Beispiel Ukraine

Was eine historische Landkarte zeigt - und was nicht

20.01.2023, 13:40 (CET)

Die politische Herrschaft hat in der Ukraine oft gewechselt. Immer wieder wurden neue Grenzen gezogen. Deshalb muss man bei alten Landkarten genauer hinschauen.

Eine etwas ältere Landkarte soll belegen, dass die Ukraine eine ganz moderne Erfindung ist. Die Ukraine gehöre eigentlich zu Russland. Mit dieser Behauptung versucht der russische Präsident Wladimir Putin seinen Krieg gegen das Nachbarland zu rechtfertigen. Und diese Behauptung verbreiten Nutzer sozialer Netzwerke zum Bild einer Landkarte, die dafür allerdings keinerlei Beweis liefert.

Bewertung

Die fragliche Karte zeigt nicht, dass es 1683 wie behauptet keine Ukraine gab. Und sie beweist auch nicht, dass die Ukraine erst 1989 gegründet wurde. Die Karte zeigt vielmehr etwas ganz anderes.

Fakten

In einem Facebook-Post aus Luxemburg wird behauptet: «1683 gab es noch keine Ukraine, sie wurde erst 1989 gegründet.» Die beigefügte Landkarte zeige, «dass die heutige Ukraine zu Russland gehört». Zudem wird die Karte noch mit dem Satz erläutert: «Das was wir heute Ukraine nennen war das biblische Bessarabien !!! (bzw. sein Nachfolger)».

Die fragliche Landkarte gehört zu einem 1923 in überarbeiteter Fassung erschienenen Geschichtsatlas des US-Historikers und Kartographen William R. Shepherd. Details zu der Karte finden sich unter anderem auf einer Webseite der Universität Princeton. Die Karte zeigt nicht die Ukraine im Jahr 1683, sondern - wie auch der fett gedruckte Titel in englischer Sprache besagt - den «Zerfall des osmanischen Reiches seit 1683». Das Jahr 1683 ist jenes Jahr, in dem Truppen des osmanischen (türkischen) Reichs bis kurz vor Wien vordrangen und dort geschlagen worden. Damit begann der Zerfall des riesigen Reiches.

Deshalb befinden sich im Zentrum der Karte die Türkei und das Schwarze Meer. Die Karte zeigt durch verschiedene Farbmarkierungen, an welche anderen Mächte Gebiete fielen, die 1683 noch zum Osmanischen Reich gehört hatten. Dabei sind die Gebiete, die im Laufe der Zeit von Österreich, Großbritannien und Russland kontrolliert wurden, unterschiedlich farblich markiert - die an Russland fallenden Gebieten sind hellgrün. Zusätzlich sind Jahreszahlen vermerkt, die Auskunft über das Datum des jeweiligen Machtwechsels geben.

Unter anderem vermerkt die Karte auf dem grün markierten Gebiet der heutigen Krim und der Umgebung des Asowschen Meeres das Jahr 1783. In jenem Jahr wurde das zuvor zum osmanischen Reich gehörende Gebiet von der russischen Zarin Katharina II annektiert.

Für die Region Bessarabien ist die Jahreszahl 1812 notiert, weil in diesem Jahr der russische Zar Alexander I. nach einem längeren und blutigen Krieg die Kontrolle übernahm. Bessarabien ist - anders als in dem Post behauptet - kein «biblisches» Land. Allerdings lebten dort bis 1940 zahlreiche streng religiöse deutschstämmige Siedler, deren Familien sich seit 1814 auf Einladung des russischen Zaren niedergelassen hatten. Auch die Behauptung, Bessarabien sei «das was wir heute Ukraine nennen», ist falsch: Bessarabien ist heute vor allem als Republik Moldau bekannt.

Die Karte des Zerfalls des osmanischen Reiches gibt also keinerlei Auskunft über die Entstehungsgeschichte der Ukraine, sie berührt allenfalls einen sehr geringen Teil davon.

Über die jahrhundertelange wechselhafte Geschichte der Ukraine gibt unter anderem die Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg auf ihrer Webseite umfassende und leicht verständliche Aufklärung. Darin wird unter anderem auf die Gründung einer Ukrainischen Volksrepublik im November 1917 verwiesen. 1945 wurde die Ukraine als «Unabhängige Sozialistische Sowjetrepublik Ukraine» Gründungsmitglied der Vereinten Nationen. Die Unabhängigkeit der Ukraine wurde im Dezember 1991 von Russland anerkannt. Zudem haben Russland und die Ukraine am 28 Januar 2003 einen 376-seitigen Grenzvertrag unterzeichnet, in dem die gemeinsame Grenze anerkannt wird.

(Stand 20.1.2023)

Links

Facebook-Post, archiviert

Webseite Princeton, archiviert

BPB zum Osmanischen Reich, archiviert

Karte Bessarabien/Moldau, archiviert

Webseite LPB Baden-Württemberg, archiviert

Grenzvertrag, archiviert

Über dpa-Faktenchecks

Dieser Faktencheck wurde im Rahmen des Facebook/Meta-Programms für unabhängige Faktenprüfung erstellt. Ausführliche Informationen zu diesem Programm finden Sie hier.

Erläuterungen von Facebook/Meta zum Umgang mit Konten, die Falschinformationen verbreiten, finden Sie hier.

Wenn Sie inhaltliche Einwände oder Anmerkungen haben, schicken Sie diese bitte mit einem Link zu dem betroffenen Facebook-Post an factcheck-luxembourg@dpa.com. Nutzen Sie hierfür bitte die entsprechenden Vorlagen. Hinweise zu Einsprüchen finden Sie hier.

Schon gewusst?

Wenn Sie Zweifel an einer Nachricht, einer Behauptung, einem Bild oder einem Video haben, können Sie den dpa-Faktencheck auch per WhatsApp kontaktieren. Weitere Informationen dazu finden Sie hier.