Gesetz fehlinterpretiert

Enteignung aller Bankkunden ist nicht möglich

22.08.2022, 16:48 (CEST), letztes Update: 22.08.2022, 17:00 (CEST)

Vor Enteignung haben alle Angst. Mit der Behauptung, jeder Sparer und Bankkunde könne angeblich jederzeit von der Regierung enteignet werden, wird diese Angst geschürt. Sie ist jedoch unbegründet.

In einem Facebook-Post wird behauptet, das am 1. Januar 2015 in Kraft getretene deutsche Sanierungs- und Abwicklungsgesetz (SAG) sehe angeblich die Enteignung von Bankkunden vor. «Kein Bankkunde und kein Aktionär kann seine Einlagen jetzt noch in Sicherheit wiegen, denn es kann jederzeit ohne rechtliche Gegenmittel eine Enteignung stattfinden», heißt es in dem Post.

Bewertung

Die Behauptung, jeder Bankkunde könne jederzeit enteignet werden, ist falsch. Das SAG enthält eine Reihe von Vorschriften, mit denen Bankkunden vor dem Verlust ihres Geldes geschützt werden sollen.

Fakten

Die Behauptung wird in einem Video der österreichischen Webseite Auf1.tv vertieft. In dem Video heißt es, das Gesetz sei angeblich «klammheimlich» verabschiedet worden: «Selbst die meisten Banker und Vermögensberater haben von dem Gesetz nichts gehört.» Das Gesetz verpflichte schließlich alle Verantwortlichen zu Stillschweigen über die Maßnahmen.

Ein Widerspruchsverfahren werde «von vornherein ausgeschlossen», Klagen hätten keine aufschiebende Wirkung. Die Webseite behauptet: «Kein Bankkunde und kein Aktionär kann mehr seine eingesetzten Finanzmittel in Sicherheit wiegen, denn es kann jederzeit ohne ein rechtliches Gegenmittel eine Enteignung stattfinden.» Niemand könne mehr ruhig schlafen, falls er den Gesetzestext kennen würde.

Tatsächlich ist das angeblich so geheimnisvolle Sanierungs- und Abwicklungsgesetz (SAG) 2014 wie alle anderen Gesetze öffentlich diskutiert, beraten und verabschiedet worden. Er wurde an verschiedenen Stellen und im vollen Wortlaut veröffentlicht, unter anderem durch das Bundesamt für Justiz.

Das Gesetz ist eine wesentliche Reaktion auf die Finanzkrise von 2007 und die Staatsschuldenkrise von 2010, die die Euro-Zone massiv erschütterte. Mit dem Gesetz wird die Banken-Sanierungs- und Abwicklungsrichtlinie (BRRD) der EU umgesetzt. Ziel des Gesetzes ist es, den Zusammenbruch von systemrelevanten Banken nicht mehr ausschließlich durch die Bereitstellung von Steuergeld zu verhindern.

Vielmehr sollen auch Anteilsinhaber (also Eigentümer) und Gläubiger in einer festgelegten Reihenfolge und unter sehr genau definierten Voraussetzungen herangezogen werden, um möglichst die Rettung oder notfalls die geordnete Abwicklung einer solchen Bank zu erreichen. Das Gesetz ist auch eine Reaktion darauf, dass das deutsche Insolvenzrecht zur Einstellung aller Geschäfte und damit zu hohen Verlusten, auch für Anleger, führen würde.

Das Sanierungs- und Abwicklungsgesetz sieht in der Tat die Möglichkeit vor, Einlagen von Bankkunden für die Sanierung der Bank zu verwenden («Bail-In») und de facto deren Wert auf Null zu reduzieren. Allerdings gilt dies im Gegensatz zu der Behauptung in dem Facebook-Post keineswegs für alle Bankkunden und auch nicht jederzeit.

Unter anderem gilt die Einlagensicherung in Höhe von bis zu 100 000 Euro unverändert weiter. Bankkunden mit einer Einlage von nicht mehr als 100 000 Euro sind von dem Gesetz also nicht betroffen. Der wissenschaftliche Dienst des Deutschen Bundestages verweist in einem Gutachten vom Dezember 2021 darauf, dass auch andere sogenannte «besicherte Verbindlichkeiten» wie Pfandbriefe oder Gelder aus einem Treuhandverhältnis nicht zur Sanierung der Bank herangezogen werden dürfen.

In einer schriftlichen Antwort der bayerischen Landesregierung auf eine Anfrage eines AfD-Abgeordneten vom März 2020 heißt es, «Umfang und Wahrscheinlichkeit einer Inanspruchnahme» des Geldes der Anleger werde «in vielfacher Hinsicht begrenzt». Unter anderem wird auf die sogenannte «Haftungskaskade» verwiesen, also auf die per Gesetz festgehaltene Reihenfolge, in der Eigentümer und/oder Anleger betroffen sein könnten. Dies bedeutet, dass zunächst die Eigentümer zur Kasse gebeten würden. Erst an siebter und allerletzter Stelle stünden große Einlagen (von mehr als 100 000 Euro) von Privatpersonen oder kleinen und mittleren Unternehmen.

Eine zusätzliche Absicherung besteht darin, dass kein Gläubiger durch das Sanierungs- und Abwicklungsgesetz schlechter gestellt werden darf als in einem normalen Insolvenzverfahren. Anders als im Facebook-Post behauptet kann die Regierung auch nicht einfach ein Sparguthaben «einziehen». So betont das Gutachten des Bundestages, dass das Gesetz überhaupt nur dann angewendet werden darf, wenn das betroffene Kreditinstitut in seinem Bestand gefährdet ist, keine andere Möglichkeit zum Abwenden des Ausfalls besteht und eine Liquidation in einem regulären Insolvenzverfahren nicht möglich ist.

In dem Gutachten wird auch argumentiert, von einer Enteignung im Sinne des Grundgesetzes könne nicht gesprochen werden, weil es sich nicht um einen staatlichen Zugriff auf das Eigentum handele, sondern das Eigentum sozusagen innerhalb der Bank neu verteilt werde. Zutreffend ist, dass Einsprüche gegen die Beteiligung von Aktionären oder Einleger keine aufschiebende Wirkung haben. Die Behauptung im Video, ein Widerspruchsverfahren werde von vornherein ausgeschlossen, stimmt allerdings nicht: Anfechtungsklagen sind ausdrücklich im Gesetz vorgesehen.

Die im Gesetz festgehaltene Verschwiegenheitspflicht bezieht sich nicht auf die Vorschriften des Gesetzes selbst, sondern auf die Weitergabe von Informationen für den Fall, dass das Gesetz angewendet wird. Denn Abwicklungspläne seien geheimhaltungsbedürftig, heißt es in dem Gutachten des Bundestages. Denn damit solle ein «strategisches Verhalten» von Unternehmen ausgeschlossen werden, das die Effektivität des Gesetzes aushebeln würde und zu Lasten von Steuerzahlern und Bankkunden ginge.

(Stand: 19.8.2022)

Links

Facebook-Post (archiviert)

Video mit Behauptung(archiviert)

Wortlaut Sanierungs- und Abwicklungsgesetz (archiviert)

Gutachten Deutscher Bundestag(archiviert)

Antwort Landesregierung Bayern (archiviert)

Banken-Sanierungs- und Abwicklungsrichtlinie (BRRD) der EU (archiviert)

Informationen der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht zum «Bail-In» (archiviert)

Über dpa-Faktenchecks

Dieser Faktencheck wurde im Rahmen des Facebook/Meta-Programms für unabhängige Faktenprüfung erstellt. Ausführliche Informationen zu diesem Programm finden Sie hier.

Erläuterungen von Facebook/Meta zum Umgang mit Konten, die Falschinformationen verbreiten, finden Sie hier.

Wenn Sie inhaltliche Einwände oder Anmerkungen haben, schicken Sie diese bitte mit einem Link zu dem betroffenen Facebook-Post an factcheck-luxembourg@dpa.com. Nutzen Sie hierfür bitte die entsprechenden Vorlagen. Hinweise zu Einsprüchen finden Sie hier.

Schon gewusst?

Wenn Sie Zweifel an einer Nachricht, einer Behauptung, einem Bild oder einem Video haben, können Sie den dpa-Faktencheck auch per WhatsApp kontaktieren. Weitere Informationen dazu finden Sie hier.