen gefährliche Krankheiten, bekannt. Nun wird der Milliardär beschuldigt, er finanziere «Biowaffenexperimente» mit Vogelgrippe zur Verbreitung auf den Menschen. Gates habe «Millionen von Dollar in Biowaffenexperimente» investiert, «die darauf abzielten, die Vogelgrippe so zu manipulieren, dass sie auf Säugetiere überspringt und sich unter Menschen ausbreitet».

Bewertung

Die Behauptung ist falsch. Bei den fraglichen Forschungen geht es nicht um die Entwicklung von Biowaffen. Sie sollen ganz im Gegenteil die Ausbreitung der Vogelgrippe auf den Menschen verhindern.

Fakten

Ein Facebook-Post aus Luxemburg verlinkt auf einen Artikel der österreichischen Webseite tkp.at. Diese bezeichnet sich selbst als «Blog für Science und Politik» und verbreitet die Behauptung mit der Überschrift: «Gates finanzierte Biowaffenexperimente mit Vogelgrippe zur Verbreitung auf den Menschen.»

In dem Artikel heißt es, die Gates-Stiftung habe 9,5 Millionen US-Dollar an die Universität von Wisconsin-Madison gegeben. Damit seien Experimente finanziert worden, «bei denen Vogelgrippeviren des Typs H5N1 so verändert wurden, dass sie bevorzugt Rezeptoren vom Typ Mensch erkennen und sich schnell auf Säugetiere übertragen».

Der Text von tkp.at bezieht sich auf einen Tweet der McCullough Foundation im Kurzmitteilungsdienst X. Diese Stiftung wird geleitet von dem texanischen Kardiologen Peter McCullough, der während der Covid-19-Pandemie mit Kritik an Impfstoffen bekannt wurde. Er propagierte Behandlungen mit Ivermectin und Hydroxychloroquine, obwohl deren Wirksamkeit nicht nachgewiesen werden konnte.

Auf X behauptet McCullough, die Gates-Stiftung habe Forschung des Virologen Yoshihiro Kawaoka an der University of Wisconsin-Madison mit dem Ziel finanziert, das H5N1-Virus so zu verändern, dass es sich auch auf Menschen und Säugetiere überträgt.

Zudem sei das Geld verwendet worden, um Forschung von Kawaoka und dem niederländischen Virologen Ron Fouchier an einem H5N1-Virus, das sich auch auf Säugetiere übertrage, zu unterstützen. Peter McCullough kommt zu dem Schluss: «Dies zeigt, dass die Gates-Fundation bioterrorismusähnliche Aktivitäten mit H5N1 finanzierte und damit Blaupausen für andere böswillige Akteure lieferte, die möglicherweise eine Biowaffe herstellen wollen.»

Forscher arbeitet an Grippe-Frühwarnsystem

Tatsächlich hat die University of Wisconsin-Madison bereits am 19. November 2009, also vor mehr als 14 Jahren, in einer Pressemitteilung die Unterstützung der Gates-Stiftung in Höhe von 9,5 Millionen US-Dollar mitgeteilt. Es gehe darum, «Virusmutationen zu identifizieren, die als Frühwarnsystem für potenzielle Grippepandemien dienen könnten».

Kawaoka leite ein Forscherteam im Bemühen, «eine zuverlässigere Methode zur Identifizierung von Grippebedrohungen für die menschliche Gesundheit» zu finden. «Um die Früherkennung zu erleichtern, werden Kawaoka und seine Kollegen nach Mutationen in viralen Proteinen suchen, die es Vogelgrippeviren ermöglichen, an menschliche Rezeptoren zu binden oder eine effiziente Replikation in menschlichen Zellen zu ermöglichen.»

Verständlicher ausgedrückt, bedeutet dies in etwa Folgendes: Die Vogelgrippe, oft als Geflügelpest bezeichnet, betrifft normalerweise nur Geflügel, ganz selten auch Säugetiere. Auch Menschen werden normalerweise nicht mit der Vogelgrippe infiziert. Gelegentlich treten jedoch Mutationen des Virus auf, die auf den Menschen überspringen können. Kawaoka und sein Team wollen herausfinden, wie mutierte Viren aussehen, die dem Menschen gefährlich werden könnten. «Die verbesserte Fähigkeit, vorherzusagen, ob ein Virus pandemisches Potenzial hat, wäre für die Weltgemeinschaft von unschätzbarem Wert», wird Kawaoka in der Pressemitteilung zitiert.

Experimente könnten missbraucht werden

Wer verstehen will, wie Viren gefährlich für den Menschen werden, betritt als Wissenschaftler schnell vermintes Terrain. Kawaoka und Fouchier haben das sehr rasch erfahren, als vor gut zehn Jahren eine wissenschaftliche Debatte über die Frage losbrach, ob die Ergebnisse ihrer Forschung überhaupt publiziert werden dürften – weil sie in falsche Hände geraten könnten.

So veröffentlichte der Wissenschaftliche Beirat für Biosicherheit der USA (National Science Advisory Board for Biosecurity) im Dezember 2011 ein Papier, in dem darauf hingewiesen wird, dass der neuen Forschung zufolge das H5N1-Virus «ein größeres Potenzial als bisher angenommen hat, eine gefährliche Fähigkeit zur Übertragung unter Säugetieren, einschließlich vielleicht Menschen, zu erlangen».

Zudem beschrieben die Forscher nun «einige der genetischen Veränderungen, die mit diesem Potenzial zu korrelieren scheinen». Der Beirat empfahl, die Forschungsergebnisse mit Einschränkungen zu veröffentlichen – und zwar ohne die «methodischen und anderen Details, die die Wiederholung der Experimente durch jene, die Schaden anrichten wollen, ermöglichen würde».

Diese Empfehlung wurde in den USA heftig diskutiert. Die medizinische Nationalbibliothek (National Library of Medicine) veröffentlichte unter anderem einen Artikel des irischen Biologen Roy Sleator, in dem dieser die Ansicht vertrat, die Gefahren einer Veröffentlichung würden weit überschätzt. Die Fachzeitschrift Nature widmete dem Streit um die Veröffentlichung im März 2012 einen eigenen Artikel. Eine vollständige Veröffentlichung der Forschungsergebnisse erfolgte im Mai 2012, unter anderem in Nature.

Argument der öffentlichen Gesundheit überwog

Bereits im Januar 2012 hatten 30 führende H5N1-Forscher in den USA ein «Moratorium» ihrer Forschungsarbeit mitgeteilt. Angesichts der Möglichkeiten, die durch zusätzliche Funktionen von Viren entstehen, müsse man in Ruhe überlegen, ob diese Forschungen nicht zu gefährlich sein. Dann teilten die Wissenschaftler der Fachzeitschrift Science mit, sie seien zu dem Ergebnis gekommen, dass die Forschung wieder aufgenommen werden solle. Die Wissenschaft habe vor der öffentlichen Gesundheit «die Verantwortung, diese wichtige Arbeit weiterzuführen».

Die Forschung, die auch von der Gates-Stiftung finanziert wurde, soll also nicht zur Entwicklung einer «Biowaffe» dienen, sondern im Gegenteil zum Schutz der Bevölkerung vor einer gefährlichen Virus-Mutation. Die EU-Arzneimittelbehörde (EMA) hat erst im Februar 2024 zwei Impfstoffe – Celldemic und Incellipan - zugelassen, die für den Fall einer H5N1-Pandemie eingesetzt werden könnten.

Das wiedererwachte öffentliche Interesse an den Forschungen zur Geflügelpest dürfte damit zu tun haben, dass in den USA nach Angaben des US Centers for Disease Control and Prevention (CDC) seit April dieses Jahres drei Menschen nach dem Kontakt mit Milchkühen positiv auf Vogelgrippe getestet worden. Insgesamt gibt es damit seit 2022 in den USA insgesamt vier Fälle von Vogelgrippe bei Menschen.

In Deutschland werden Entwicklung und Verbreitung der Geflügelpest von Bundesforschungsinstitut für Tiergesundheit auf der Insel Riems bei Greifswald beobachtet. In einem Bericht vom März 2024 heißt es, trotz der hohen Anzahl an Ausbrüchen bei Geflügel weltweit und eines anzunehmenden vielfachen Kontakts zwischen Menschen und infizierten Vögeln schienen Infektionen mit dem Virus «bei Menschen weiterhin sehr seltene Ereignisse zu sein, die aber genau beobachtet und dokumentiert werden». Seit 2020 habe es weniger als zehn Infektionen von Menschen in Europa und Nordamerika gegeben. Insgesamt sechs Fälle seien aus Ecuador, Chile und Kambodscha gemeldet worden.

(Stand 03.07.2024)

Links

Facebook-Post, archiviert

Webseite tkp.at, archiviert

Tweet McCullough Foundation, archiviert

Pressemitteilung Universität Wisconsin-Madison, archiviert

Empfehlung Beirat für Biosicherheit, archiviert

Artikel Sleator, archiviert

Nature über Veröffentlichung , archiviert

Veröffentlichung, archiviert

Science zum Moratorium, archiviert

EMA zu Celldemic, archiviert

EMA zu Incellipan, archiviert

CDC zu Vogelgrippe bei Menschen, archiviert

FLI-Bericht zur Risikoeinschätzung, archiviert

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