"Sicheres Gewissen" im Vatikan

Für manche Impfstoffe werden alte Zellkulturen genutzt

01.07.2022, 08:35 (CEST), letztes Update: 01.07.2022, 11:16 (CEST)

Um die Herstellung von Corona-Impfstoffen ranken sich viele Legenden. Auch solche, die längst widerlegt sind, werden immer wieder aufgewärmt.

Föten werden angeblich abgetrieben, weil die Pharmaindustrie die Körperteile für die Produktion von Impfstoffen braucht. In sozialen Netzwerken wird zudem behauptet, dies sei womöglich der eigentliche Grund für den starken Widerstand gegen ein Abtreibungsverbot in den USA.

Bewertung

Die Behauptung ist falsch. Es werden keine Körperteile von Menschen oder Embryonen benötigt, um Impfstoffe zu produzieren.

Fakten

Die schon oft widerlegte Behauptung, menschliche Föten dienten der Produktion von Impfstoffen, wird in der Debatte über ein Abtreibungsverbot in den USA erneut in sozialen Medien verbreitet. «Mit Babyteilen ist viel Geld zu verdienen», wärmt ein Facebook-Post diese Verschwörungstheorie auf. Das «weltweite Netz von Biolabors» (sic!) brauche «Nachschub von irgendwoher». Denn Föten seien «ein weltweit gut gehendes Geschäft für Big Pharma». Teile von Föten seien «in den Gen-Spritzen enthalten». Milliarden solcher Impfstoffe hingen «zweifellos» von einem industriellen Großhändler ab. Daher könne die Entscheidung des Obersten Gerichts der USA für ein Abtreibungsverbot «viel mehr bedeuten als die Leute denken».

Zutreffend ist, dass tierische oder menschliche Zellkulturen (Zelllinien) für Entwicklung und/oder Produktion einer ganzen Reihe von Impfstoffen notwendig sind. Dies gilt für Impfstoffe, bei denen eine ungefährliche Variante eines Virus verwendet wird, um die Abwehrreaktion des Körpers auszulösen. Das deutsche Paul-Ehrlich-Institut (PEI) verweist auf seiner Webseite darauf, dass Viren sich ohne Zellkultur nicht vermehren können.

Unter einer Zellkultur wird das Züchten von lebenden Zellen in einem Nährmedium verstanden. Dies bedeutet, dass einmal vorhandene menschliche oder tierische Zellen immer wieder weiter vermehrt werden.

Im Zusammenhang mit der Bekämpfung von Covid-19 sind menschliche Zellkulturen bei zwei Vektor-Impfstoffen nötig. Entgegen der Behauptung, Teile von Föten seien «in den Gen-Spritzen enthalten», handelt es sich dabei gerade nicht um die auf mRNA-Technologie beruhenden Impfstoffe von Biontech/Pfizer oder Moderna. Vielmehr wird laut PEI für die Herstellung des (Vektor-)Impfstoffes Vaxzevira (Astrazeneca) die sogenannte Zelllinie 293 HEK (Human Embryonic Kidney) verwendet, für den Impfstoff von Johnson and Johnson die Zelllinie PER.6C aus fötalen Retinazellen.

Der Beginn dieser beiden Zellkulturen liegt in der Vergangenheit. 293 HEK wurde 1973 an der niederländischen Universität Leiden aus der Niere eines abgetriebenen Kindes erzeugt, PER-C6 entstand 1998 auf der Basis von Retinazellen eines 1985 abgetriebenen Fötus ebenfalls in der Universität Leiden.

Diese Zelllinien werden - ebenso wie einige andere - von Wissenschaftlern als «unsterblich» bezeichnet. Denn sie werden in zahllosen Laboren rund um den Erdball so behandelt und auch verändert, dass sie sich bei relativ geringem Aufwand ständig selbst vermehren.

Es werden also für die Produktion von Impfstoff-Viren ständig neue Nachkommen von im vergangenen Jahrhundert gewonnenen Zellen verwendet. Das Paul-Ehrlich-Institut unterstreicht daher auch auf seiner Webseite: «Es werden nicht, wie häufig zu lesen, immer wieder neue Föten benötigt. In keinem Fall wurde ein Fötus abgetrieben, um als Ausgangsmaterial für die Etablierung einer Zellkultur zu dienen.»

Vor diesem Hintergrund hat auch der Vatikan in einer «Note über die Moralität des Gebrauchs einiger Impfungen gegen Covid-19» vom Dezember 2020 entschieden: Für den Kampf gegen die Ausbreitung des Coronavirus dürfen alle Impfstoffe, die als klinisch sicher und wirksam anerkannt seien, verwendet werden. Das gehe «mit dem sicheren Gewissen, dass die Inanspruchnahme dieser Impfungen keine formale Mitwirkung an der Abtreibung, aus der die Zellen, mit denen die Impfstoffe hergestellt wurden stammen, bedeutet», erklärte die katholische Kirche. Gleichwohl blieben Pharma-Unternehmen aufgerufen, «ethisch vertretbare Impfstoffe» herzustellen.

Da weder Föten noch Abtreibungen für die Produktion von Impfstoffen benötigt werden, sind auch Behauptungen, mit «Babyteilen» lasse sich «viel Geld» verdienen und es handle sich um ein «gut gehendes Geschäft für Big Pharma», absolut unsinnig.

(Stand 30.06.2022) 

Links

Facebook-Post, archiviert

Faktencheck I zu Embryos, archiviert

Faktencheck II zu Embryos, archiviert

SRF-Sendung zu Föten

Rheinische Post zu Verschwörungstheorie, archiviert

Webseite PEI, archiviert

Über HEK 293, archiviert

Helmholtz-Zentrum zu Zellkultur, archiviert

Note des Vatikans, archiviert

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