Frage blieb ungeklärt

US-Gericht urteilte nicht über Covid-Impfstoff

14.6.2024, 14:35 (CEST)

Gerichtsurteile sind oft lang und mühsam zu lesen. Deswegen behaupten Verschwörungsgläubige immer wieder die seltsamsten Dinge über angebliche Gerichtsentscheidungen.

Ein hohes US-Gericht hat angeblich eine weitreichende Entscheidung zu Corona-Impfstoffen getroffen. In einem Facebook-Post aus Luxemburg heißt es dazu: «Bahnbrechendes Urteil: US-Berufungsgericht entscheidet, dass Covid mRNA Injektionen keine Impfstoffe sind.»

Bewertung

Die Behauptung ist falsch. Das fragliche US-Gericht hat kein derartiges Urteil gesprochen.

Fakten

Der Nutzer aus Luxemburg verlinkt in seinem Post auf eine Webseite, die mit Datum vom 10. Juni 2024 wiederum erklärt: «Der United States Court of Appeals for the Ninth Circuit hat soeben eine Bombe auf die Agenda der Covid-Massenimpfungen geworfen.»

Tatsächlich hat das Bundes-Berufungsgericht in dem für die westlichen USA zuständigen 9. Bezirk (Circuit) am 7. Juni 2024 ein Urteil gesprochen, bei dem es um Impfungen gegen Covid-19 ging. Dabei wurde jedoch anders entschieden als in dem Post behauptet.

Auf der Webseite heißt es, das Urteil könne «die Gesundheitspolitik im ganzen Land verändern». Dazu wird weiter behauptet: «In seinem Urteil stellte das Gericht fest, dass COVID-19 mRNA-Injektionen nicht als Impfstoffe im Sinne der herkömmlichen medizinischen Definition anzusehen sind.»

Beschäftigte der Schulbehörde hatten geklagt

Im Kern ging es vor dem Berufungsgericht um die Frage, ob eine frühere Entscheidung des Distriktgerichts von Kalifornien Bestand haben sollte. Dieses hatte nämlich eine Klage von Beschäftigten der Schulbehörde von Los Angeles (Los Angeles Unified School District/LAUSD) abgewiesen. Diese Behörde ist für gut 560 000 Lernende aller Altersgruppen im Bereich Los Angeles zuständig.

Die Beschäftigten hatten sich gegen eine Anweisung, sich gegen Covid-19 impfen zu lassen, gewehrt. Diese verstoße gegen ihre verfassungsmäßigen Rechte. Zunächst entschied das Distriktgericht, die Klage sei «hinfällig», weil mittlerweile diese Anweisung nicht mehr bestehe. Nachdem die Schulbehörde die Impf-Anweisung erneuert hatte, wies das Distriktgericht die Klage zurück.

Dabei hatte sich das Distriktgericht auf das 1905 vom Obersten Gericht (Supreme Court) gesprochene sogenannte Jacobson-Urteil berufen. Damals hatte das höchste US-Gericht festgestellt, dass die Impfpflicht gegen Pocken rechtmäßig sei, weil damit die Ausbreitung der Pocken verhindert werden könne.

Das Distriktgericht widersprach damit der Argumentation der Kläger. Diese hatten argumentiert, es handele sich beim Covid-19-Impfstoff nicht wirklich um einen Impfstoff, der die Verbreitung einer Krankheit wie beispielsweise Pocken verhindere. Vielmehr lindere die Impfung gegen Covid-19 lediglich die Symptome des Erkrankten.

Da es also nicht um die Ausbreitung einer Krankheit auf andere Menschen gehe, handele es sich nicht um eine Impfung, sondern um eine «medizinische Behandlung». Das Jacobson-Urteil aus dem Jahre 1905 über die Zulässigkeit einer Pocken-Impfpflicht sei daher in diesem Fall nicht anzuwenden, meinten die Kläger.

Berufungsinstanz hob Entscheidung auf

Das Berufungsgericht hob die Entscheidung des Distriktgerichts auf. Es entschied erstens, dass ein Urteil über die Rechtmäßigkeit der Impf-Anordnung nicht «hinfällig» sei. Denn es könne nicht ausgeschlossen werden, dass eine solche Anordnung erneut erlassen werde. Es entschied zweitens, dass die für die Rechtmäßigkeit wichtige Frage, ob es sich im strittigen Fall um eine Impfung oder um eine Behandlung handele, noch geklärt werden müsse.

Die Behauptung der Kläger, mRNA-Injektionen seien keine Impfstoffe im Sinne der herkömmlichen medizinischen Definition, wurde in der Sache vom Berufungsgericht nicht geprüft. Unter Hinweis auf die gängige Rechtsprechung, wonach die Hürden für eine Überprüfung nicht zu hoch sein dürfen, erklärte das Berufungsgericht aber: «In diesem Stadium müssen wir die Behauptungen der Kläger als wahr akzeptieren, dass der Impfstoff die Verbreitung von COVID-19 nicht verhindert.»

Unmittelbar danach betont das Berufungsgericht jedoch: «Wir weisen darauf hin, dass es sich bei unserer Entscheidung um eine vorläufige Entscheidung handelt. Wir wollen nicht vorgreifen, ob die Behauptungen der Kläger sich als wahr erweisen werden.» Sofern die Schulbehörde von Los Angeles nicht eine Überprüfung des Urteils durch eine größere Kammer des Berufungsgerichtes verlangt, muss das Distriktgericht erneut verhandeln und dabei auch Beweise für die Behauptung der Kläger prüfen.

Richter beurteilten keine Beweise zum Impfstoff

Die auf Gesundheitsrecht spezialisierte Jura-Professorin Lindsay Wiley von der Universität Los Angeles (UCLA) betonte in einer E-Mail an die dpa vom 13. Juni unter anderem, das Berufungsgericht habe «kein Urteil auf der Grundlage von Beweisen» gesprochen. «In diesem Stadium eines Rechtsstreits gehen die Gerichte davon aus, dass die Kläger die von ihnen behaupteten Tatsachen beweisen können. Die Untersuchung konzentriert sich darauf, ob diese Tatsachen, falls sie bewiesen werden, eine erfolgreiche Klage nach den geltenden Rechtsgrundsätzen begründen würden.»

Die untere Instanz habe entschieden, «dass selbst wenn die Kläger ihr Argument beweisen könnten, dass die Impfstoffe die Übertragung nicht verringern, dies nicht ausreichen würde, um ihrer Klage zum Erfolg zu verhelfen, da die Regierung ein berechtigtes Interesse daran hat, schwere Krankheiten und Todesfälle bei geimpften Personen zu verhindern.»

Wiley fügte hinzu: «Das Berufungsgericht hob dieses Urteil auf und entschied, dass, wenn die Kläger beweisen können, dass die Impfstoffe die Übertragung nicht verringern, dies für den Erfolg ihrer Klage ausreichen könnte, so dass ein Urteil gegen sie vor der Verhandlung, das sich allein auf die Schriftsätze stützt, unangemessen war.» Die Ansicht des Berufungsgerichtes, dass die mehr als 100 Jahre alte Jacobson-Entscheidung sich nur auf einen Impfstoff beziehe, der auch andere Menschen als die geimpfte Person schütze, sei «überraschend und meines Erachtens fehlgeleitet».

Das letzte Wort in dieser Sache ist also noch nicht gesprochen.

(Stand 14.06.2024)

Links

Facebook-Post, archiviert

Webseite uncutnews, archiviert

Urteil Berufungsgericht, archiviert

Schulbehörde von Los Angeles, archiviert

Webseite Wiley UCLA, archiviert

Über dpa-Faktenchecks

Dieser Faktencheck wurde im Rahmen des Facebook/Meta-Programms für unabhängige Faktenprüfung erstellt. Ausführliche Informationen zu diesem Programm finden Sie hier.

Erläuterungen von Facebook/Meta zum Umgang mit Konten, die Falschinformationen verbreiten, finden Sie hier.

Wenn Sie inhaltliche Einwände oder Anmerkungen haben, schicken Sie diese bitte mit einem Link zu dem betroffenen Facebook-Post an factcheck-luxembourg@dpa.com. Nutzen Sie hierfür bitte die entsprechenden Vorlagen. Hinweise zu Einsprüchen finden Sie hier.

Schon gewusst?

Wenn Sie Zweifel an einer Nachricht, einer Behauptung, einem Bild oder einem Video haben, können Sie den dpa-Faktencheck auch per WhatsApp kontaktieren. Weitere Informationen dazu finden Sie hier.