Zelllinie HEK-293
Geschmackserforschung ist keine Geschmacksverstärkung
20.12.2022, 12:23 (CET), letztes Update: 20.12.2022, 12:32 (CET)
Kann es wirklich sein, dass wir Lebensmittel essen und alkoholfreie Getränke zu uns nehmen, die menschliche Föten enthalten? Zumindest wird dies seit Jahren immer wieder behauptet. Abgetriebene menschliche Föten (ab der neunten Schwangerschaftswoche) werden angeblich verwendet, um den Geschmack von Lebensmitteln zu verbessern.
Bewertung
Lebensmittel, alkoholfreie Getränke und Kosmetika enthalten keine Zellen von menschlichen Föten. Es gibt jedoch eine andere Verbindung zwischen ihnen.
Fakten
Die Behauptung, dass Zellen abgetriebener menschlicher Föten in Lebensmitteln enthalten sind, taucht immer wieder in sozialen Netzwerken auf und schürt dort Empörung. In einem Facebook-Post aus Luxemburg wird ein Artikel der Webseite liebeisstleben.net geteilt. In diesem Artikel vom 3. April 2017 wird behauptet, menschliche Körperteile würden als «Lebensmittel-Zusatz» verwendet. Neben anderen großen Konzernen wird auch der Cola-Hersteller PepsiCo erwähnt.
Der Auslöser für diese Behauptung, die seit Jahren im Internet kursiert, dürfte ein Artikel sein, der im April 2002 in der wissenschaftlichen Zeitschrift «Proceedings of the National Academy of Science of the United States of America» veröffentlicht wurde. Die sechs Autoren arbeiteten für das Biotechnologieunternehmens Senomyx mit Sitz in San Diego, Kalifornien. In ihrem Artikel geht es um die Erforschung der Funktionsweise der Geschmacksrezeptoren, die sich in der Mundhöhle befinden und von denen aus die Geschmackseindrücke mittels chemischer Reaktionen an das Gehirn weitergeleitet werden. In diesem Artikel über die verschiedenen Tests werden auch Experimente mit Zellen des Typs HEK-293T beschrieben.
HEK-293 ist eine der am häufigsten verwendeten Zelllinien in der Biochemie. Die Abkürzung steht für «menschliche embryonale Niere» («Human Embryonic Kidney»). Die Zellen wurden an der Universität Leiden in den Niederlanden aus der Niere eines gesunden abgetriebenen Embryos aus dem Jahr 1973 entnommen. Anschließend wurden sie so behandelt, dass sie sich mit relativ wenig Aufwand dauerhaft vermehren konnten. Selbst die heute verwendeten HEK-293-Zellen, von denen es mittlerweile weltweit verschiedene Varianten gibt, stammen letztlich von den 1973 erstmals entfernten Zellen ab.
Die Zelllinie HEK-293 wird daher manchmal auch als «unsterblich» bezeichnet. Die Zelllinie HEK-293 wird nach wie vor weltweit für Studien zur Proteininteraktion, zur Krebsbekämpfung und zur Entwicklung von Impfstoffen und Medikamenten verwendet.
Auch das Biotechnologieunternehmen Senomyx, das an der Entwicklung von Geschmacksverstärkern für Lebensmittel und Getränke und damit auch von Geschmacksrezeptoren und -proteinen beteiligt ist, arbeitet mit HEK-293-Zellen. Neben vielen anderen hält Senomyx ein Patent für Geschmacksmodulatoren, z. B. im Rahmen einer Forschung, bei der HEK-293-Zellen verwendet wurden.
Senomyx beschreibt sich selbst als ein Unternehmen, das «innovative Geschmackszusätze für die Lebensmittel- und Getränkeindustrie entdeckt und entwickelt». Ein Unternehmensziel ist es, die Menge an Zucker und Salz in Fertiggerichten und Limonaden zu reduzieren. Im Juni 2010 gab Senomyx bekannt, es werde einen Süßstoff für den Cola-Hersteller PepsiCo entwickeln und dafür 7,5 Millionen USD erhalten. Im August 2010 kündigte Senomyx eine vierjährige Forschungskooperation mit PepsiCo zur Entwicklung neuer Süßstoffe an.
Im Mai 2011 rief die US-Organisation «Children of God for Life» zu einem Boykott aller Pepsi-Produkte auf. Im April 2012 schrieb die Geschäftsleitung von PepsiCo einen Brief an die Organisation, in dem sie erklärte, dass Pepsi keine Forschung betreibt, bei der menschliches Gewebe oder fetale Zelllinien verwendet werden. Es finanziere auch nicht die Forschung anderer Unternehmen, die menschliches Gewebe oder fetale Zelllinien verwenden. Darüber hinaus verwende Senomyx keine HEK-Zelllinien für die Forschung im Auftrag von Pepsi.
Der entscheidende Punkt ist, dass die HEK-293-Zellen zwar zur Suche nach chemischen Prozessen in menschlichen Geschmacksrezeptoren verwendet werden, sie selbst aber nicht zur Geschmacksverbesserung von Fertiggerichten oder Softdrinks eingesetzt werden. «Es gibt keine Beweise für die Annahme, dass diese embryonalen Nierenzellen irgendwie zu den Produkten zur Geschmacksverbesserung gehören», heißt es beispielsweise in einem Artikel, der 2016 von der Abteilung für Ernährung und Diätetik der Universität von Nordflorida veröffentlicht wurde.
(Stand: 20.12.2022)
Links
Webseite liebeisstleben.net, archiviert
Zeitschrift Proceedings, archiviert
Journal of General Virology, archiviert
Über dpa-Faktenchecks
Dieser Faktencheck wurde im Rahmen des Facebook/Meta-Programms für unabhängige Faktenprüfung erstellt. Ausführliche Informationen zu diesem Programm finden Sie hier.
Erläuterungen von Facebook/Meta zum Umgang mit Konten, die Falschinformationen verbreiten, finden Sie hier.
Wenn Sie inhaltliche Einwände oder Anmerkungen haben, schicken Sie diese bitte mit einem Link zu dem betroffenen Facebook-Post an factcheck-luxembourg@dpa.com. Nutzen Sie hierfür bitte die entsprechenden Vorlagen. Hinweise zu Einsprüchen finden Sie hier.
Schon gewusst?
Wenn Sie Zweifel an einer Nachricht, einer Behauptung, einem Bild oder einem Video haben, können Sie den dpa-Faktencheck auch per WhatsApp kontaktieren. Weitere Informationen dazu finden Sie hier.