UN-Zahlen sind eindeutig

Ukraine lieferte Getreide vor allem an arme Länder

19.7.2023, 16:55 (CEST)

Eine Sicherheitsgarantie hat ukrainische Getreideexporte per Schiff auch in Kriegszeiten ermöglicht. Wohin ging die Ernte? Dazu gibt es eine Behauptung - und es gibt überprüfbare Tatsachen.

Das von Russland, der Ukraine und der Türkei unterzeichnete UN-Abkommen über die ukrainischen Getreideexporte über das Schwarze Meer hat angeblich den bedürftigen armen Ländern der Welt kaum genutzt. Das meiste Getreide sei in den Westen geliefert worden, wird in sozialen Netzwerken behauptet.

Bewertung

Diese Behauptung ist falsch. Das meiste Getreide wurde in Entwicklungsländer geliefert.

Fakten

Die Vereinten Nationen und die Türkei hatten am 22. Juli 2022 mit Russland und der Ukraine vereinbart, dass die Urkaine trotz des Krieges wegen der russischen Invasion ihr Getreide über einen Schiffs-Korridor im Schwarzen Meer exportieren darf. Voraussetzung war, dass Schiffe, Ladung und Besatzung von Vertretern der vier Vertragsparteien kontrolliert werden dürfen. Das sollte Hunger in der Welt verhindern, weil die Ukraine als weltweit wichtiges Produktionsland andernfalls ausgefallen wäre.

In einem Facebook-Post aus Luxemburg heißt es nun, anders als von den «Clowns in der Tagesschau» behauptet, sei das meiste Getreide aus ukrainischen Häfen «eben nicht an hungernde Nationen, sondern in den Westen» gegangen. Von 33 Millionen Tonnen seien nur 2,6 Millionen Tonnen an «hungernde Länder» gegangen, «also ca. 10 Prozent» (tatsächlich wären das nur knapp 8 Prozent).

Russland hatte am 17. Juli 2023 mitgeteilt, es werde das an diesem Tag auslaufende Abkommen vorerst nicht mehr verlängern. Unter anderem hatte Moskau das damit begründet, dass westliche Sanktionen die eigenen Düngemittelexporte behinderten.

Da die Getreideexporte gemäß dem Abkommen strikt kontrolliert werden, liegen präzise Daten über die das Abkommen nutzenden Schiffe, deren Ladung und deren Bestimmungsort vor. Diese sind auf einer eigens für dieses Abkommen eingerichteten Webseite der Vereinten Nationen öffentlich zugänglich.

Demnach sind seit der Unterzeichnung des Abkommens vom Juli 2022 insgesamt 32,9 Millionen Tonnen Getreide aus der Ukraine über den Schiffskorridor exportiert worden. Davon gingen rund 14 Millionen Tonnen, also 43 Prozent, an entwickelte Staaten. 18,8 Millionen Tonnen wurden hingegen an Entwicklungsländer geliefert. Das sind gut 57 Prozent der gesamten Exporte.

Die Vereinten Nationen schlüsseln die Exporte auch nach den Reichtumsgruppen der Welt auf. Demnach gingen 44 Prozent der Exporte (14 Millionen Tonnen) an Staaten mit hohem Einkommen. 37 Prozent (12 Millionen Tonnen) wurden an Staaten mit «oberem mittlerem Einkommen» und 17 Prozent (5,6 Millionen Tonnen) an Staaten mit «niedrigem mittleren Einkommen» geliefert. 2,5 Prozent (0,8 Millionen Tonnen) entfielen auf Staaten mit niedrigem Einkommen.

Größter Kunde für das Getreide aus der Ukraine war China mit 8 Millionen Tonnen. Zweitgrößter Kunde war Spanien (6 Millionen Tonnen), gefolgt von der Türkei (3,2 Millionen Tonnen). Hierbei ist laut Vereinten Nationen zu berücksichtigen, dass die Türkei einen großen Teil der Nahrungsmittelhilfen verarbeitet, die das UN-Welternährungsprogramm (WFP) anschließend an Länder wie Afghanistan, Äthiopien, Somalia, Kenia, Sudan oder Jemen weiterleitet. Insgesamt 725 000 Tonnen wurden vom Welternährungsprogramm aufgekauft.

Zu den Ländern mit hohem Einkommen, die knapp 44 Prozent der Exporte aufnahmen, gehören neben den meisten Ländern der Europäischen Union auch Großbritannien, Japan, Oman, Korea, Saudi-Arabien, die Vereinigten Arabischen Emirate und Großbritannien.

Der Großkunde China rangiert in der Gruppe der Länder mit oberem mittleren Einkommen ebenso wie die Türkei und beispielsweise der Irak, Libyen oder Thailand. Auch die Länder mit niedrigem mittlerem Einkommen sind alles andere als reich: dazu gehören Bangladesch, Ägypten, Indien, Kenia, Pakistan oder Tunesien.

Einer UN-Bilanz zufolge sind seit Juli 2022 insgesamt 45 Länder auf drei Kontinenten mit Getreide aus der Ukraine beliefert worden. Diese Exporte haben laut UN dazu beigetragen, dass die Weltmarktpreise für Lebensmittel, die zur Zeit des Vertragsabschlusses stetig stiegen, um mehr als 23 Prozent gesunken sind. Das Abkommen lege nicht fest, wer beliefert werden dürfe. «Exporte in alle Länder, ob reich oder arm, können jedoch zur Beruhigung der Weltmärkte beitragen und die Inflation der Lebensmittelpreise abmildern», heißt es auf der Webseite der Vereinten Nationen. Damit ist gemeint, dass auch ärmere Staaten dank niedrigerer Preise in die Lage versetzt werden, selbst Getreide einzukaufen.

Das meiste Getreide aus der Ukraine ist also nicht in den Westen geliefert worden. Das meiste Getreide aus der Ukraine ging an Entwicklungsländer. So hat es auch die Tagesschau korrekt berichtet.

(Stand: 19.07.2023)

Links

Facebook-Post, archiviert

Vereinbarung von 2022, archiviert

TASS zu Abkommen, archiviert

Daten UN-Überwachung, archiviert

UN Black Sea Initiative, archiviert

UN-Webseite Bilanz, archiviert

Tagesschau-Bericht, archiviert

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