Einfache Erklärung

Liste toter Flüchtlinge enthält viele namenlose Opfer

30.08.2023, 18:50 (CEST)

Das Foto einer sehr langen «Namensliste der ertrunkenen Flüchtlinge» kursiert in sozialen Medien. Verschwörungsgläubige sind überzeugt, dass damit etwas nicht stimmen kann.

Die Liste mit den Namen der ertrunkenen Flüchtlinge sei im Plenarsaal des Europäischen Parlaments ausgelegt worden, heißt es in einem in Luxemburg geteilten Facebook-Post. Der Beitrag hebt das Wort «Seltsam!» mit besonders großer Schrift hervor. Danach heißt es im Text: «Woher haben die Namen, wenn die meisten keine Papiere bei sich hatten?!»

Bewertung

Die Behauptung ist falsch. Bei der fraglichen Liste handelt es sich nicht um eine Namensliste. Es handelt sich auch nicht um eine Liste ertrunkener Flüchtlinge. Die Aufzählung enthält auch auf andere Art gestorbene Migranten.

Fakten

Der Text des Luxemburger Posts formuliert einen anderen Facebook-Post geringfügig um, der schon im August 2018 von der österreichischen Faktencheck-Organisation Mimikama aufgegriffen worden war.

In jenem Post, in dem übrigens das selbe Foto einer in einem langen Flur ausgerollten Liste verwendet wurde, hieß es vor fünf Jahren in fehlerhaftem Deutsch: «Diejenigen die ankommen haben keine Papiere dabei. Aber die die ertrunken sind hatten alle welche und konnten deshalb auch identifiziert werden? Merkt ihr was?»

Dabei zeigt das Foto gar keine Namensliste ertrunkener Flüchtlinge. Vielmehr handelt es sich um eine Liste, auf der seit 1992 zahlreiche Todesfälle von Menschen aufgeführt sind, die während oder nach der Flucht starben. Bei allen sind Datum, Ort und Umstände des Todes sowie die Quelle der Information angegeben. Bei manchen werden Namen genannt, bei sehr vielen fehlt allerdings der Name. Stattdessen ist auf der Liste «N.N.» als Zeichen für einen unbekannten Namen zu lesen.

Die aktuelle Version dieser Liste enthält knapp 53 000 Todesfälle. Dabei handelt es sich nicht nur um ertrunkene Menschen, sondern auch auch um solche, die beispielsweise auf der Flucht vor Polizei, im Polizeigewahrsam, durch Hunger oder durch Selbstmord zu Tode kamen.

Die Liste wird von der in Amsterdam ansässigen Organisation United for Intercultural Action erstellt und auf dem Laufenden gehalten. Vor allem die Künstlerin Banu Cennetoglu hat die Liste oft zum Thema von Installationen im öffentlichen Raum gemacht. Die Liste ist also auch eine Art Kunstwerk.

Die damals etwa 100 Meter lange Liste wurde am 28. April 2015 vor dem Eingang des Europaparlaments in Straßburg im Rahmen einer Demonstration «Migrants Lives Matter» am Rande von Beratungen der Abgeordneten über die Flüchtlingskrise ausgelegt. In einem Video des Europäischen Parlamentes sind (ab 0:50) zahlreiche beispielhafte Einträge zu sehen. Seinerzeit umfasste die Liste, wie aus einem Bericht der Bild-Zeitung hervorgeht, 17 306 Todesfälle.

Die Behauptung, es gebe eine seltsame «Namensliste», obwohl die meisten Flüchtlinge keine Papiere bei sich trugen, ist also eindeutig falsch.

(Stand: 30.08.2023)

Links

Facebook-Post, archiviert

Mimikama Faktencheck 2018, archiviert

Liste von toten Flüchtlingen, archiviert

United for Intercultural Action, archiviert

Video, archiviert

Bild-Zeitung, archiviert

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