Fakten entkräften Hypothesen

Wissenschaftler halten Existenz von Viren für erwiesen

20.03.2023, 17:57 (CET)

Grippevirus, Masernvirus, Coronavirus - wer kennt sie nicht, diese fiesen Krankmacher? Wenn nun behauptet wird, Viren gebe es gar nicht, könnte man sich freuen - falls diese Aussage denn stimmen würde.

Bisher ist es angeblich Wissenschaftlern noch niemals gelungen, die Existenz von Viren zu beweisen. Dies jedenfalls wird immer wieder in sozialen Netzwerken verbreitet. Die Gründe für viele Erkrankungen seien demnach nicht bei Viren zu suchen.

Bewertung

Es gibt Viren. Wissenschaftler lassen an ihrer Existenz keinen Zweifel.

Fakten

In einem Facebook-Post aus Luxemburg wird behauptet: Dass es krankheitsverursachende Viren gebe, sei «nur eine Theorie oder Hypothese, die nie als wahr oder als Fakt belegt wurde». Stützen soll diese Behauptung ein Video, das von der in Österreich ansässigen Webseite «Auf1» stammt, die sich als «der erste wirklich zu 100 Prozent unabhängige und alternative TV-Sender im deutschsprachigen Raum» bezeichnet.

In dem Video wird ein Interview mit dem deutschen Ingenieur Marvin Haberland geführt. Nach eigenen Angaben hat er sich nach dem Krebstod seiner Großmutter für medizinische Fragen interessiert und dabei «Probleme» in verschiedenen Bereichen festgestellt. Haberland tritt in dem Interview als Sprecher eines Unternehmens auf, das unter dem Namen «Next Level - Wissen neu gedacht» firmiert. Die Webseite von «Next Level» schreibt von dem Ziel, «die Fehlannahmen in der Wissenschaft, Medizin und Persönlichkeitsentwicklung klar zu benennen», ohne eine Unternehmensform anzugeben.

Sprecher im Video nennt verschiedene Annahmen

Haberland bestreitet nicht, «dass sogenannte Krankheiten da sind» (ab Minute 05:20 im Video). «Wir vertreten allerdings die Position, dass die Krankheit im Menschen und im Tier nicht durch einen Erreger entsteht, der von A nach B weitergegeben wird und dieser Erreger sich dann quasi einnistet im Wirt und dort Probleme verursacht.» Zur Erforschung der wirklichen Krankheitsentstehung habe man «natürlich Hypothesen wie beispielsweise Umweltfaktoren, Gifte, Ernährung, Stress, psychosomatische Themen».

Er meint, die Existenz von Viren sei vor allem deshalb nicht bewiesen, weil in allen wissenschaftlichen Untersuchungen Kontroll-Experimente fehlten, die «wissenschaftlich definitiv vorgeschrieben» seien (Minute 08:15). Das Genom, also das Erbgut eines Virus, sei «kein in der Realität entdeckter Erreger, sondern das sind mathematisch errechnete Modelle mit Softwareprogrammen» (09:08). Die Ansteckung von Viren sei nicht wissenschaftlich nachgewiesen. Was die Wissenschaft als Viren präsentiere, sei «Gewebe, das sich verändert».

All diese Behauptungen haben nach den allgemein akzeptierten wissenschaftlichen Erkenntnissen nichts mit der Realität zu tun. Die Frage der Existenz von Viren ist am Beispiel des Masernvirus in den Jahren 2014 bis 2016 in Deutschland eingehend diskutiert und sogar richterlich klar entschieden worden.

Prozess um die Existenz von Viren

Damals ging es um die Klage eines Medizinstudenten und späteren Arztes gegen einen Biologen, der ein Preisgeld in Höhe von 100 000 Euro ausgelobt hatte. Der Biologe, der die Existenz von Viren für nicht bewiesen hält, wollte das Geld zahlen, «wenn eine wissenschaftliche Publikation vorgelegt wird, in der die Existenz des Masern-Virus nicht nur behauptet, sondern auch bewiesen und darin u. a. dessen Durchmesser bestimmt ist.»

Der Medizinstudent hatte sechs wissenschaftliche Fachartikel vorgelegt, darin einen Beweis für die Existenz von Viren gesehen und auf Auszahlung des Preisgeldes geklagt. In erster Instanz gab ihm das Landgericht Ravensburg im März 2015 recht. Die Existenz von Masernviren sei nachgewiesen, der Biologe müsse zahlen.

Das Oberlandesgericht Stuttgart als Berufungsinstanz kippte diese Entscheidung. Allerdings nicht, weil es keinen Beweis für Viren gebe. Sondern vielmehr deswegen, weil der Biologe «eine wissenschaftliche Publikation» verlangt, der Medizinstudent aber nicht eine, sondern sechs Publikationen vorgelegt hatte.

Gericht würdigte klaren Viren-Nachweis

Im Gegensatz zu der häufig verbreiteten falschen Behauptung, das Oberlandesgericht Stuttgart habe die Nichtexistenz von Viren bestätigt, hat dieses Gericht vielmehr in der Sache dem Medizinstudenten ausdrücklich Recht gegeben.

In seinem Urteil bestätigt das Oberlandesgericht: «Die Beweiswürdigung des Landgerichts dahingehend, dass aufgrund des eingeholten Sachverständigengutachtens bewiesen sei, dass die vom Kläger vorgelegten Publikationen in ihrer Gesamtheit den Nachweis für die Existenz und die Erregereigenschaft des Masernvirus belegten und auch die Bestimmung des Durchmessers in der vom Beklagten verlangten Form gelungen sei, ist im Ergebnis nicht zu beanstanden.»

Entscheidend für diese gerichtliche Festschreibung der Viren-Existenz war ein Gutachten des Rostocker Mikrobiologen Prof. Andreas Podbielski, der als Sachverständiger hinzugezogen wurde. In diesem Gutachten schreibt Podbielski, er habe keinen einzigen Fachartikel finden können, in dem die Existenz des Masernvirus geleugnet werde. Die Existenz dieses Virus werde «weltweit von der ganz überwiegenden Zahl» der Fachwissenschaftler akzeptiert und «in das tägliche medizinische Denken und Handeln integriert».

Psychosomatik kann Masernausbreitung nicht erklären

Als indirekter Beleg für die Existenz des Masernvirus könne beispielsweise der Erfolg von Impfprogrammen gelten. Psychosomatische Ursachen könnten nicht das weltweite Auftreten der Masern mit einer gleichartigen Inkubationszeit nach Kontakten und einem gleichartigen Verlauf unabhängig vom kulturellen Hintergrund der Betroffenen erklären. Psychosomatische Erkrankungen könnten grundsätzlich von Impfungen nicht verhindert werden.

Das entkräftet auch die Aussage in dem Video, gerade psychosomatische Faktoren seien «ganz wichtig». «Wenn man irgendwo eingesperrt ist für lange Zeit, wenn man viel Stress hat, dann können Symptome entstehen jeglicher Art. Und wir gehen davon aus, dass dies die Gründe für Krankheit sind.» (28:35) Dass viele Menschen fast gleichzeitig die gleichen Symptome bekämen, erklärte Haberland mit klimatischen Bedingungen, die «für alle Menschen in einem bestimmten Umfeld gleich» seien. «Andere Umwelteinflüsse können auch eine Rolle spielen.» (30:50)

Masernviren genetisch komplett untersucht

Die direkten Belege für die Existenz des Masernvirus ergeben sich unter anderem aus der Zusammenschau der sechs vorgelegten Publikationen. Podbielski wies auch die Behauptung zurück, mangelnde Kontrolluntersuchungen seien unerlässlich und sogar von Gesetz vorgeschrieben. Die Genominformation von Masernviren liege «in Gänze vor» und führe dazu, dass «die Anwesenheit von Masernviren (...) über jeden vernünftigen Zweifel erhaben nachgewiesen werden kann».

Eine der sechs vorgelegten Arbeiten erfülle zudem die in den Jahren 1840 und 1882 von Jakob Henle und Robert Koch aufgestellten «Postulate» für wissenschaftliche Arbeit. Diese seien aber auf den damaligen Wissensstand bezogen und könnten deswegen heutzutage nicht mehr in allen Fällen eingehalten werden.

Das Robert Koch-Institut (RKI) in Berlin geht auf seiner Internetseite auf den Einwand ein, keiner der krankmachenden Erreger sei bisher «gesehen, isoliert und als existent bewiesen» worden. Dank der Entwicklung des Elektronenmikroskops im 20. Jahrhundert lägen von den zuvor nicht darstellbaren Viren detaillierte Bilder vor. In vielen Fällen sei zudem deren genetischer Code bekannt. Die Wissenschaftsjournalistin Mai Thi Nguyen-Kim (maiLab) erläutert in einem Video den Gerichts-Streit um die Existenz von Masernviren im verständlicher Weise.

Stand: 20.03.2023

Links

Facebook-Post, archiviert

Video mit Behauptung, archiviert

Webseite Auf1, archiviert

Webseite Next Level, archiviert

Impressum Next Level, archiviert

Urteil LG Ravensburg, archiviert

Urteil OLG Stuttgart, archiviert

Gutachten Podbielski, archiviert

RKI Webseite, archiviert

Video, archiviert

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