Kein Aufreger

Scholz falsch zitiert - Rentenprobleme sind altbekannt

16.10.2023, 11:12 (CEST)

Manchmal reicht genaues Zuhören, um eine Falschbehauptung von der Wirklichkeit zu unterscheiden. So auch bei einem angeblichen Zitat von Olaf Scholz über die Zuwanderung.

Ohne Arbeitskräfte aus dem Ausland können angeblich in Deutschland keine Renten mehr bezahlt werden. Das soll Bundeskanzler Olaf Scholz laut einem Facebook-Post gesagt haben, der in Luxemburg verbreitet wird. «Wenn es nicht gelingt, Arbeitskräfte von außen zu holen, kann der Staat keine Renten mehr bezahlen», wird Scholz dort zitiert. Einfaches Zuhören genügt, um das zu überprüfen.

Bewertung

Bundeskanzler Scholz hat das so nicht gesagt. Er wird falsch zitiert.

Fakten

In dem Facebook-Post wird ein sogenanntes «Reel« von Instagram weiterverbreitet, in dem nach Verwunderung über ausbleibende Aufregung («Kein Aufschrei auf Twitter? Keine Explosion von Meldungen??») mitgeteilt wird, Scholz habe etwas gesagt, «was wohl die wichtigste Information der letzten zwei Jahre ist».

Es folgt dann, in Anführungszeichen gesetzt, das angebliche Zitat des Kanzlers: «Wenn es nicht gelingt, Arbeitskräfte von außen zu holen, kann der Staat keine Renten mehr bezahlen.» Ergänzt durch den Kommentar: «Alleine diese Nachricht ist an Grausamkeit nicht mehr zu überbieten.» Garniert ist das Ganze mit einem Foto von Scholz beim sogenannten Sommerinterview der ARD vom 2. Juli 2023.

Scholz äußerte sich anders

Der fehlende «Aufschrei auf Twitter» könnte damit zusammenhängen, dass Scholz in diesem Interview tatsächlich etwas anderes gesagt hat. Von der Journalistin Tina Hassel nach dem Erstarken der AfD gefragt, sagt Scholz dem abrufbaren Video zufolge (ab 17:30), man müsse «über die Dinge reden und sprechen, die für die Zukunft unseres Landes wichtig sind».

Er fuhr dann fort: «Ich will das mal an einem Punkt klar festmachen, damit man nicht ausweicht: Damit wir eine gute Zukunft haben, damit unser Arbeitsmarkt funktioniert, damit unsere Wirtschaft wächst, werden wir gute Fachkräfte, Arbeitskräfte von außerhalb Deutschlands brauchen. Sonst sind die Renten nicht sicher. Und das muss man und darf man dann auch überall in Deutschland sagen und muss sich dem Streit stellen.»

Die Kanzler-Botschaft, dass ohne Arbeitskräfte aus dem Ausland die Renten «nicht sicher» seien, ist eine andere als die Behauptung, dass der Staat «keine Renten mehr bezahlen» könne. Scholz bezieht sich offenkundig auf die keineswegs neue Diskussion darüber, dass das derzeitige Rentenniveau ohne zusätzliche Beitragszahler der Rentenversicherung auf längere Sicht gefährdet sein dürfte.

Rente hängt von aktuellen Beitragszahlern ab

Die Problematik ist seit Jahren bekannt. Die Renten in Deutschland werden im sogenannten Umlageverfahren finanziert. Wer in die Rentenversicherung einzahlt, legt damit - einfach ausgedrückt - nicht für die spätere eigene Rente Geld zurück. Er zahlt vielmehr die Renten für die derzeitigen Rentenempfänger. Wenn die Versicherten später selbst Renten bekommen, so werden diese von den dann beitragszahlenden Mitgliedern der Rentenversicherung finanziert.

Dieser sogenannte Generationenvertrag gerät unter Druck, wenn die Zahl der Beitragszahler ständig sinkt, während die Zahl der Rentenempfänger weiter steigt. Dann müssen immer weniger Beitragszahler für immer mehr Rentnerinnen und Rentner aufkommen. Das bedeutet wegen der älter werdenden Bevölkerung in Deutschland schon jetzt, dass die ausschließliche Beitragsfinanzierung nicht mehr funktioniert. Ein Teil der fehlenden Versicherungsbeiträge wird mit einem Bundeszuschuss - also mit Steuergeldern aus dem Staatshaushalt - finanziert.

Der Bundesrechnungshof hat in einem Bericht darauf hingewiesen, dass 2023 bereits mehr als 112 Milliarden Euro aus dem Bundeshaushalt in die Rentenzahlungen fließen. Das sei mehr als ein Fünftel der Ausgaben des Bundeshaushalts. Vor dem Hintergrund der Pläne des Bundessozialministeriums, vom Jahr 2026 an dauerhaft ein Mindestrentenniveau von 48 Prozent festzuschreiben, warnt der Rechnungshof vor einer erheblichen «Lastenverteilung zugunsten der Rentenbeziehenden und zum Nachteil der Beitragszahlenden und des Bundes».

Nach Angaben der Deutschen Rentenversicherung gab es Ende 2021 rund 22 Millionen Rentenempfänger in Deutschland. Die Rentenversicherung hatte 57 Millionen Mitglieder, darunter übrigens rund 7 Millionen mit ausländischer Staatsangehörigkeit. In den vergangenen 50 Jahren hat sich vor allem die durchschnittliche Dauer des Rentenbezuges deutlich verlängert. 1972 erhielten Männer 10,5 und Frauen 13,2 Jahre lang Rente. 2022 wurde die Rente für Männer durchschnittlich 18,8 und für Frauen 22,2 Jahre lang gezahlt.

Lange Diskussion über möglichen Ausgleich

Vor diesem Hintergrund wird immer wieder die Frage diskutiert, wie das Geburtendefizit in Deutschland ausgeglichen und damit die Balance zwischen der kleiner werdenden jungen und größer werdenden alten Bevölkerung wieder hergestellt werden kann.

Fachleute sehen in der Zuwanderung nicht die einzige Lösung. In einem Bericht des Max-Planck-Instituts für Sozialrecht und Sozialpolitik von 2016 heißt es, mittelfristig könne Zuwanderung sich positiv auf die Entlastung der Rentenversicherung auswirken. Zugleich wird jedoch darauf verwiesen, dass «nur unrealistisch hohe Zuwanderungszahlen den Beitragssatz zur gesetzlichen Rentenversicherung stabilisieren könnten». Die Experten meinen: «Um das demografische Problem allein mit Zuwanderung lösen zu können, müssten dauerhaft 1,5 Millionen Menschen pro Jahr zu uns kommen und integriert werden.»

In der Fachzeitschrift «Deutsche Rentenversicherung» vom März 2020 mahnt der Rentenexperte Prof. Franz Ruland, eine hohe Netto-Zuwanderung sei zwar ein schnell wirkender Ansatz zur Verbesserung der demographischen Fundamentaldaten der Rentenfinanzen. Deren Effekte ließen «auf Dauer aber nach, weil die zusätzlichen Zuwanderer ebenso altern wie die bereits im Inland ansässige Wohnbevölkerung».

Um die Lage der Rentenfinanzen langfristig zu verbessern, «müsste die Nettozuwanderung im Grunde immer weiter steigen», erläuterte Ruland. Eine Politik, die die demographische Entwicklung in Deutschland allein auf diesem Wege spürbar beeinflussen wolle, würde daher «mit der Zeit an Grenzen stoßen».

In der Diskussion über eine dauerhaft sichere Finanzierung der Renten in Deutschland ist die Frage der Zuwanderung ausländischer Fachkräfte daher nur eine von vielen. Und keine neue.

(Stand: 16.10.2023)

Links

Facebook-Post, archiviert

Reel Instagram, archiviert

Video ARD Sommerinterview, archiviert

Bericht Bundesrechnungshof, archiviert

Bericht DRV, archiviert

Schlüsselzahlen DRV, archiviert

Bericht Max-Planck-Institut, archiviert

Fachzeitschrift «Deutsche Rentenversicherung», archiviert

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